Kulturtransfer auf steinigen Routen

Zwar hatte man sich insbesondere in Ägypten schon früh um die Übertragung von Werken aus europäischen Sprachen bemüht; doch konnten solche Initiativen im arabischen Sprachraum bis heute nicht gebündelt und systematisch vorangetrieben werden. Von Khalid Al-Maaly

Khalid Al Maaly, Foto: Privat
Eine Koordination zwischen den arabischen staatlichen Institutionen, die Übersetzungen herausgeben, gibt es nicht - ebenso wenig existiert ein Konzept, meint der Verleger Khalid Al Maaly

​​Die Übersetzung war im 19. Jahrhundert ein entscheidender Auslöser der modernen arabischen Renaissance (Nahda).

Eine Aufholjagd nach Wissen und Fortschritt setzte ein: Schulen und Universitäten wurden gegründet, Mädchen erhielten Zugang zur Bildung, die Kunst des Romans und das Theater fanden Eingang in die arabische Kultur, eine blühende Zeitungslandschaft entstand, auch die Anfänge des Radios und des Kinos gehen auf diese Zeit zurück.

Unter dem Einfluss des Kalten Krieges und innerer Divergenzen ist die arabische Renaissance dann endgültig zu Grabe getragen worden, nachdem sie bereits Jahrzehnte zuvor ihre Lebendigkeit eingebüsst hatte.

Heute, fast 100 Jahre nach der Blütezeit der Nahda, sind die Statistiken ernüchternd: Niedergang des Niveaus der wissenschaftlichen Forschung, mangelnde Professionalität beim Zeitungsgewerbe, zurückgehende Auflagenhöhe und sinkende Qualität der Übersetzungen im Verlagswesen.

Pioniere der Übersetzungskultur

Unter dem Motto "Die Übersetzung und die Wissensgesellschaft" organisierte der Supreme Council for Culture - die angesehenste arabische Institution, die Übersetzungen ins Arabische fördert und herausgibt - unter der Schirmherrschaft von Susan Mubarak, der Ehefrau des ägyptischen Staatspräsidenten, einen internationalen Kongress.

Namhafte arabische und ausländische Übersetzer waren eingeladen, und einige ausländische Übersetzer wurden für ihre Leistungen im Dienst der arabischen Literatur geehrt, etwa der verstorbene französische Orientalist Jacques Berque, der Amerikaner Roger Allen und der Deutsche Hartmut Fähndrich.

Mit dieser internationalen Veranstaltung feierte der Supreme Council for Culture das tausendste übersetzte Buch, das er im Rahmen des "Nationalen Übersetzungsprogramms" herausgegeben hatte.

Ägypten war das erste arabische Land, das sich um die systematische Pflege der Übersetzungskultur bemühte: 1836 wurde das Sprach- und Übersetzerinstitut Dar al-Alsun in Kairo gegründet.

Danach gab es im arabischen Raum immer wieder Initiativen für ähnliche Institutionen; es handelte sich jedoch um staatliche oder staatlich geförderte Stellen mit entsprechend begrenzter Freiheit, wie beispielsweise die Kulturministerien in Syrien, Kuwait, dem Irak oder Ägypten.

Die Angst vor der Verletzung politischer oder religiöser Tabus führte Übersetzer und Zensoren dazu, die Übersetzungen zu "stutzen" oder sich von den publizierten Inhalten zu distanzieren.

So liest man in allen Übersetzungen des Supreme Council: "Die Ideen, die in diesem Buch dargelegt werden, sind die Interpretationen der Autoren und spiegeln nicht die Meinung des Supreme Council for Culture wider."

Ein kluger Schachzug, um die Zensur zu umgehen. Aber in einigen arabischen Ländern wie Syrien, Kuwait oder den Vereinigten Arabischen Emiraten ist sogar das nicht möglich.

Eine Koordination zwischen den arabischen staatlichen Institutionen, die Übersetzungen herausgeben, gibt es nicht, ebenso wenig existiert ein Konzept: Welche Bücher übersetzt werden, hängt vom Zufall ab.

Übersetzer reichen Vorschläge ein, oder die Titel werden von den staatlichen Stellen in Auftrag gegeben. Die in der arabischen Welt seltenen privaten Kulturinstitutionen - etwa die Abdalmuhsin-al-Qattan-Stiftung in Palästina, die Sultan-al-Uwaiyis-Stiftung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Abdalhamid-Shuman-Stiftung in Jordanien oder die Abdalaziz-al-Babtain-Stiftung in Kuwait - schaffen da kein Gegengewicht.

