Die ganze Welt ist ein Mülleimer

Die Umwelt ist in Ägypten ernsthaft bedroht – aber an Umweltbewusstsein mangelt es. Die globale Klimaerwärmung wird von führenden Denkern als Hirngespinst des Westens abgetan. Ein Bericht von Joseph Mayton

Stadtansicht von Kairo; Foto: Wikipedia Commons
Die massive Luftverschmutzung in Kairo gibt Anlass zur Besorgnis: Messungen der Luftqualität belegten einen gefährlich hohen Anteil an Blei, Kohlendioxid und Schwefeldioxid.

​​ Die jungen Geschäftsleute, die gerade in einem von Kairos teuersten Restaurants gegessen haben, erheben sich von ihren Stühlen und lassen ihre Servietten nonchalant in die Fluten des ohnehin schon schmutzigen Nils fallen. Dass ein Gemeinwesen auch schützenswert sein kann, dafür gibt es hier in Ägypten wenig Bewusstsein.

Umweltschutz und umweltpolitischer Aktivismus sind hier unbekannt, auch weil sie so gut wie gar nicht vorkommen. Darin unterscheidet sich Ägypten wenig von anderen Regionen des Nahen Ostens. Aber die Probleme werden immer gravierender: Wassermangel, ein Anstieg des Meeresspiegels, Umweltverschmutzung. Ganz zu schweigen von der Degeneration der Meeresbiologie und der realen Gefahr, dass in direkter Folge der Klimaerwärmung eines Tages die gesamte Nil-Deltaregion im Meer versinkt.

Müllwiese mit ein bisschen Rasen

Die Sudanesin Omnia Amr ist Umweltaktivistin und Gründerin von Eco Options Egypt, einer Organisation, die mit Veranstaltungen und einer Website zu mehr Umweltbewusstsein beitragen will. Eine große Umweltbewegung auf die Beine zu stellen, sei in der Region sehr schwierig, meint sie. Es mangele an Bewusstsein dafür, dass man mit dem Gemeinwesen ebenso verantwortungsvoll umgehen sollte wie mit den eigenen vier Wänden.

Ölpest vor der Küste von Hughada; Foto: AP
Die Ölkatastrophe vor der Küste von Hughada im Juni dieses Jahres war für viele Umweltorganisationen der Anlass, höhere Sicherheitsstandards für Tiefseebohrungen zu fordern.

​​ Sie hat recht. Auf den Straßen, ja überall im öffentlichen Raum liegt in Ägypten jede Menge Müll herum. Oft heißt es, das ganze Land sei ein einziger großer Mülleimer. Ein Scherz. Aber es ist auch etwas dran.

Wenn Organisationen und Aktivistengruppen wie Eco Options Egypt mehr Umweltbewusstsein im Alltag propagieren oder die Hurghada Environmental Protection and Conversation Agency (HEPCA) eine Kampagne gegen den Verkauf von Haifisch-Fleisch in den Läden der französischen Supermarktkette Carrefour startet, interessiert das außerhalb der Aktivistenkreise so gut wie niemanden.

Belächelt und ignoriert

Die Umweltbewegung wird belächelt und von den lokalen Medien links liegen gelassen, sagen Amr und die anderen Umweltaktivisten. Umweltschutz wird als etwas Fremdes, etwas Westliches angesehen. Die Bewegung muss erst noch Fuß fassen.

Spielende Kinder in der Nähe eines Industriekomplexes; Foto: AP
"Es liegt was in der Luft": In Kairo existiert eine große Anzahl von Blei- und Kupferschmelzanlagen, welche die Umwelt massiv belasten.

​​ Dabei haben sich mittlerweile etliche Umweltschutzgruppen, darunter auch HEPCA, nachdrücklich zu Wort gemeldet. Sie machen auf die zerstörerischen Auswirkungen von CO2-Emissionen, Offshore-Bohrungen und Tourismus auf das maritime Leben und die Korallenriffe des Roten Meers aufmerksam. Vor einem Jahrzehnt gehörte Scharm El-Scheich noch zu den schönsten Tauchgewässern der Welt. Heute ist der Großteil der Korallenriffe in Küstennähe grau geworden und stirbt ab. Da immer wieder Ölverschmutzungen wie jene vom Juni dieses Jahres das Ökosystem des Meeres-Wassers in Mitleidenschaft ziehen, haben die maritimen Lebensformen sich weiter in den Süden zurückgezogen.

