Frankreich als politisches Gravitationszentrum?

Nicolas Sarkozy konnte mit der Gründung der Mittelmeerunion einen Erfolg als Friedensvermittler in Nahost verbuchen. Aber wie viel Substanz hat das neue Bündnis, und welche strategischen Überlegungen stehen dahinter? Einzelheiten von Bernard Schmid aus Paris

Symbolbild Sarkozy/Mittelmeerunion; Foto: DW
Sieht sich als Initiator der Union für das Mittelmeer und Pate eines neuen Friedensprozesses in Nahost - Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy

​​Über die NATO gab es dereinst das Bonmot – geprägt in den 50er Jahren von ihrem damaligen Generalsekretär Lord Ismay –, sie sei ein Instrument, "um die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten".

Dies reflektierte wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Konsens unter den westlichen Alliierten der früheren Anti-Hitler-Koalition.

Analog dazu ließe sich zu der von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy initiirten und am vergangenen Sonntag offiziell gegründeten "Union für das Mittelmeer" (Union pour la Méditerranée, UPM) sagen, sie sei ein Instrument, um "Frankreich in der Mitte, den Maghreb und Afrika unten, sowie die unerwünschten Migranten draußen zu halten". Frankreich in der Mitte, das bedeutet: Paris als politisches Gravitationszentrum.

Diese Rechnung ist nun vorerst nicht aufgegangen, denn rivalisierende Mächte innerhalb der Europäischen Union – allen voran Deutschland und Spanien – intervenierten und sorgten dafür, dass der Plan ordentlich eingedampft wurde. Die neue Union der Mittelmeerländer wird nicht, wie ursprünglich geplant, rund um Frankreich als politisch und ökonomisch stärkster Anrainerstaat, sondern rund um die EU insgesamt strukturiert werden.

Markierung globaler Einflusszonen

Dahinter stehen ernsthafte geopolitische Auseinandersetzungen, bei denen es um die Absteckung und Neuaushandlung globaler Einflusszonen geht. Während Frankreich seine politischen und energiepolitischen Interessen in der Mittelmeerregion intensiver verfolgt, orientieren sich andere europäische Länder wie Deutschland, aber auch Polen und Schweden eher in Richtung Ukraine oder Russland.

Die unterschiedlichen Vorstellungen über die Ausrichtung der EU haben im komplexen innereuropäischen Gebilde für reichlich Spannungen gesorgt. Insbesondere der heißspornige Aktionismus eines Nicolas Sarkozy kollidierten immer wieder mit der strategischen Sachlichkeit Angela Merkels.

Angela Merkel und Nicolas Sarkozy auf dem Mittelmeer-Gipfel; Foto: AP
Politische Kontrahenten im Wettbewerb um die Führungsrolle in der Mittelmeer-Union: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy

​​Beim Treffen in Paris hatte Sarkozy "in die Vollen gegriffen" und erklärt, dass das Ziel für die Mittelmeer-Union sei, "dass wir lernen, einander zu lieben, anstatt uns zu hassen und Krieg zu führen."

Es war der schwedische Außenminister Carl Bildt, der dann ein bisschen aus der Reihe tanzte und den Spielverderber abgab: Er verkündete, die Gründung der "Union für das Mittelmeer" sei zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber – fügte er vor dem Hintergrund vollmundiger Friedensbekundungen hinzu – auch sie werde "die Welt nicht an einem Tag verändern."

Durch die Einbeziehung der gesamten Europäischen Union gewinnt die neu geschaffene Union zwar an räumlicher Ausdehnung: Sie umfasst nun immerhin zwölf Millionen Quadratkilometer und 775 Millionen Einwohner und reicht bis an den nördlichen Rand der EU. Doch gleichzeitig hat sie deutlich an Integrationskraft verloren. Und die nördlichen und östlichen Mächte innerhalb der EU werden als "notorische Bremser" auftreten.

Da die UPM zudem bislang nicht über einen eigenen Haushalt verfügt, sondern auf die Gelder aus den Töpfen der EU sowie auf projektbezogene Mittel der Mitgliedsstaaten angewiesen sein wird, dürften die großspurigen Ankündigungen nicht allzu schnell von greifbaren Taten begleitet werden.

