Ein fester Ansprechpartner für die Politik

Deutschlands türkischstämmige Politiker wollen verstärkt die Integration von türkischen Einwanderern verbessern und gemeinsame politische Interessen wahrnehmen. Vedat Acikgöz hat eines ihrer Treffen besucht.

Deutschlands türkischstämmige Politiker werden immer aktiver. Ihr Ziel: Die Integration von türkischen Einwanderern zu verbessern und gemeinsame politische Interessen wahrnehmen zu können. Vedat Acikgöz hat eines der Politiker-Treffen besucht.

Foto: privat
Die Alltagsprobleme türkischer Migranten seien oftmals ähnlich und erforderten eine parteiübergreifende Zusammenarbeit, meint PDS-Politiker Musa Özdemir

​​Mehr als 20 türkischstämmige Politiker aus unterschiedlichen deutschen Parteien trafen sich kürzlich bei Bonn. Insgesamt gibt es in deutschen Parlamenten oder vergleichbaren Gremien auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene bislang rund 50 türkischstämmige Abgeordnete. Sie diskutierten, wie sie bei Fragen, die die türkisch-muslimische Community in Deutschland betreffen, künftig besser zusammenarbeiten könnten.

Denn egal ob sozialdemokratisch, grün, konservativ oder am äußeren linken Rand des Parteienspektrums angesiedelt: Alle diese Politiker eint, dass sie entweder selbst eingewanderte Türken oder Nachfahren dieser ehemals so genannten "Gastarbeiter" sind: Türkischstämmige Bürger mit deutschem Pass, die in Deutschland längst heimisch geworden sind.

Türkische Einwanderer in deutschen Parteien - das ist bereits ein Stück gelebte Integration. Aber die türkischstämmigen Politiker sind überzeugt, dass dies allein noch nicht ausreicht und die spezifischen Interessen türkischer Muslime noch stärker in die deutsche Politik und Gesellschaft hineingetragen werden müssen.

Parteiübergreifende Zusammenarbeit

Zwar habe man unterschiedliche Meinungen und Parteibücher, sagt etwa Musa Özdemir von der linken 'Partei des Demokratischen Sozialismus' (PDS). Aber die Alltagsprobleme türkischer Migranten seien oftmals ähnlich und erforderten eine parteiübergreifende Zusammenarbeit.

"Wenn deutsche Politiker über bestimmte türkische Themen sprechen oder auf Fragen antworten, erklären sie oft, dass sie selbst kaum Ahnung davon haben", meint Özdemir. "Aber zugleich werfen sie uns türkischen Politikern vor, dass es keinen festen Ansprechpartner gebe, weder als Person noch als Organisation. Deshalb ist dieser Schritt sehr wichtig."

Nur wenn die türkischstämmigen Politiker ein gemeinsames Netzwerk aufbauen und sich organisieren, könnten sie zu einem festen Ansprechpartner für die Politik werden. Dann müssten sie wiederum auch als Ansprechpartner akzeptiert werden, so Özdemir.

Erstmals hatten sich die türkischstämmigen Politiker Ende letzten Jahres in Berlin zum parteiübergreifenden Meinungsaustausch getroffen. Das Themenspektrum war groß, die Ansichten zu einzelnen Themen können aber durchaus auseinander gehen - wie auch in der Türkei selbst:

Auch dort gibt es sehr kontroverse Debatten, etwa zur Frage des Kopftuchtragens in öffentlichen Einrichtungen. Diese spiegeln sich auch im Zusammenleben der türkischen Community in Deutschland wider.

Thema Religion als politischer Dauerbrenner

Neben Fragen der gesellschaftlichen Integration und Partizipation von türkischen Migranten dürfte bei den türkischen Politiker-Treffen in Zukunft vor allem das Thema Religion zum Dauerbrenner werden.

So hat beispielsweise der türkischstämmige Grünen-Politiker Ali Ertan Toprak aus der Ruhrgebiets-Stadt Recklinghausen beobachtet, dass die Religion im Alltag vieler türkischer Migranten eine immer größere Rolle spiele.

Aber selbst Türken, die sich gar nicht oder nur wenig mit dem Islam identifizierten, würden immer wieder mit Fragen zu diesem Thema konfrontiert, meint Toprak:

"Wir haben dieses Thema bisher noch nicht detailliert diskutiert. Aber wir haben uns gefragt, über welche Themen wir in Zukunft detaillierter diskutieren sollten. Und der Islam ist eines dieser Themen - auch wenn er nicht komplett im Vordergrund steht."

Seit dem 11. September werde jedoch viel über den Islam diskutiert. Und weil die Menschen aus der Türkei die größte muslimische Gruppe in Deutschland darstellen, sei es auch für die türkischstämmigen Politiker ein wichtiges Thema, sagt Toprak.

Ähnlich sieht dies der türkischstämmige PDS-Politiker Musa Özdemir aus Berlin. Er bedauert, dass der Islam erst in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema in Deutschland geworden sei. Aus integrationspolitischer Perspektive hätten viele Fragen bereits früher erörtert werden müssen.

"Wenn wir zehn Jahre zurückschauen, dann war der Islam damals für viele hier in Deutschland noch überhaupt kein Thema", so Özdemir. "Niemand hat bis vor zehn Jahren gesehen, dass die Menschen einen ordentlichen Platz zum Beten brauchten, um ihren religiösen Pflichten nachzugehen."

Integrationspolitischer Nachholbedarf

In Hinterhöfen oder alten Fabrikgebäuden hätten diese Menschen Moscheen eröffnet und Koran-Kurse für ihre Kinder angeboten. Nun müsse man die Konsequenzen aus den Fehlern der Vergangenheit ziehen und nach Lösungen suchen, sagt Özdemir.

"Ich bin überzeugt, dass wir türkischen Politiker in der Lage sind, hier partei-unabhängig zu denken und solche Probleme so zu lösen, so dass die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland nicht negativ beeinflusst wird."

Allerdings wissen die türkischstämmigen Politiker, dass es nicht immer einfach ist, über Parteigrenzen hinweg gemeinsam zu handeln. Und das nicht nur, weil etwa die Christdemokraten eine ganz andere Türkei-Politik verfolgt als die deutschen Sozialdemokraten und Grünen. Sondern auch, weil innerhalb der türkischen Community in Deutschland viele Konflikte aus der Türkei fortwirken.

Die türkischstämmigen Politiker wollen innerhalb der Migrantenszene Brücken bauen, sagt der Grünen-Politiker Toprak: "Leider transportieren türkische Migranten, die in Deutschland leben, bis heute ihre Probleme aus der Türkei nach Deutschland. Deshalb ist die türkische Community in tausend Stücke gespalten."

Auch bei gemeinsamen Problemen und Interessen könnten sie oft nicht gemeinsam handeln, so Toprak. "Aber die Menschen hier sind, sind in Deutschland sozialisiert. Und sie vertreten deutsche Parteien und handeln nach einem Demokratieverständnis, das wir in Deutschland haben. Deshalb wollen wir hier auch zeigen, dass es anders geht - und dass Menschen mit unterschiedlichsten Meinungen zusammenkommen können."

Nur gemeinsam könne man die Probleme lösen, meint auch Ayse Jerfi Hein von der CDU. Sie hofft, dass sich künftig noch mehr Türken in deutschen Parteien engagieren werden.

Um erfolgreich die Probleme zu lösen, müssten viel mehr türkischstämmige Politiker in verantwortungsvollen Positionen tätig werden. Die Parteien sollten ihnen daher verstärkt diese Aufgaben anvertrauen.

Vedat Acikgöz

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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