Belastungsprobe für eine fragile Allianz

Die ehemals engen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel befinden sich im Wandel. Dies hat aber nur am Rande mit dem aktuellen Konflikt rund um den Gaza-Hilfskonvoi zu tun. Die Weichen wurden schon viel früher gestellt, wie Thomas Fuster analysiert.

Symbolbild israelisch-türkische Beziehungen; Foto: DW
Schwierige Partnerschaft: "Die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel sind auf einem Tiefpunkt", schreibt Thomas Fuster in seiner Analyse.

​​ "Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war." Der türkische Ministerpräsident Erdogan sparte diese Woche nicht mit drohenden Worten, als er das Verhältnis zu Israel ansprach. Der Angriff auf den Schiffskonvoi, von Erdogan als "blutiges Massaker" verurteilt, wird als Zeitenwende präsentiert. Von Banditentum, Piraterie, Staatsterrorismus ist die Rede, und auch eine Strafverfolgung gegen die Verantwortlichen wird angekündigt. Erdogan erklärt Israel gegenüber warnend, die Feindschaft der Türkei sei so stark, wie ihre Freundschaft wertvoll sei.

Wenig ist dieser Tage noch spürbar vom ehemals engen Verhältnis zwischen Israel und seinem einzigen Verbündeten in der muslimischen Welt. Die bilateralen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt. Die Türkei, die 1949 als erstes mehrheitlich islamisches Land den jungen Staat Israel anerkannt und diplomatische Beziehungen zu ihm aufgebaut hatte, hat diese Woche den Botschafter aus Israel abgezogen und gemeinsame Militärmanöver abgesagt, und vor dem Uno-Sicherheitsrat sprach Außenminister Davutoglu dem israelischen Staat jede Legitimität als respektables Mitglied der internationalen Gemeinschaft ab.

Nun, eine Liebesbeziehung war das Verhältnis nie. Und von der breiten Bevölkerung war die strategische Allianz ebenso wenig getragen. Für enge Bande setzte sich vielmehr eine schmale kemalistische Elite ein, namentlich das Militär, das oft gegen den Willen der Regierung den Brückenschlag übte.

Gemeinsame Sicherheitsinteressen

Das zeigte sich etwa 1996 bei der Signierung eines Kooperationsabkommens, das beiden Staaten den Zugang zu Militäreinrichtungen des Verbündeten öffnete. Die stramm säkularen Generäle erkannten in engen Beziehungen zum jüdischen Staat stets auch ein Mittel, um der Erstarkung des politischen Islam zu Hause entgegenzuwirken.

Türkische Ehrengarde in Ankara anläßlich einer Zusammenkunft des israelischen Verteidigungsministers Ehud Barak mit seinem türkischen Amtskollegen Vecdi Gönül; Foto: AP
Vor allem auf sicherheitspolitischen Interessen fußte in der Vergangenheit die türkisch-israelische Kooperation. Trotz aller harschen Rhetorik "dominierte in der Vergangenheit meist die Pragmatik", analysiert Thomas Fuster.

​​ Gemeinsame Interessen sorgten bisher dafür, dass die diffizile Allianz auch ideologische Differenzen und gegensätzliche Ansichten zu weltpolitischen Fragen – etwa zum Irak-Krieg im Jahr 2003 – überstehen konnte. Die gemeinsamen Interessen liegen dabei vor allem auf sicherheitspolitischer Ebene: Die beiden militärischen Schwergewichte tauschen Informationen ihrer Geheimdienste aus, führen gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen durch und stellen sich an geostrategisch zentralen Orten die Infrastruktur zur Verfügung, und die Türkei tritt nicht zuletzt auch als kaufkräftiger Kunde der israelischen Rüstungsindustrie auf, all dies mit dem Support des gemeinsamen Verbündeten, der USA.

Dass die militärische Kooperation nun plötzlich beendet wird, ist unwahrscheinlich. Ungeachtet der harschen Rhetorik, für die namentlich Erdogan bekannt ist, dominierte in der Vergangenheit meist die Pragmatik. Das Verteidigungsministerium hat denn auch erklärt, dass die jüngste Krise keine Auswirkung habe auf den Erwerb israelischer Drohnen, die vor allem im Kampf gegen Rebellen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zum Einsatz kommen. Auch an der milliardenschweren Nachrüstung türkischer Flugzeuge und Panzer durch Israel dürfte das Nato-Mitglied festhalten.