Gemeinsame Politik mit den ehemaligen Kolonien

Eine wichtige Ausnahme konnte allerdings durchgesetzt werden: Bei der Abwehr unerwünschter Einwanderer – aus den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten ebenso wie aus dem subsaharischen Raum –, wird die EU alsbald noch "effizienter" als bereits heute mit den Staaten des Mittelmeerbeckens zusammenarbeiten. Staaten wie Marokko und Libyen spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Zum ersten Mal erörterte Sarkozy seine Ideen von der "Mittelmeerunion" und "Eurafrika" anlässlich eines Auftritts in Toulon am 7. Februar 2007. Damals war er noch Wahlkämpfer und Präsidentschaftskandidat der Rechten.

Grafik/Arabisch; Foto: DW
Die nördlichen und südlichen Mittelmeeranrainerstaaten der neuen Union aus arabischer Sicht

​​Seine Rede in Toulon widmete Sarkozy zum Großteil der Rechtfertigung der französischen Kolonialvergangenheit – und der rhetorischen Abwehr einer imaginären "Verpflichtung zur Reue, zum nationalen Büßertum". Um sodann von der kolonialen Vergangenheit zu den fulminanten Plänen für die Zukunft überzuschwenken.

Nun hat Frankreich einen wichtigen diplomatischen Erfolg insofern erzielt, als dass es Syrien am Vortag des Gipfels sowie am Rande des UPM-Konferenz dazu veranlasste, seine diplomatische Anerkennung des Nachbarlands Libanon sowie Schritte zur Aussöhnung mit dem Staat Israel zu verkünden.

Dies kam keineswegs spontan, vielmehr hat Frankreich in einjähriger, zäher Diplomatie darauf hingearbeitet und seinen Einfluss in der Region geltend gemacht.

Frankreichs Rolle in Nahost

Im Libanon, wo Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg "Protektoratsmacht" – mit einem Mandat des Völkerbunds ausgestattet – war, behält es noch immer einen wichtigen Einfluss auf die Wirtschaft und auch auf den Banken- und Finanzsektor.

Und nicht zufällig lebt Ex-Präsident Jacques Chirac seit seiner Pensionierung in einem Pariser Wohnhaus, das der Familie des 2005 ermordeten libanesischen Ex-Premiers und Multimillionärs Rafiq Hariri gehört.

Frankreichs Präsident Sarkozy (Mitte) während des Mittelmeerunion-Gipfels neben Ehud Olmert und Mahmud Abbas (links); Foto: AP
Neue Perspektiven und Impulse für den Nahost-Friedensprozess? Frankreichs Präsident Sarkozy (Mitte) während des Mittelmeerunion-Gipfels neben Ehud Olmert und Mahmud Abbas (links).

​​Syrien winkt für sein Entgegenkommen nun eine Belohnung: Wenn die USA am Ende der Bush-Ära doch noch massiv gegen den Iran vorgehen sollten, wird Syrien nichts abbekommen. Erklärte Nicolas Sarkozy doch am letzten Sonntag, es sei ein "historischer Irrtum" gewesen, Syrien mit dem Terrorismus im Libanon – besonders mit dem Attentat von Drakkar 1983, bei dem 258 französische Soldaten starben – in Verbindung zu bringen.

Vielmehr sei ganz allein der Iran schuld gewesen. Dies ist ein Wink mit dem Zaunpfahl an US-Präsident Bush. Syrien verhielt sich denn auch zurückhaltend und kündigte sogar an, "normale diplomatische Beziehungen" zu Israel ins Auge fassen zu wollen, wenn es einen umfassenden Friedensvertrag geben werde und wenn für die Rückgabe der von Israel besetzten Golanhöhen garantiert werde.

Sarkozy sieht sich bereits als "Pate eines neuen Friedensprozesses" - ähnlich wie Bill Clinton beim "Oslo-Prozess" in den frühen 90ern, und in seiner internationalen Rolle bestätigt.

Ob die Freude von langer Dauer sein wird, ist offen: Am Tag des Pariser Gipfels hielt Israel Militärmanöver auf den seit 1967 besetzten Golanhöhen ab, und Syriens Präsident Assad blieb während der Rede von Ehud Olmert in Paris auf Distanz zum israelischen Ministerpräsidenten.

Bernard Schmid

© Qantara.de 2008

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