Ulrich Hanisch, 21. September 2004

zu: Wahlkampf-Theater um EU-Beitritt, von Baha Güngör

Anlässlich der rechtsradikalen Wahlerfolge des letzten Wochenendes in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern wurde in den Medien vielfach über die Ursachen von Populismus und Wahlprotest diskutiert. Eine wesentliche Ursache ist die viel zu oft fehlende Authentizität und Glaubwürdigkeit der politischen Klasse.

In Hinblick auf Authentizität und Glaubwürdigkeit steht das aktuelle Wahlkampfmanöver der Union in einer Reihe mit dem unsäglichen Persilschein von Kanzler Schröder, die Wahlen in Tschetschenien seien demokratisch geführt worden, es steht in einer Reihe mit der Verlogenheit, mit der US-amerikanische Kriegsveteranen den mehrfach ausgezeichneten Präsidentschaftskandidaten Kerry zu diskreditieren versuchen, es steht in einer Reihe mit der kindischen Ambivalenz des amtierenden Präsidenten Bush, der in seinen Reden gegen den islamistischen Extremismus wettert, um dann seine Reden mit Gottes Segen zu beenden.

Die größte Gefahr für die Demokratie geht nicht aus vom Islamismus oder von weltweiter Rezession, sondern von der Unfähigkeit unserer eigenen politischen Klasse. Rechthaberei statt Rechtschaffenheit, Verdummung statt Aufklärung, Stimmungsmache statt Humanismus, Ambivalenz statt Konsequenz: das sind die Zutaten, die unser demokratisches Selbstverständnis entkernen und die als Bumerang die Demokratie bedrohen.

In einer ganzheitlichen Bilanzierung ergeben sich interessante Gegensatzpaare, die einander bedingen: übergewichtige Fastfood-Kinder und ihren Körper aufgebende Selbstmordattentäter, der Lobbyismus multinationaler Konzerne und die subjektive Ohnmacht der islamischen Dritten Welt, ein antichristliches God Save America und ein entarteter Djihad...

In diesem Dickicht ist mir Ankara näher als Washington. Das gesetzliche Verbot des Ehebruchs ist salopp interpretiert eine Skurrilität, ernst genommen ist es zutiefst christlich. Aber ob ein deutscher Tourist, der in Istanbul die Ehefrau seines Hoteliers beischläft, anschließend wirklich gesteinigt wird, sollte man vielleicht erst einmal abwarten.

Vielleicht schafft es die Christdemokratische Union ja noch, die Kirche im Dorf zu lassen.

Mit freundlichen Grüssen –

Ulrich Hanisch