Mit Ausnahme der erstgenannten Institution funktionieren auch sie praktisch ohne jede Systematik. Dementsprechend existiert beispielsweise kein Projekt zur Edition der Gesamtwerke wichtiger Denker und Autoren auf Arabisch: Die gesammelten Werke von Shakespeare und Molière auf Arabisch sind ein Ergebnis vereinzelter Initiativen der Arabischen Liga aus den sechziger Jahren, García Lorca folgte vor einigen Jahren.

Aber leider mag man diese Übersetzungen wegen ihrer mangelhaften Qualität oft kaum in seiner Bibliothek aufbewahren.

Umweg über dritte Sprachen

Die meisten Übersetzungen ins Arabische basieren auf englischen und französischen Texten, weitere wichtige Sprachen sind Spanisch und zur Zeit der Sowjetunion Russisch. Selten sind Übertragungen aus anderen europäischen Sprachen sowie aus dem Japanischen, Chinesischen, Farsi, Türkisch und Hebräisch.

So liegen Werke von Jürgen Habermas lediglich in einer schlechten Übertragung aus dem Französischen vor, erschienen in Syrien. Einige Werke von Nietzsche, ebenfalls aus dem Französischen, wurden in Marokko verlegt. In Syrien erschien "Der Antichrist" von Nietzsche in einer Übersetzung aus dem Italienischen.

Ein grosses Problem für die Übersetzer ist die schlechte Ausstattung der öffentlichen Bibliotheken und der Buchhandlungen. Man findet durchaus internationale Buchhandlungen in Libanon, Tunesien oder Marokko, die aktuelle ausländische Bücher führen.

Aber in den meisten arabischen Städten existieren, im Gegensatz zu den 1960er Jahren, keine internationalen Buchhandlungen mehr. Wie soll ein arabischer Übersetzer, der genauso wie die meisten Menschen in seinem Land über bescheidene Mittel verfügt, Zugang zu wichtiger Literatur auf Englisch oder Französisch finden? Die wenigsten sind im Besitz einer Kreditkarte, um Bücher übers Internet zu bestellen.

Ruf nach einer neuen Ordnung

Für seriöse Verlage wiederum stellt der laxe Umgang mit dem Copyright eine Schwierigkeit dar. Da nach wie vor viele staatliche Institutionen und private Verlage sich nicht um den Kauf der Rechte kümmern, existieren oft mehrere Übersetzungen eines Buches, wie beispielsweise bei Kundera und Süskind.

Und wenn ein arabischer Verleger im Besitz der Rechte sein sollte, dann erscheint ihm die Konfrontation mit einer arabischen staatlichen Stelle, die sich zur Herausgabe desselben Titels entschlossen hat, nicht besonders reizvoll und erfolgversprechend.

Angesichts dieser Probleme schlossen sich die Kongressteilnehmer dem von Jabir Asfur, dem Präsidenten des Supreme Council for Culture, geäusserten Wunsch nach der Ausarbeitung eines Übersetzungskonzepts an.

Darin soll darauf insistiert werden, dass Übersetzungen aus der Originalsprache vorgenommen und Copyright-Bestimmungen respektiert werden, dass der direkte Kontakt zu Verlegern oder Literaturagenten zu suchen und die Willkür bei der Auswahl der zu übersetzenden Titel zu vermeiden ist.

Weitere wichtige Forderungen sind die angemessene Honorierung der Übersetzer und die Ausdehnung des Projekts auf die Förderung von Übersetzungen aus dem Arabischen. Diese letzte Forderung, so wichtig sie auch ist, kann leicht das Ziel verfehlen, wenn sie den gleichen Zwängen unterliegt wie alle anderen staatlichen Übersetzungsprojekte.

Diese Forderungen waren an Susan Mubarak gerichtet. Von ihr wird es abhängen, ob das "Nationale Übersetzungsprogramm" weiter unterstützt wird. Ein Schritt von sehr vielen, die staatliche und private Institutionen in der arabischen Welt leisten müssen, damit das kulturelle Leben erwachen kann.

Khalid Al-Maaly

© Khalid Al-Maaly/Qantara.de 2006

Erstmalige Veröffentlichung des Artikels in der Neuen Zürcher Zeitung

Qantara.de

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