Von Kopftüchern und Grauschleiern

Seit Jahren schwelt an deutschen Schulen ein Streit, ob muslimische Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen dürfen. Hierüber soll das Bundesverfassungsgericht noch in diesem Sommer entscheiden. Exemplarisch ist der Fall der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin. Sie war zusammen mit der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck zu einer Diskussion der Heinrich-Böll-Stiftung geladen.

Das Interesse am sogenannten Kopftuchstreit in Deutschland ist weiterhin ungebremst: Im Veranstaltungssaal der Böll-Stiftung in Berlin gab es kaum noch Stehplätze, der Besucherandrang war groß. Die Lehrerin Ludin reklamierte für sich die Glaubensfreiheit und das Recht auf freien Zugang zu öffentlichen Ämtern. Das Neutralitätsgebot des Staates steht nach Auffassung der Schulbehörden dagegen. Diesen Rechtsstreit soll das Bundesverfassungsgericht jetzt klären. Keine einfache Entscheidung für die Verfassungsrichter, die schon in der mündlichen Verhandlung Anfang Juni keinen Zweifel daran ließen, dass es um mehr, als nur ein Stück Stoff geht. Vielmehr gehe es um das Miteinander der verschiedenen Religionen und Kulturen in Deutschland.

Religion als persönliche Angelegenheit

Die aus Afghanistan stammende muslimische Lehrerin Fereshta Ludin, die seit 1995 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, betrachtet ihre Religion als Teil ihrer Persönlichkeit. Sie sehe keine Diskrepanz zwischen ihrem Glauben an den Islam und ihrem Einstehen für freiheitlich-demokratische Werte, so die Lehrerin, die die Befähigung im Lehramt für die Fächer Deutsch und Englisch besitzt. Fereshta Ludin war bisher in allen Instanzen der Verwaltungsgerichte gescheitert. Sie stellt sich Frage, ob jede Frau, die ein solches Tuch aus religiösen Gründen trägt, automatisch politische Zwecke verfolgt: "Wieso und weshalb wird eine solche Entscheidung, also eine sehr persönliche Entscheidung, von staatlichen Institutionen oder von der Politik entschieden? Wo bleibt für mich als Frau das Recht auf Selbstbestimmung, wo bleibt meine Möglichkeit zur Emanzipation in dieser Gesellschaft?", fragt Ludin.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck von den Bündnisgrünen, bedauert die juristische Klärung des Kopftuchstreits. Es sei nicht gut, dass die Entscheidung sehr schnell an die Gerichte delegiert worden sei. Bei dem Konflikt gehe es um einen gesellschaftspolitischen Prozess und nicht um einen Richterspruch. Zugleich sprach sie sich aber für eine "durchgängige religiöse Neutralität" der Schule aus. Beck wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in Berlin zum Beispiel gerade die mehrheitlich aus der Türkei zugewanderten Migranten gegen das Tragen des Kopftuchs protestieren, denn in der Türkei ist dies untersagt.

Juristisches Verwirrspiel

Die Palette von bisherigen gerichtlichen Entscheidungen zum Kopftuch ist breit. So darf eine muslimische Verkäuferin nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts bei der Arbeit ein Kopftuch tragen. Auch das Arbeitsgericht in Dortmund hielt das Kopftuch bei der Arbeit für zulässig und hob eine von der Stadt Bergkamen aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung, auf. Die Religionsfreiheit, so die Begründung des Gerichts, gehe vor. Ein weiterer Fall dreht sich um die Suspendierung einer muslimischen Kindergärtnerin. Der Ausgang des Verfahrens ist noch unklar ist, wird aber von den Kommunen deutschlandweit mit Interesse betrachtet. Weniger Klarheit herrsche dagegen im Bereich einer öffentlichen Institution wie der Schule, meint Marieluise Beck: "Jetzt kommen wir in den schwierigen Abwägungsprozess von zwei Rechtsgütern: nämlich der individuellen religiösen Freiheit jeder Frau in dieser Gesellschaft - sei sie nun buddhistisch, dem Islam angehörend, zum Hinduismus gehörend oder Christin auf der einen Seite - und der Institution Schule, wo die Eltern, die ihre Kinder in die Obhut des Staates geben, das Recht haben, dass hier eine gewisse Neutralität, auch durch den Staat gewährt wird", so die Ausländerbeauftragte.

Religion als Politikum?

Sanem Kleff von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin, und Vorsitzende des Bundesausschusses "Multikulturelle Angelegenheiten" gab zu bedenken, dass das Kopftuch weltweit für eine politische Ideologie stehen könne, wie z. B. im Iran, in Afghanistan und Saudi-Arabien. Kleff verlangte mehr Ehrlichkeit und Offenheit vonseiten Ludins und verwies auf den Vorwurf der Herausgeberin des Frauenmagazins "Emma", Alice Schwarzer.

Diese hatte angebliche Verbindungen Ludins zur Islamischen Gemeinschaft "Milli Görüs" beschrieben, einer türkischen Organisation, die durch den Verfassungsschutz beobachtet wird. Der Trägerverein der Islamischen Grundschule in Berlin, an der Ludin jetzt tätig ist, soll zu Milli Görüs gehören. Ludin wehrt sich gegen die Behauptungen Schwarzers, sie habe um diesen Rechtsstreit führen zu können den Zentralrat der Muslime um finanzielle Hilfe gebeten. Man müsse sich die Frage stellen, was innerhalb des demokratischen, pluralistischen Grundkonsenses gelten solle und was nicht, forderte die Integrationsbeauftragte Marieluise Beck. Diese Frage richte sich auch an Migranten anderer Kulturen und Religionen. Schließlich ginge es darum, den Islam "einzubürgern", denn er gehöre bereits zum deutschen Alltagsleben. Das hieße aber auch, so Beck, dass sich dieser Islam verändern werde unter dem Leben in einer deutschen pluralistischen Gesellschaft.

Sabine Ripperger, © 2003 Deutsche Welle