Verliert Obama den Irak?

Die Politik der US-Regierung im Irak stärkt die Position Irans auf Kosten der arabischen Verbündeten Amerikas und schwächt die im Entstehen begriffene Demokratie im Irak. Schlechtere Ergebnisse für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA in dieser Region sind kaum vorstellbar, meint Feisal Amin al-Istrabadi.

Symbolbild Barack Obama und der Nahe Osten; Foto: AP/DW
"Obama folgt dem Beispiel von Präsident George W. Bush, der die Irakpolitik vom US-Wahlprogramm und nicht von amerikanischen – geschweige denn irakischen – Nationalinteressen diktieren ließ", meint al-Istrabadi.

​​In der Irak-Politik der Regierung Obama herrscht Chaos. Sieben Monate nach den Parlamentswahlen im Irak bestreiten die Vereinigten Staaten offiziell, beim Gerangel um das Amt des Ministerpräsidenten Partei ergriffen zu haben. Insgeheim unterstützen die USA jedoch den Amtsinhaber Nuri al-Maliki.

Die USA haben massiven diplomatischen Druck auf die arabischen Nachbarn des Irak ausgeübt, um sie zur Akzeptanz einer weiteren Amtszeit Malikis zu bewegen. Die meisten haben sich geweigert. Ursprünglich hatten die USA Maliki unterstützt, um zu verhindern, dass die Sadr-Bewegung einen Teil der Macht erlangt. Das ist allerdings inzwischen nach hinten losgegangen, da die Bewegung Sadrs, abgesehen von Malikis Koalition aus schiitischen Parteien, die einzige Gruppe ist, die ihn unterstützt.

Eine beunruhigende Konsequenz der US-Diplomatie besteht in ihrer erneuten Stärkung der Rolle des Iran im Irak, da Maliki der bevorzugte Kandidat des Iran für das Amt des Ministerpräsidenten ist. Genau in dem Moment, in dem die USA eine weltweite Kampagne zur Isolierung des Iran aufgrund seines Atomprogramms führen, stärken sie also Irans regionale Position.

Der Streit zwischen den USA und Iran beschränkt sich nicht auf die Atomfrage. Amerikanische Bemühungen, die Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern erneut in Gang zu bringen, stoßen auf entschiedenen Widerstand aus dem Iran. Dieser hält an seiner 30 Jahre alten Politik fest, sich allen Friedensbemühungen in der Region zu widersetzen. Iran übt bedeutenden Einfluss auf sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure aus, deren Unterstützung für langfristigen Frieden im Nahen Osten unverzichtbar ist.

Amerikanische Fehltritte

An erster Stelle ist hier Syrien zu nennen. Der Irak bot den USA nach den Wahlen eine naheliegende Möglichkeit, einen Keil zwischen den Iran und Syrien zu treiben. Während der Iran die schiitischen religiösen Parteien im Irak unterstützt, tendieren Syriens Interessen dort in Richtung eines säkularen Nationalismus, wie ihn die Koalition des früheren Ministerpräsidenten Iyad Allawi repräsentiert, die Maliki in den Parlamentswahlen Anfang des Jahres tatsächlich geschlagen hat.

Nuri al-Maliki und Mahmud Ahmadinejad; Foto: AP
"Eine beunruhigende Konsequenz der US-Diplomatie besteht in ihrer erneuten Stärkung der Rolle des Iran im Irak, da Maliki der bevorzugte Kandidat des Iran für das Amt des Ministerpräsidenten ist", betont al-Istrabadi.

​​Syrien hat Allawi in den vergangenen sieben Jahren unterstützt. Im Zuge des vehementen diplomatischen Drucks, den die USA und Iran zu Gunsten von Maliki ausüben, hat Syrien seine Unterstützung jedoch offenbar entsprechend verlagert.

Die Auswirkungen dieses amerikanischen Fehltritts haben sich bereits bemerkbar gemacht. So fühlte sich der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad dazu ermutigt, während seines provokativen Libanon-Besuchs unter anderem im von der Hisbollah kontrollierten Gebiet nahe der nördlichen Grenze Israels öffentlich aufzutreten.

Die Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, haben sich dem amerikanischen Druck, Maliki zu unterstützen, bislang widersetzt. Sie können nicht vergessen, dass Maliki für die ethnische Säuberung sunnitischer Muslime in Bagdad verantwortlich war. Sie betrachten den Iran – und somit Malikis Nähe zu diesem Land – als existenzielle Bedrohung. Besonders Kuwait, Saudi-Arabien und Bahrain halten den Iran für einen Unruhestifter unter ihren eigenen, großen schiitischen Bevölkerungsgruppen.