Verlust von Feinden

Dennoch, der Wandel des bilateralen Verhältnisses zwischen der Türkei und Israel ist offenkundig – und war es schon vor Israels jüngster Militäraktion. Ein Grund ist, dass der Allianz zusehends die gemeinsamen Feinde abhandenkommen, namentlich Syrien und Iran.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) mit Syriens Präsident Bashar Assad; Foto: dpa
Der türkisch-israelischen Allianz gehen zusehends die gemeinsamen Feindbilder verloren. So trat nach einer Zeit der Disharmonie eine Entspannung in den Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien ein.

​​ Gegenüber diesen zwei Staaten betreibt die Türkei seit Jahren – und zur Irritation des Westens – eine Politik der Annäherung. Ankara folgt dabei dem von Außenminister Davutoglu entworfenen Konzept der strategischen Tiefe, das der Beseitigung von Problemen mit Nachbarstaaten und der maximalen Integration dieser Nachbarn (etwa durch Interdependenzen und Kooperationen) oberste Priorität einräumt.

Die gemeinsam empfundene Bedrohung durch Syrien war in den neunziger Jahren ein zentraler Grund für eine damals besonders enge Kooperation. Da Syrien dem auf der Flucht befindlichen PKK-Chef Abdullah Öcalan Unterschlupf gewährte, schien gar ein Krieg zwischen der Türkei und Syrien möglich. Mit militärischer Ausrüstung und nachrichtendienstlichem Support unterstützte Israel den türkischen Kampf gegen die kurdische Rebellenorganisation. Und die Türkei gewährte Israel, das sich mit Syrien wegen der Golanhöhen im Dauerkonflikt befindet, den Zugang zum Luftraum. Nach der Festnahme Öcalans im Jahre 1999 schwenkte Ankara gegenüber Damaskus aber auf einen konzilianten Kurs um; das Scharnier des gemeinsamen Feindes verlor an verbindender Kraft.

Die AKP im Zwiespalt

Mit dem Aufstieg von Erdogans islamisch-konservativer Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) an die Regierungsspitze im Jahr 2002 wurde die Interessenkonstellation noch komplexer. So verfolgt die AKP gegenüber Israel eine sehr ambivalente Politik: Zum einen will und kann man die Aversion gegen die Art und Weise, wie Israel mit den palästinensischen Glaubensbrüdern umgeht, nicht verbergen, und einige radikalere AKP-Vertreter sind auch gegen antisemitische Reflexe keineswegs gefeit.

Zum anderen gehört es zum Selbstverständnis der Regierung, im Nahen Osten als Regionalmacht und auch als Mediator aufzutreten – eine Rolle, die Äquidistanz zu den verfeindeten Parteien verlangt.

Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP schwenken ihre Fahnen in Istanbul; Foto: dpa
Die Politik der AKP gegenüber Israel beschreibt Thomas Fuster als "sehr ambivalent". Der Unterstützung Palästinas steht der Wunsch nach Ausübung der Rolle des Mediators im Nahen Osten gegenüber.

​​ Diesen Spagat meistert die Türkei nicht immer gleich erfolgreich. Dennoch gelang 2008 die Vermittlung in indirekten Friedensgesprächen zwischen Israel und Syrien. Die Gespräche schienen auf gutem Weg, als Israels Luftangriffe auf den Gazastreifen dem Friedensprozess ein jähes Ende bereiteten. Die Türkei fühlte sich hintergangen, und bei Erdogan brachen kurze Zeit später am Weltwirtschaftsforum in Davos alle diplomatischen Dämme, als er dem israelischen Präsidenten Peres die Leviten las. Die arabische Bevölkerung – enttäuscht ob der Untätigkeit der eigenen Regenten – hatte in Erdogan einen neuen Helden; und zwischen Israel und der Türkei häuften sich in der Folge die politischen Schlagabtausche und medialen Sticheleien.

Schielen auf die Wähler

Innenpolitisch kann Erdogan, der im kommenden Jahr bei den Parlamentswahlen eine dritte Amtsdauer in Folge anstrebt, mit seiner harten Gangart zweifellos punkten. So wird die öffentliche Meinung in wachsendem Maß geprägt durch eine neue anatolische Mittelschicht, die ihre islamische Identität, säkulare Staatsverfassung hin oder her, nicht länger verleugnen will.

Diese Bürger – das eigentliche Rückgrat der AKP – folgen nicht länger dem Argument, dass Israels Repression gegenüber den Palästinensern eben im Namen höherer türkischer Sicherheitsinteressen toleriert werden müsse. Dies auch deshalb nicht, weil die heimischen Fürsprecher Israels – will heißen: die Armee – im Zuge zahlloser Skandale um Putschversuche viel an politischem Einfluss und moralischer Autorität verloren haben.

Thomas Fuster

© Neue Zürcher Zeitung 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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