Nischen der Meinungsfreiheit

Der Präsident der "Arabischen Organisation für Medienfreiheit" Ibrahim Nawwar, der Ägypter Alaa Saif und der amerikanische Wissenschaftler Joshua Landis diskutieren mit Ahmad Hissou über Pressefreiheit in der arabischen Welt und über die Zukunft des Bloggens.

Frau im Internetcafé; Foto: AP
In vielen arabischen Ländern sind Blogs ein beliebtes Mittel der politischen Opposition

​​Herr Nawwar, der Chefredakteur der Zeitung "al-Dustur" (die Verfassung), Ibrahim Issa, wurde kürzlich zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt, weil er Präsident Mubarak beleidigt habe. Der Blogger Karim Amer wurde wegen des gleichen Vergehens angeklagt und zu vier Jahren Haft verurteilt. Zusätzlich wird ihm vorgeworfen, er habe den Islam beleidigt. Wie beurteilt Ihre Organisation die Urteilssprüche?

Ibrahim Nawwar: Erst einmal möchten wir den Kollegen Ibrahim Issa und Karim Amer und allen, die bereits früher unter Druck gesetzt wurden, unsere uneingeschränkte Solidarität aussprechen. Wir erleben in Ägypten und in der arabischen Welt generell eine anhaltende Einschränkung der Meinungsfreiheit. Es ist dies eine Einschränkung, die nicht nur von Seiten der Regierung ausgeht, sondern auch von einer breiten Bevölkerungsschicht getragen wird. Diese fühlt sich wegen banalster Kleinigkeiten provoziert, wenn es um eine angebliche Beleidigung der Religion geht.

Warum wurde Ibrahim Issa auf Bewährung verurteilt, während Karim Amer nun ins Gefängnis muss? Macht das Gesetzt einen Unterschied zwischen Printmedien und Blogs? Jedenfalls verbietet das neue ägyptische Gesetz für Druckerzeugnisse eine Inhaftierung von Journalisten aufgrund ihrer Publikationen.

Nawwar: Das ägyptische Gesetz für Druckerzeugnisse gilt nicht für Blogger. Diese unterliegen dem normalen Strafgesetz. Aber ich bin erstaunt über die Vollstreckung des Urteils im Fall Karim Amer. Ich glaube, es handelte sich um reine Willkür des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. In den 30er und 40er Jahren gab es in Ägypten Leute, die sich trauten zu schreiben: "Warum bin ich Atheist?" Dann antwortete ein anderer: "Warum bin ich gläubig?" Und beide Personen lebten problemlos miteinander. Die ägyptische Gesellschaft konnte solche Meinungen jahrzehntelang aushalten.

Foto: apfw.org
Ibrahim Nawwar

​​Heute haben wir es mit einer absoluten Willkür gegen jede Person zu tun, die ihre Meinung öffentlich äußert. Nehmen Sie den Fall Nawwal al-Saadawi: Sie hat in aller Öffentlichkeit erklärt, dass das Denken in der ägyptischen Gesellschaft eingeschränkt wird, nicht nur von Seiten der Regierung.

Herr Saif, welche Auswirkungen hat die Verurteilung von Karim Amer auf die Aktivitäten der ägyptischen Blogger?

Alaa Saif: Es ist jetzt noch zu früh, eine direkte Auswirkung des Urteils auf die Blogger festzustellen. Aber ich bin sicher, dass das Urteil über Karim Amer sowie über Ibrahim Issa, wie auch die gerichtliche Verfolgung von Huwaid Taha, Auswirkungen haben wird. Ich bin sicher, dass viele Blogger, insbesondere die aktiven, diese Angelegenheit sehr genau verfolgen. Es gibt eine große Sorge, dass diese Urteile genutzt werden, um auch gegen sie gerichtlich vorzugehen.

Kann es sein, dass das Urteil auch dazu führen wird, dass Sie Ihre Aktivitäten als Blogger einer Prüfung unterziehen?

