Diplomatie statt Verhandlungsstillstand

Ein Ende des Blutvergießens in Syrien wird nur durch diplomatische Verhandlungen möglich sein. Diese müssen jetzt und ohne Vorbedingungen stattfinden und daher auch das Assad-Regime und die autoritäre russische Führung berücksichtigen. Ein Debattenbeitrag von Niklas Kossow und Ilyas Saliba

Von Niklas Kossow & Ilyas Saliba

Selbst nach Hundertausenden Toten und Millionen Flüchtlingen scheint es immer noch nicht in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger in Europa, Russland und den USA angekommen zu sein: Der Bürgerkrieg in Syrien muss rasch beendet werden. Doch der politische Wille, sich für einen solchen Frieden wirklich einzusetzen, scheint bislang weder in Moskau, Brüssel oder in Washington vorhanden zu sein. Und während immer neue Krisen die Welt in Atem halten, scheint die Beziehung zwischen der NATO und Russland auf einem neuen Tiefstand angekommen zu sein.

Die Spannungen haben allerdings schon lange vor der russisch-iranischen Intervention in Syrien begonnen. Diese steht nur am Ende einer Entwicklung, welche spätestens mit dem Russland-Georgien-Krieg 2008 einsetzte und sich in der Ukraine-Krise, bis hin zur Annexion der Krim fortsetzte. Die Diskrepanzen zwischen dem Westen und Russland scheinen zum wiederholten Male unüberwindbar zu sein.

Öl ins Feuer

Die russisch-iranische Intervention in Syrien stellt ein einseitiges Eingreifen dar, durch das nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen und der Konflikt unnötig verlängert wird. Die Luftschläge Moskaus an der Seite Assads werden zu noch mehr Opfern führen und eine Lösung des Konflikts in weite Ferne rücken lassen.

Wie auch immer eine Lösung des inzwischen über vier Jahre andauernden Bürgerkriegs aussehen wird, auf dem Schlachtfeld wird sie jedenfalls nicht zu finden sein. Durch die Intervention von Teheran und Moskau ist endgültig klar: Ohne den Iran und Russland wird es wohl keine Lösung des Syrienkonflikts geben. Ebenso wie inzwischen auch den entschiedensten Kritikern des Regimes aufgegangen sein müsste, dass es ohne eine Beteiligung des Assad-Regimes an Gesprächen keinen Frieden geben kann. Nur durch gemeinsame diplomatische Anstrengungen – idealerweise im Rahmen einer UN-Initiative – kann das Blutbad in Syrien beendet werden.

In diesem geopolitischen Kontext betrachtet, ist der Bürgerkrieg in Syrien nicht nur für den Nahen Osten von enormer Bedeutung. Über die Region hinaus hat der Konflikt das Potenzial, die Beziehungen zwischen den NATO-Mitgliedstaaten und Russland nachhaltig zu verändern. In Syrien wird sich entscheiden, ob die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen zu weiterem militärischen Aufrüsten und Stellvertreterkriegen führt oder eine Zusammenarbeit zur Lösung des folgenreichsten Bürgerkrieges seit dem Zerfall Jugoslawiens doch noch möglich ist.

Zerstörtes Homs; Foto: Getty Images/AP Photo/D. Vranic
Verlängerter Konflikt auf Kosten der Zivilbevölkerung: Die russisch-iranische Intervention in Syrien stellt ein einseitiges Eingreifen dar, durch das nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen und der Konflikt unnötig verlängert wird. Die Luftschläge Moskaus an der Seite Assads werden zu noch mehr Opfern führen und eine Lösung des Konflikts in weite Ferne rücken lassen.

Assads Fassbomben als Fluchtursache

Viele Beobachter fordern seit Langem eine Flugverbotszone für Syrien, um die Zivilgesellschaft vor Luftangriffen und Fassbomben des Regimes zu schützen. Laut einer Umfrage der Organisation "Adopt a Revolution" unter ca. 900 in Deutschland angekommenen syrischen Flüchtlingen gaben mehr als 70 Prozent der Befragten die Fassbomben Assads als Hauptgrund für ihre Flucht an.

Doch wie eine solche Flugverbotszone erreicht werden soll, bleibt nach wie vor völlig unklar. Eine weitere militärische Eskalation durch eine westliche Intervention wäre sicherlich das gefährlichste Szenario. Aufgrund der russischen Operationen in Syrien und der Luftschläge der US-geführten Koalition gegen den "Islamischen Staat" lassen sich Konflikte zwischen den größeren Kriegsakteuren wohl kaum vermeiden. Sogar eine direkte Konfrontation ist denkbar.