Symbiotische Beziehung zur Natur

Über sehr lange Zeit hinweg haben die Menschen im Nahen Osten im Einklang mit der Natur gelebt. Der Nil spendete dem alten Ägypten Leben, zwischen dem Fluss und den Menschen bestand eine symbiotische Beziehung. Das moderne Ägypten will nun die Natur beherrschen, doch die Umweltfolgen sind verheerend. Man hält sich für die Herren des Planeten, und der sichtbare Ausdruck dieser Haltung besteht darin, dass Zigarettenkippen, Plastikflaschen und Fleischreste achtlos auf die Straße geworfen werden.

"Es gibt den Klimawandel überhaupt nicht", sagte unlängst ein christlicher Geistlicher in Kairo. "Das ist nur ein Mythos, den der Westen sich ausgedacht hat, um uns wegzunehmen, was uns zusteht."

Satellitenbild vom Nil-Delta; Foto: Wikipedia Commons
"Es gibt den Klimawandel überhaupt nicht... Das ist nur ein Mythos, den der Westen sich ausgedacht hat, um uns wegzunehmen, was uns zusteht": Diese Meinung erfreut sich unter den Intellektuellen Ägyptens durchaus einer gewissen Verbreitung.

​​ So sieht es auch Abdel Moneim Said, Leiter des Al-Ahram Center for Strategic and Political Studies, einer staatlichen Stiftung, die die Regierungszeitung mit dem gleichen Namen herausgibt. In der Februar-Ausgabe zitierte Moneim Said aus einem Fernsehinterview, das er mit dem tschechischen Präsidenten Václav Klaus geführt hatte. Der globale Klimawandel sei möglicherweise gar nicht das, was sogenannte "Wissenschaftler" aus dem Westen uns glauben machen wollten, schrieb Moneim Said. Auch früher habe es schon steigende Temperaturen gegeben, die Natur haben eben "ihre eigenen Gesetze" und werde schon von selbst wieder "ins Gleichgewicht finden".

Für Umweltschutzaktivisten ist es natürlich nicht gerade motivierend, dass führende Intellektuelle die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den globalen Klimawandel in Folge von CO2-Emissionen immer wieder in Frage stellen.

Eine Frage der weltweiten Sicherheit

Mungeth Mehyar, Direktor von “Friends of the Earth Middle East” (FoEME), eines Dachverbands von Umweltschutzorganisationen der Region, meint hingegen, Ägypten und der Nahe Osten sollten sich auf die Folgen der Umweltverschmutzung besser vorbereiten.

"Wenn wir uns nicht wappnen, wird das nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, sondern auch auf die nationale, regionale und weltweite Sicherheit", erklärt Mehyar. "Wir müssen die Folgen des Klimawandels möglichst abschwächen und uns an die veränderten Bedingungen, die uns vorausgesagt werden, möglichst anpassen."

Warum aber gibt es so wenig Umweltbewusstsein in Ägypten? Das liegt nicht zuletzt am Bildungssystem des Landes. "What's really wrong with the Middle East", lautet der Titel einer exzellenten Studie von Brian Whitaker. Die Lehrpläne der ägyptischen Schulen sind ganz auf stures Pauken ausgerichtet. Bürger- oder Umweltbewusstsein passen mit diesem autoritären Erziehungsansatz nicht zusammen. Wo die innovativen Denker herkommen sollen, die für die drängenden Umweltprobleme Lösungen finden könnten, ist schwer zu sagen.

Dabei hat Ägypten durchaus eine bürgerliche Gesellschaft, die sogar recht aktiv ist. Dem gesellschaftlichen und politischen Klima zum Trotz gibt es allein in Kairo hunderte von NGOs, die sich voller Enthusiasmus um die unterschiedlichsten Bereiche kümmern und immer häufiger Veränderungen bewirken. Die Hurghada Environmental Protection and Conversation Agency konnte kürzlich stolz verkünden, dass in den ägyptischen Carrefour-Filialen künftig kein Haifisch-Fleisch mehr verkauft wird. Vielleicht gibt es also noch Hoffnung.

Joseph Mayton

© Qantara.de 2010

Übersetzung aus dem Englischen: Ilja Braun

Joseph Mayton ist ein amerikanischer Journalist und lebt in Kairo. Zurzeit arbeitet er an einem Buch über die ägyptischen Muslimbrüder. Er ist Gründer und Herausgeber der Website Bikya Masr

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de.

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