Saif: Wie gesagt, es ist noch zu früh, das zu sagen. Aber es gibt bereits hierzu Diskussionen. Ich habe festgestellt, dass sich selbst viele der unpolitischen Blogger, deren Leser nicht so zahlreich sind, darüber auseinandersetzen. Sie sind dabei, ihre Blogs für die Öffentlichkeit zu schließen und nur noch Freunde zuzulassen.

Das ist eine Reaktion auf das Urteil, aber die Auswirkungen auf die Blogger, die politisch aktiv sind oder für die Medien arbeiten, sind noch nicht bemerkbar. Wahrscheinlich beobachten sie die Situation und haben noch keinen Entschluss gefasst. Oder sagen wir, sie sind schlicht entsetzt über das Urteil, so dass sie sich bislang noch nicht entschieden haben.

Herr Landis, Sie haben andere Erfahrungen gemacht. Sie sind ein amerikanischer Blogger, der sich speziell mit Syrien beschäftigt. Warum ausgerechnet Syrien?

Landis: Weil ich Syrien sehr gut kenne und dort jahrelang gelebt habe. Ich habe vor vier Jahren begonnen, über Syrien zu schreiben und festgestellt, dass sich viele Menschen für dieses Land interessieren. Mein Blog war der erste über Syrien. Ein Jahr später, als ich erneut in Syrien gelebt habe, habe ich erfahren, dass viele Syrer meinen Blog lesen. Um Ihnen ein besseres Bild zu geben, kann ich sagen, dass es im Jahr 2005 nur 20 syrische Blogs gab. Jetzt gibt es innerhalb Syriens hunderte, abgesehen von den Bloggern, die im Ausland leben.

Worin unterscheidet sich Ihr Blog von den syrischen Blogs, insbesondere von denen der politischen Opposition?

Foto: University of Oklahoma
Joshua Landis

​​Landis: Ich bin ein amerikanischer Wissenschaftler und ich bin ganz allgemein gegen die Politik der US-amerikanischen Regierung wie auch speziell gegen die US-Politik gegenüber Syrien. Die US-Regierung hat geglaubt, dass sie Druck auf Syrien ausüben und nach dem Krieg im Irak das syrische Regime verändern kann. Das ist meiner Meinung nach nicht möglich. Auch die Methode, wie Amerika Demokratie verbreiten will, ist nicht wirkungsvoll. Wir haben gesehen, welches Chaos der amerikanischen Intervention im Irak folgte.

Bedeutet das, dass die syrische Regierung sich nicht an Ihrem Blog stört?

Lanids: Es gab innerhalb des Regimes eine Diskussion, als ich von Damaskus aus schrieb, aber ich bekam keinerlei Probleme – selbst als ich über politische Themen schrieb. Aber ich habe nachher vom syrischen Botschafter in Washington erfahren, dass der Sicherheitsapparat nicht mit dem Inhalt meines Blogs einverstanden war, und dass er mehr als einmal "Gegenmaßnahmen" ergreifen wollte. Es scheint aber, dass man auf politischer Ebene den Blog weiterlaufen lassen wollte.

Wie kann man solche Blogs beschreiben? Sind sie Teil der Medienlandschaft oder sind es nur persönliche Erinnerungen und Meinungen, die im Internet veröffentlicht werden? Kann man sagen, dass die Blogs, vor allem in Ägypten und in einigen arabischen Ländern, zu einem Teil der oppositionellen Medien geworden sind?

Nawwar: Die Blogs sind eine von vielen Möglichkeiten, sich auszudrücken. Die neue Entwicklung der Informationstechnologie hat uns diese Möglichkeit gegeben. Es ist eine Möglichkeit des Ausdrucks in einem sehr breiten Rahmen. Wenn sich ein Blogger vor seinen PC setzt und persönliche Erinnerungen und Eindrücke notiert oder seine Teilhabe an Dingen, über die er anderswo seine Meinung nicht äußern kann, dann ist dies zumindest eine Form, sich frei auszudrücken.

