Kopftuch-Verbot an türkischen Unis bestätigt

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg hat abschließend geurteilt: Demnach ist es rechtens, wenn man in der Türkei von der Universität verwiesen wird, weil man ein Kopftuch trägt.

Näheres von Bernd Riegert

Studentinnen mit Kopftuch, Foto: DW
Sorgt in der Türkei nicht nur in studentischen Kreisen für Unmut: Das Urteil zum landesweiten Koptuchverbot an den Universitäten

​​Die mittlerweile 32-jährige Türkin Lelya Sahin hatte sich auf Religionsfreiheit und das Recht auf Bildung berufen und vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EuGH MR) geklagt. Sie war in der Türkei vom Medizinstudium ausgeschlossen worden, weil sie ein Kopftuch trug. Nun hat das Gericht abschließend über die Klage entschieden - und das Verbot in letzter Instanz bestätigt.

Religiöse Rechte nicht beeinträchtigt

Mit 16 zu einer Stimme wiesen die Richter die Klage ab. Die Rechte auf freie Religionsausübung und Bildung seien durch das Kopfttuchverbot an der Universität von Istanbul nicht verletzt worden.

Die in der türkischen Verfassung festgelegte Trennung von Staat und Kirche erlaube es, religiöse Kleidungsstücke zu verbieten. Diese Regelung verstoße nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, über die der Straßburger Gerichtshof zu wachen hat. Davon sei im übrigen nicht nur die muslimische Relgionsgemeinschaft betroffen.

Sahin, die 1998 vom Rektor der Istanbuler Universität vom Medizinstudium ausgeschlossen worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht ablegen wollte, hatte sich durch die Instanzen geklagt. Sie lebt seit 1999 in Wien und hat dort ihr Studium fortgesetzt. Im Juni 2004 hatte die erste Kammer des Gerichts die Klägerin ebenfalls abgewiesen.

Bestätigung für Laizisten

Das Urteil hatte zu einer heftigen innenpolitischen Debatte in der Türkei geführt. Die Anhänger eines strikten Laizismus fühlten sich bestätigt. Das Kopftuch ist für sie ein Instrument des radikalen Islam.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dagegen betrachtet das Tragen des Kopftuches auch in öffentlichen Einrichtungen als Menschenrecht. Seine religös orientierte AK-Partei hatte im Wahlkampf vor drei Jahren versprochen, das Kopftuch-Problem zu lösen.

Erdogans Anhänger hatten argumentiert, spätestens bei Aufnahme der Türkei in die Europäische Union müssten die strikten Kleidungsvorschriften fallen. Denn schließlich sei es in vielen EU-Staaten Schülerinnen und Studentinnen erlaubt, im Unterricht Kopftuch zu tragen. Selbst im strikt laizistischen Frankreich sind Kopftücher an privaten Universitäten erlaubt.

Besondere Symbolik des Urteils für die Türkei

Der Verband der Hochschulrektoren in der Türkei wehrt sich seit Jahren dagegen, dass Anfang der 1990er Jahre eingeführte Kopftuchverbot zu lockern. Der türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer achtet ebenfalls auf die strenge Trennung von Religion und Staat. Er vermeidet es die Ehefrau von Ministerpräsident Erdogan zu offiziellen Empfängen einzuladen, denn Emine Erdogan trägt demonstrativ ihr Kopftuch.

Besondere Symbolik erfährt das Urteil aus Straßburg vom 10. November in der Türkei auch deshalb, weil es am Todestag des Staatsgründers Atatürk ergeht, der den Laizismus in der Türkei begründet hat.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wurde 1959eingerichtet. Er überwacht die Einhaltung der Europäischen Konvention für Menschenrechte. Seiner Rechtssprechung unterwerfen sich alle 46 Mitglieder des Europarates, zu denen auch die Türkei zählt.

Bernd Riegert

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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