Road Map zum Frieden?

Armenien und die Türkei verbindet eine langjährige konfliktreiche Geschichte. Jetzt stehen die Regierungen der beiden Länder kurz vor einer Aussöhnung – doch der Frieden ist nicht ohne andere Länder und Akteure zu haben, schreibt Ömer Erzeren aus Istanbul.

Gül und Sarkissjan in Eriwan; Foto: AP
Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül und sein armenischer Amtskollege Sarkisian am 6. September 2008 in Eriwan, anlässlich des WM-Qualifikationsspiels Türkei-Armenien. Der Besuch des türkischen Präsidenten war eine kleine Sensation.

​​ Einen Tag vor dem 24. April, der Tag an welchem die Armenier weltweit an den Völkermord im Osmanischen Reich gedenken, wurde offenkundig, dass die Türkei und Armenien schon seit geraumer Zeit unter Schweizer Vermittlung Geheimverhandlungen führten.

In einer Erklärung, die zeitgleich von den Außenministerien beider Länder verbreitet wurde, gaben die beiden Staaten bekannt, dass sie eine Rahmenvereinbarung getroffen haben um die Beziehungen zwischen beiden Staaten zu normalisieren.

Vereinbart ist eine Road Map für "die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen in gegenseitigem Respekt und die Förderung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in der gesamten Region". "Konkrete Fortschritte" seien bereits erzielt worden.

Optimismus – und ein Bündel Probleme

Erstmalig verbreitete also ein offizielles Dokument Optimismus für einen türkisch-armenischen Frieden. Doch Vorsicht ist nach so langer Zeit der gegenseitigen Anfeindungen angebracht. Denn sowohl bei der Aufarbeitung der Vergangenheit durch beide Völker als auch im Verhältnis zwischen den Nachbarstaaten Türkei und Armenien, ist ein Bündel von Problemen zu bewältigen.

Da ist zum einen der Streit um die blutigen Ereignisse des Jahres 1915 im Osmanischen Reich. Armenien stuft die Massaker als Völkermord ein und spricht von der systematischen Vernichtung von 1,5 Millionen Armeniern, während die Türkei die Verwendung des Begriffes 'Völkermord' kategorisch ablehnt. Auch viele moslemische Türken seien während der Kriegsjahre Opfer gemeinsam agierender russischer Truppen und armenischer Milizen geworden.

Immerhin hat Ankara jetzt erstmal zugestimmt, dass eine bilaterale türkisch-armenische Historikerkommission an der Wahrheitsfindung der Ereignisse arbeitet. Bis vor kurzem war das Thema ein absolutes Tabu.

Der Streitfall Aserbaidschan

Karte Südkaukasus; Quelle: DW
Die Enklave Berg-Karabach ist ein Zankapfel zwischen Armenien und Aserbaidschan. Die Region ist mehrheitlich von Armeniern bewohnt, wird aber weitgehend Aserbaidschan zugerechnet.

​​Weiterer Konfliktpunkt ist die Nichtanerkennung des Vertrages von Kars im Jahr 1921. Von Sowjetrussland und der Türkei im Jahr 1921 unterzeichnet, ist er bis heute Grundlage des türkisch-armenischen Grenzverlaufs. Der Konflikt zwischen den Staaten eskalierte, als die Türkei im Jahr 1993 – verbündet mit den türkischstämmigen Aserbaidschanern – die Grenze zu Armenien schloss.

Im Zuge des kriegerischen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach waren über eine Million Armenier und Aserbaidschaner vertrieben worden. Die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende, jedoch mehrheitlich von Armeniern bewohnte Enklave Berg-Karabach, wurde von armenischen Truppen besetzt, ebenso die aserbaidschanischen Gebiete, die Berg-Karabach mit Armenien verbinden. Die Schließung der türkischen Grenze schnitt Armenien die wohl wichtigste Route für Wirtschaftsverkehr ab.

Ein 'Njet' aus Baku

Angesichts der Vielfalt von Problemen verwundert es nicht, dass die jüngste Vereinbarung zwischen beiden Staaten und die Rede von einer 'Road Map' in beiden Staaten zu Erschütterungen führte. In Armenien trat die Taschnak-Partei aus Protest aus der Koalitionsregierung aus. Von "Verrat" war sowohl in Armenien, als auch in der Türkei die Rede. Die nationalistische Opposition in Ankara griff die Regierung an, die das Vertragswerk abgeschlossen hatte.

Präsident Abdullah Gül besucht armenische Ruine; Foto: AP
Abdullah Gül beim Besuch in der Ruinenstadt Ani, der ehemaligen Hauptstadt des armenischen Reiches, die heute auf türkischem Hoheitsgebiet liegt. Die diplomatischen Beziehungen sind seit 1993 abgebrochen.

