Vorsichtige Annäherung im Nordirak

Die türkisch-kurdischen Beziehungen blicken auf eine schwierige, von Konflikten geprägte Geschichte zurück. In der autonomen Provinz Kurdistan, im Nord-Irak, fand jedoch unlängst ein Treffen statt, das im Zeichen der Verständigung stand. Von Günter Seufert

Die türkisch-kurdischen Beziehungen blicken auf eine schwierige, von Konflikten geprägte Geschichte zurück. In der autonomen Provinz Kurdistan, im Nord-Irak, fand jedoch unlängst ein Treffen statt, das im Zeichen der Verständigung stand. Günter Seufert berichtet.

Kurdische Fahne in Dukan, nahe der Stadt Suleymaniye; Foto: AP
Heute bewegt sich Irak-Kurdistan wieder auf die Türkei zu - nicht zuletzt deshalb, weil 2011 die US-Truppen aus dem Irak abziehen und Kurdistan dann mit den Arabern des irakischen Zentralstaats allein wäre.

​​ "In gewisser Weise sind wir in der Türkei alle auch Kurden!" Das sagt ein Mann, der früher der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) angehörte, die noch vor fünf Jahren Kurden als "Bergtürken" bezeichnete und Kurdisch nicht als eigenständige Sprache ansah.

Dieser Mann heißt Mümtaz'er Türköne und äußert sich in Erbil, der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans, dem föderalen Staat im Nordirak, dessen Grenzland die türkische Armee auf der Jagd nach der PKK noch vor wenigen Monaten unablässig bombardierte.

Er spricht vor kurdischen Politikern, Mullahs und Akademikern, und vor der Tür steht die schwer bewaffnete kurdische Miliz, die "Peschmerga", die ihn vor Anschlägen der PKK oder Al Qaidas schützen soll.

Türköne ist Professor für Politologie der Universität Gazi in Ankara. Er ist Mitinitiator einer zivilgesellschaftlichen Plattform, die sich seit nunmehr 18 Jahren der Überwindung religiöser und politischer Grenzen in der Türkei verschrieben hat.

Mit etwa hundert Teilnehmern, Schriftstellern, Journalisten und Politikern, ist die "Plattform Abant" aus Istanbul für drei Tage in Erbil vertreten.

Ein historisches Treffen

Anlass ist das erste große Treffen zwischen Türken und nordirakischen Kurden seit 1923. Nach dem ersten Weltkrieg und dem türkischen Kampf um Unabhängigkeit und eine neue Staatlichkeit musste die Republik Türkei das Land zwischen Duhok, Suleymaniye und Kirkuk den Briten überlassen, die es dem neu gegründeten Irak zuschlugen.

Die Kurden selbst wären damals gern Teil der neuen Türkei geworden. Später zerriss die unduldsame türkische Kurdenpolitik alle freundschaftlichen Verbindungen.

Der Präsident der nordirakischen Autonomieregion, Massud Barzani; Foto: AP
Der Präsident der nordirakischen Autonomieregion, Massud Barzani lehnt "Sabotageakte" der PKK ab und ist an einer Vertiefung der Beziehungen zwischen dem Irak und der Türkei interessiert.

​​ Doch heute geht das junge Kurdistan wieder auf die Türken zu. Es hat wohl auch keine andere Wahl, denn 2011 werden die USA ihre Truppen aus dem Irak abziehen und Kurdistan, das als unabhängige Provinz durch den Krieg gegen Saddam Hussein entstanden ist, wäre dann mit den Arabern Iraks allein, die nicht vergessen haben, dass es in erster Linie die Kurden waren, die damals die Amerikaner unterstützten.

Bagdad versucht bereits jetzt, die Rechte des neuen Teilstaats zu begrenzen. Der Geldstrom in Richtung Nord-Irak nimmt ab, die "Peschmerga" werden von Bagdad nicht mehr finanziert, und die Zentralregierung hat erneut die Kontrolle über die Grenzen übernommen.

Noch wichtiger ist, dass der Streit um die Ölstadt Kirkuk, aber auch um den Status anderer Städte wie Diyala, Chanekin, Mahmur und Shangal, in denen die Kurden in der Mehrheit sind, die jedoch nicht zum Teilstaat Kurdistan gehören, noch lange nicht entschieden ist.

Ethnische Spannungen in Irak-Kurdistan

In Kirkuk sind die Spannungen zwischen Kurden, Arabern und Turkmenen mittlerweile so stark, dass man jederzeit mit Ausschreitungen rechnen muss. Ein Referendum über die Zugehörigkeit der Stadt zum Zentralirak oder zu Kurdistan musste einstweilen verschoben werden.

Zwar teilen die Schiiten im Süden des Landes die Ablehnung der Kurden gegen eine starke Zentralregierung. Ansonsten jedoch verbindet die sunnitischen und politisch säkularen Kurden nur wenig mit den politischen Vorstellungen der Schia und ihrer Unterstützter im Iran.