Aber es gibt einen Unterschied zwischen Websites und persönlichen Internet-Tagebüchern, wie den Blogs?

Nawwar: Ja, es gibt einen Unterschied. Der Blog ist eine persönliche Website, aber gemeinsam mit den anderen Websites eröffnet er einer Person, die in den anderen Medien keine Möglichkeit hat, ihre Meinung zu äußern, die Chance, eine Site zu öffnen und ihre Meinung und Eindrücke niederzuschreiben. Darauf kann reagiert werden, und andere Personen können sich beteiligen. Diese Art der Meinungsäußerung muss deshalb gesetzlich geschützt werden, genau wie die anderen Formen der Medien, egal ob Print, Hörfunk oder Fernsehen.

Herr Saif, manche sagen, es hätte eine Veränderung bei den Blogs gegeben, in dem Sinne, dass die Philosophie des persönlichen Schreibens auf Tagebücher beschränkt war. Jetzt sind sie – besonders in den arabischen Ländern – zu einem oppositionellen Medium geworden. Können Sie dem so zustimmen?

Foto: Mona Naggar
Alaa Saif und seine Frau Manal

​​Saif: Ich weiß nicht, ob diese Beobachtung sehr präzise ist. Ich bin ein Amateurblogger, eigentlich bin ich Programmierer, das heißt, ich entwickle die Möglichkeiten der Internetveröffentlichung. Ich stehe in Verbindung zu jenen, die die Infrastruktur für die Blogs zur Verfügung stellen, die die Meinungsfreiheit und den Bürgerjournalismus stärken wollen. Ich meine damit den einfachen Bürger, der kein Profijournalist ist. Die Blogs spielten also von Anfang an eine journalistische, politische Rolle.

Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen den Blogs im Libanon und zum Beispiel denen in Ägypten und in Syrien.

Saif: Alle Blogs ähneln sich sehr stark, aber nicht alle gehören zu dem, was als Bürgerjournalismus bezeichnet wird. Meiner Meinung nach ist der Unterschied auf die unterschiedlichen Gesellschaften zurückzuführen. In Ägypten gibt es eine neue Oppositionsbewegung mit einer großen Dynamik, auch wenn die Bewegung eher klein ist. Das spiegelt sich ganz deutlich in den Blogs wieder: Dort ist ein Teil der (oppositionellen) Jugend beteiligt, und ein anderer Teil kommentiert.

Im Libanon gab es während des Krieges Leute, die einen persönlichen Blog geführt haben. Aber der Krieg hatte zur Folge, dass sie darüber geschrieben haben, was geschah, über die Bombardierung ihrer Stadtviertel etwa. Sie dokumentierten, was um sie herum vorging. So geht es auch dem arabischen Schriftsteller, der die Politik nicht außen vor lassen kann. Wie könnte es dann eine Person, die ein Tagebuch über die Ereignisse ihres Lebens führt. Die allgemeinen und die politischen Umstände zwingen sich dem Individuum sozusagen auf, so dass es diese Dinge nicht vermeiden kann.

Herr Landis, Ihr Blog ist sozusagen eine umfassende Website über Syrien. Sie veröffentlichen nicht nur Ihre eigenen Artikel, sondern auch die anderer Leute. Wie beurteilen Sie die Blogs?

Landis: Die meisten syrischen Blogger schreiben nicht über Politik, sondern sie veröffentlichen Bilder aus ihrem Leben und aus verschiedenen Städten. Aber solange sie schreiben, können sie die Politik nicht ganz vermeiden. Sie werden auch immer mutiger und beschäftigen sich immer mehr mit Fragen der Allgemeinheit. Der Staat kann auch nicht alle Blogs beobachten. Es gibt also deutliche Veränderungen bei den Bloggern, es gibt auch immer stärker einen politischen Dialog in Syrien, aber der Staat ist immer noch viel mächtiger.

Außerhalb Syriens gibt es aber Blogger, die mehr über Politik schreiben.