​​Schon im Vorfeld, als sich eine türkisch-armenische Annäherung abzeichnete und US-Präsident Obama auf Staatsbesuch in der Türkei persönlich den türkischen und armenischen Außenminister ermunterte, die Beziehungen zu normalisieren, war es zu heftigen Attacken aus Aserbaidschan gekommen. Türkische Fernsehserien, die im aserbaidschanischen Fernsehen liefen, wurden kurzerhand absetzt und eine aserbaidschanische Parlamentarierkommission machte sich auf den Weg nach Ankara und verlieht dort ihrem Entsetzen über die jüngsten Ereignisse Ausdruck.

Öl als effektives Druckmittel

Am folgeschwersten war die Drohung aus Aserbaidschan, dass man wegen den Öl- und Gasvorräten am längeren Hebel sitze. Man gedenke die Gaspreise zu erhöhen, wurde aus der Hauptstadt Baku verlautbart. Auf dem Höhepunkt der aserbaidschanischen Anfeindungen an die Adresse der Türkei war der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev nach Moskau zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Medvedev gereist. Gazprom und die aserbaidschanische Ölgesellschaft veröffentlichten eine Absichtserklärung über Gaslieferungen.

"Das Erdgas Aserbaidschans wird heute an den Westen exportiert. Durch die Kooperation mit Gazprom werden die Exportwege des aserbaidschanischen Erdgases diversifiziert", so Aliyev in Moskau. Ein umfassender Vertrag mit Russland wäre der Todesstoß für das von der Türkei und der EU favorisierte Nabucco-Pipelineprojekt, das aserbaidschanisches Gas unter Umgehung Russlands nach Europa tragen soll. Es kommt also nicht von ungefähr, dass der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan immer wieder beteuert, dass die "Türkei nichts unternehmen wird, das Aserbaidschan schadet."

Auswirkungen auf den Kaukasus

Eine armenisch-türkische Versöhnung wäre nicht nur ein radikaler Bruch in der seit fast einem Jahrhundert vergifteten Beziehung beider Völker, sondern hätte nach dem kriegerischen Konflikt im vergangenen Jahr in Georgien, unmittelbare Auswirkungen auf den gesamten Kaukasus. Es wird nicht nur um die Öffnung der türkisch-armenischen Grenze und um den Begriff 'Völkermord' gehen, sondern auch um Fortschritte im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt und um die Zukunft der Öl- und Gaslieferungen aus Aserbaidschan.

Protest in Armenien gegen die Türkei; Foto: AP
Armenische Proteste gegen den Besuch von Abdullah Gül am 6. September 2008. Es war der erste Besuch eines türkischen Staatsoberhauptes.

​​ Ohne eine Annäherung zwischen dem Westen und Russland in Energiefragen und Fortschritten in dem Konflikt um Berg-Karabach ist ein bilateraler Kompromiss zwischen der Türkei und Armenien höchst schwierig zu bewerkstelligen. Nach Gesprächen mit EU-Kommissionspräsident Barroso, bei denen vornehmlich Energiefragen zur Sprache gekommen sein dürften, erklärte Präsident Aliyev. "Wir stellen eine einfache Frage: Ist Berg-Karabach im Paket um die Öffnung der türkisch-armenischen Grenze enthalten oder nicht?"

Die beiden alten Supermächte

Dabei ist es höchst wahrscheinlich, dass die Türkei sowohl die USA als auch Aserbaidschan über den Verlauf der Gespräche und die beschlossene Road Map informierte. Russland dürfte von der ehemaligen Sowjet-Republik Armenien auf dem laufenden gehalten werden. Die Verhandlungen zur Lösung des aserbaidschanisch-armenischen Konfliktes werden im Rahmen der OSZE unter Beteiligung der USA, Russlands und Frankreichs geführt.

Am 7. Mai sollen der armenische und der aserbaidschanische Präsident in Prag zusammenkommen. Wenn die USA und Russland im Kaukasus an einem Strang ziehen, stünde dem Optimismus der türkisch-armenischen Absichtserklärung tatsächlich nichts entgegen.

Ömer Erzeren

© Qantara.de 2009

Ömer Erzeren ist deutsch-türkischer Journalist. Er war u.a. Türkei-Korrespondent für "die tageszeitung" (taz) und die "Zürcher Wochenzeitung". Zudem ist er Buchautor und arbeitet für zahlreiche deutsch-, türkisch- und englischsprachige Zeitschriften.

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