Das ist schließlich auch einer der zentralen Gründe, weshalb der Gouverneur von Erbil, Nawzad Hadi Mawlood, zur Eröffnung der Konferenz die Besonderheit der kurdisch-türkischen Freundschaft hervorhebt.

"Die Kurden haben nicht vergessen", sagt Mawlood, "dass die Türkei, als 1988 Saddam Hussein in der Stadt Halabdscha fast zehntausend Kurden mit Gasbomben ermordete, Millionen Flüchtlinge aufnahm."

Kurden blicken auf die Bilder der Opfer von Halabdscha; Foto: AP
Düsteres Kapitel: Saddam Hussein hatte im Iran-Irak-Krieg bei einem Angriff mit Giftgas gegen Kurden in der nordirakischen Stadt Halabdscha 1988 tausende Menschen getötet.

​​ Kurdistans Premier Nadschirwan Barsani erklärte sich gerne bereit, die Finanzierung für das Treffen in Erbil zu übernehmen. Sogar die türkische Regierung von Recep Tayyip Erdogan steht hinter der Konferenz, doch der "einfache Mann von der Straße" und das türkische Militär müssen erst noch gewonnen werden.

"Wir arbeiten heute daran, dass unser Staat sich ändert", sagt Mümtaz'er Türköne in Erbil, "und dafür brauchen wir auch ihre Unterstützung". Um die türkisch-kurdische Annäherung zu unterstützen, hat auch Masud Barsani, Staatspräsident von Kurdistan, die PKK zur Einstellung ihrer Anschläge aufgefordert.

Die türkisch-kurdische Kooperation liegt auch im amerikanischen Interesse. In der zweiten Februarwoche haben die USA den iranischen Zweig der PKK, die PJAK, die die Amerikaner früher gern gegen den Iran instrumentalisierten, auf die Terrorliste gesetzt.

Der Einfluss des Gülen-Netzwerks

Im Hintergrund dieses Treffens agiert noch ein weiterer Akteur: Fethullah Gülen. In den 1990er Jahren hofierten türkische Regierungen den populären und umstrittenen Prediger Gülen als Gegenkraft zum parteipolitischen Islam.

Karte des kurdisch-irakischen Verwaltungsgebiets; Foto: DW
Die Kurdenregion im Norden des Iraks verfügt seit 1991 über einen Autonomiestatus, sie erlässt ihre eigenen Gesetze und unterhält eine eigene Polizei.

​​ Mit Unterstützung des türkischen Staates legte Gülen damals den Grundstein für über 150 Auslandsschulen, die sich mittlerweile von den Turkrepubliken bis zum Balkan und von Afrika bis nach Zentraleuropa ziehen.

Im Nordirak und in den kurdischen Gebieten der Türkei ist das Netzwerk von Fethullah Gülen, der selbst seit 1999 in den Vereinigten Staaten in einer Art politischem Exil lebt, erst seit einigen Jahren aktiv.

In Irakisch-Kurdistan betreibt das Netzwerk heute 15 Schulen, zwei Krankenhäuser und seit kurzem auch eine Universität. Selbst Kinder der Verwandtschaft von Kurdistans Staats- und Ministerpräsident, Masud und Nadschirwan Barsani, besuchen Schulen Fethullah Gülens.

In der Türkei bilden die so genannten Fethullahtschis heute unter den Kurden die stärkste Gegenkraft zur prokurdischen Partei DTP, die der PKK nahe steht. Auf der Versammlung in Erbil wurde die Grußbotschaft von Fethullah Gülen artig beklatscht, und der Kulturminister Falakaddin Kakeyi lobte das Engagement seines Netzwerks. Ansonsten aber wollten die irakischen Kurden von einem Islam in der Politik nichts wissen.

Grundkonflikt "Imperialisten gegen Muslime"

Ali Bulaç, arabisch-türkischer Chefdenker für religiös-kodierte Politik, fand in Erbil dagegen kaum Anklang. Seine Erklärung, wonach die meisten Muslime nicht durch die Hand des Westens sterben würden, sondern durch andere Muslime, wiesen kurdische Sprecher zurück – der Grundkonflikt im Nahen Osten verlaufe zwischen Imperialisten und Muslimen, erklärten sie.

Der Grundkonflikt und das Dilemma zwischen Türken und Kurden auf dem Treffen von Erbil bestand vor allem darin, dass die Gäste aus der Türkei nach 80 Jahren türkischer Kurdenpolitik nunmehr vor einem Scherbenhaufen stehen und den Nationalismus ihrer Republik langsam, wenn auch stetig überwinden wollen.

Die Kurden im Irak hingegen sind nicht leicht davon zu überzeugen, dass übertriebene nationale Einheit auch rasch nationale Spaltung erzeugen kann.

Günter Seufert

© Qantara.de 2009

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