Ablehnung von Maliki in der politischen Elite

Iraks politische Eliten wehren sich aus zwei Gründen gegen Malikis Festhalten an einer zweiten Amtszeit. Erstens sind sie erneuten iranischen Versuchen, den Irak zu destabilisieren, überdrüssig. Sicherheitskräfte haben unlängst Selbstmordattentäter abgehalten, vom Iran aus ins irakische Kurdistan zu gelangen, die, so die Überzeugung kurdischer Führer, vom iranischen Geheimdienst unterstützt und ausgebildet wurden.

Selbstmordattentat auf Pilger an der Imam Musa al-Kazim am 08. Juli 2010, Bagdad; Foto: AP
Selbstmordattentat auf Pilger an der Imam Musa al-Kazim Moschee in Bagdad: "Sicherheitskräfte haben unlängst Selbstmordattentäter abgehalten, vom Iran aus ins irakische Kurdistan zu gelangen", schreibt al-Istrabadi.

​​Zweitens hat Malikis Amtszeit denen Sorgen bereitet, die an Demokratie und einen friedlichen Machtwechsel glauben. Er hat Sicherheitskräfte eingesetzt – von denen einige angeblich als Todesschwadronen aktiv waren –, die ihm unmittelbar unterstehen, und die gesetzlich geregelte Befehlskette somit umgangen. Zudem hat er Armee- und Sicherheitsoffiziere durch seine Kumpanen ersetzt.

Als im vergangenen März Gerüchte kursierten, dass Maliki die Abstimmung verliert, erklärte er nachdrücklich, dass die Sicherheit des Staates im Falle seiner Niederlage in Gefahr wäre und betonte seine Verantwortung, die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Als er tatsächlich verlor, verlangte er eine Neuauszählung – nicht als Kandidat, sondern in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber. Die Tatsache, dass es Maliki trotz seiner Amtszeit sieben Monate nach den Wahlen nicht gelungen ist, sich eine zweite zu sichern, zeugt von der weit verbreiteten Ablehnung einer Fortsetzung seiner Führung in der politischen Klasse des Irak.

Erzwungene Demokratisierung

Es gibt nur eine Möglichkeit, wie sich die Entscheidung der USA erklären lässt, derartigen diplomatischen Druck zu Gunsten des iranischen Favoriten im Irak auszuüben: Das von Obama im Zuge seines Präsidentschaftswahlkampfes geleistete Versprechen, sich während seiner ersten Amtszeit aus dem Irak zurückzuziehen.

Obama und al-Maliki in Washington; Foto: AP
"Die Politik der Regierung im Irak stärkt den Iran regional auf Kosten der arabischen Verbündeten Amerikas: Schlechtere Ergebnisse für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA in dieser zentralen Region sind kaum vorstellbar", meint al-Istrabadi.

​​Damit folgt Obama dem Beispiel von Präsident George W. Bush, der die Irakpolitik vom US-Wahlprogramm und nicht von amerikanischen – geschweige denn irakischen – Nationalinteressen diktieren ließ. Die Regierung Bush bestand darauf, dass der Irak verschiedene "Meilensteine" erreichen soll – Wahlen, für die das Land nicht bereit war und die Verabschiedung einer Verfassung innerhalb von sechs Wochen, um nur zwei zu nennen – einfach, um vor den Präsidentschaftswahlen 2004 oder den Zwischenwahlen 2006 wesentliche Erfolge vorweisen zu können.

In ähnlicher Weise versucht die Regierung Obama das zu erzwingen, was sie für den einfachsten Weg hält, eine neue Regierung im Irak zu etablieren – auch wenn sie pro-iranisch ist: Nicht weil es im nationalen Interesse der USA ist, sondern um vor der Kampagne zur Wiederwahl des Präsidenten schneller abziehen zu können.

Die Politik der Regierung im Irak stärkt den Iran regional auf Kosten der arabischen Verbündeten Amerikas, untergräbt Amerikas eigene Bemühungen Frieden im Nahen Osten zu stiften und schwächt die im Entstehen begriffene Demokratie im Irak. Schlechtere Ergebnisse für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA in dieser zentralen Region sind kaum vorstellbar.

Feisal Amin Rasoul al-Istrabadi

© Project Syndicate 2010

Feisal Amin Rasoul al-Istrabadi ist Direktor des Zentrums für Nahoststudien an der Universität von Indiana. Er war von 2004 bis 2007 irakischer Botschafter und stellvertretender ständiger Vertreter des Irak bei den Vereinten Nationen.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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