Eine diplomatische Lösung wurde bislang durch die verschiedenen Vorbedingungen der Verhandlungspartner blockiert, die es unmöglich machten, alle relevanten Parteien an einen Tisch zu bekommen. Eine diplomatische Lösung dürfte heute ohne das Assad-Regime wohl nicht zustande kommen, denn die russische Führung unterstützt Assad und die ihrer Meinung nach "legitime Regierung Syriens" weiterhin. Als Konfliktpartei führt heute ebenso kein Weg mehr an Russland vorbei. Durch das militärische Eingreifen Putins wurde zwar eine diplomatische Lösung zusätzlich erschwert, sie ist aber nicht gänzlich unmöglich.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass das Putin-Regime langfristig an Assad als Präsidenten eines zerfallenden syrischen Staates festhalten wird. Russland verweist jedoch berechtigterweise auf den Staatszerfall im Irak und in Libyen. Eine kurzfristige Lösung muss daher mit Assad gefunden werden, auch wenn dies in Anbetracht seiner Verbrechen grausam erscheinen mag. Sollte die Vorbedingung eines Syriens ohne Assad wegfallen, könnten sich neue Spielräume für Verhandlungen eröffnen. Diese Gespräche müssten dann wiederum die langfristige Zukunft einer syrischen Führung ohne eine Beteiligung der Assad-Familie beinhalten.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, Foto: picture-alliance/dpa/B. Pedersen
Vorstoß für eine neue diplomatische Offensive: Deutschland strebt im Syrienkonflikt eine Friedenskonferenz an, an der neben Russland auch die großen Regionalmächte beteiligt sind. Grundlage dafür sollen UN-Beschlüsse sein, wonach der Abwurf von Fassbomben verboten ist und humanitäre Organisationen Zugang bekommen müssen. Mit Blick auf Irans Rolle in Syrien erklärte jüngst Außenminister Steinmeier: "Es ist kein Geheimnis, dass unsere Position nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sind. Aber wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass das Morden ein Ende findet und dass Syrien als Staat erhalten bleibt."

Kampf gegen den IS als kleinster gemeinsamer Nenner

Anstatt jedoch mit Maximalforderungen Verhandlungen zu verhindern, sollten sich die diplomatischen Bemühungen am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren: ein Beendigung der militärischen Gewalt und ein Übergang zu einer stabilen Postkonfliktordnung in Syrien. Ferner stimmen alle externen Akteure darin überein, dass der Kampf gegen terroristische Gruppierungen wie Al-Nusra und Da'esh fortgeführt werden muss.

Zusammen mit den USA, Russland, der Türkei, Saudi-Arabien und dem Iran sollte die EU daher in der Syrienkrise einen erneuten diplomatischen Anlauf nehmen. Die Atomverhandlungen in Wien könnten hierbei eine Blaupause bieten, um weitere relevante Akteure wie Saudi-Arabien und die Türkei zur Lösung des Konfliktes heranzuziehen. Schwieriger dagegen dürfte die Entscheidung ausfallen, welche lokalen syrischen Akteure ebenfalls an den Verhandlungstisch gehören. Neben Vertretern des Assad-Regimes sollte die "Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte" und Vertreter der kurdischen Gebiete im Norden des Landes mit am Verhandlungstisch sitzen.

Ziel solcher Gespräche wäre es, auf ein rasches Ende der Gewalt gegen die syrische Zivilbevölkerung hinzuarbeiten. Waffenstillstand und humanitäre Hilfe sollten dabei oberste Priorität besitzen. Ferner müsste auf eine internationale Koordinierung der Einsätze gegen Da'esh gesetzt und die Grundlage für ein langfristiges Abkommen geschaffen werden.

Wie auch immer der Fahrplan für Verhandlungen aussehen wird, der Prozess sollte mit einem robusten Mandat des UN-Sicherheitsrates ausgestattet sein, das die verschiedenen Akteure zu einem Waffenstillstand aufruft. Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura und sein Team könnten die diplomatischen Bemühungen zwischen lokalen Akteuren koordinieren und international für Unterstützung werben. Die Zeit, Verhandlungen ausschließlich unter Vorbedingungen führen zu können, ist mittlerweile vorbei. Frieden kann nur am Verhandlungstisch erzielt werden.

Niklas Kossow & Ilyas Saliba

© Qantara.de 2015

Niklas Kossow ist Doktorand an der "Hertie School of Governance" in Berlin und arbeitet für das "European Research Centre for Anti-Corruption and State-Building". Ilyas Saliba ist Doktorand an der Berlin "Graduate School for Social Sciences" der Humboldt-Universität zu Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Demokratie und Demokratisierung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).