Landis: Das stimmt. Alle Gruppierungen der syrischen Opposition zeigen großes Interesse an den Blogs und beteiligen sich auch daran.

Heißt das, dass die Blogs eine Ausdrucksmöglichkeit der politischen Opposition geworden sind?

Landis: Die Blogs sind das wichtigste Ausdrucksmittel der Opposition, die damit versucht, das Bewusstsein der Menschen in Syrien zu verändern.

Herr Nawwar, beim Surfen durch einige ägyptische Blogs kann man feststellen, dass das sprachliche Niveau dort oft zu wünschen übrig lässt und Personen mitunter diffamiert werden. Medien aber unterliegen dem Pressekodex. Kann man diesen auch auf die Blogs anwenden?

Nawwar: Es stimmt, was Sie sagen. Die Blogs sind ein zweischneidiges Schwert, das konstruktiv, aber auch destruktiv verwendet werden kann. Wir sehen von Bahrain bis nach Marokko Websites und Blogs, deren einziges Ziel es ist, Personen zu verletzen und bestimmte Persönlichkeiten zu verunglimpfen. In solchen Blogs wird auf eine vulgäre Sprache zurückgegriffen, denn es gibt keine Organisation, die allgemeine Regeln für die Nutzung des Internets festlegt – weder für die Blogs noch für die Websites. Es gibt auch Regierungsinstitutionen, die Blogger gegen die Opposition instrumentalisieren.

Ich glaube, dass die Bewegung der Blogger und Internetpublizisten einen Punkt erreichen wird, an dem sie sich auf ein System oder auf Regeln einigen wird, die eine destruktive Nutzung des Internets oder eine solche, die die demokratische Entwicklung verhindert, verbietet oder einschränkt. Denn das eigentliche Ziel ist es, in einem Klima der Unfreiheit einen breiteren Raum für Ausdrucksfreiheit zu schaffen.

Wer wird diesen Kodex festlegen? Wird es ein natürlicher Prozess der Blogs sein?

Nawwar: Es gibt zwei Möglichkeiten, wie die Arbeit dieser Internet-Tagebücher systematisiert werden kann. Die erste geht von den arabischen Regierungen aus, von den arabischen Informations- und Innenministerien. Diese planen eine Art Regelwerk aufzustellen, durch das die Blogger dann dem Strafgesetz unterworfen werden.

Der zweite Versuch ließ sich in Ansätzen bereits auf dem letzten Informationsgipfel in Tunis erkennen. Dort gab es eine Tendenz, die eine Art freiwilligen Vertrag zwischen den Bloggern anstrebt, indem diese sich einer Reihe von Regeln unterwerfen, sodass es keine Einmischung von Seiten des Staates oder einer staatlichen Institution gibt.

Herr Landis, sind Sie dafür, einen Ehrenkodex für die Blogs aufzustellen oder sollte dieses Blatt völlig unbeschrieben bleiben?

Landis: Es sollte offen bleiben. Aber es bleiben Probleme für Leute wie mich, die den Usern die Freiheit geben, die Artikel zu kommentieren.

Wie sehen Sie die Zukunft der Blogs?

Landis: Ich denke, wir müssen bestimmte Regeln entwickeln für die Gesellschaft der Blogger – genau wie jene, denen die Journalisten unterliegen, und wir müssen uns an einige Übereinkünfte halten, die für die Blogger geeignet scheinen.

Diskussionsleitung: Ahmad Hissou

Übersetzung aus dem Arabischen: Larissa Bender

© DEUTSCHE WELLE 2007

Ibrahim Nawwar ist Präsident der arabischen Organisation für Medienfreiheit.

Alaa Saif ist ägyptischer Blogger und wurde von "Reporter ohne Grenzen" und der Deutschen Welle mit einem Preis für den besten Blog für Meinungsfreiheit ausgezeichnet.

Joshua Landis ist amerikanischer Wissenschaftler und Experte für den Nahen Osten mit einem eigenen Blog.

Qantara.de

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