Der Traum vom Tanzen

Für eine künstlerische Ausbildung ist in Tunesien wenig Geld da, es gibt weder genug Lehrkräfte noch Schulen. Das soll sich jetzt ändern. Eine Dresdener Tanzhochschule kooperiert mit dem nordafrikanischen Land. Suzanne Cords informiert.

Von Suzanne Cords

Als Yosra Zaouali zum ersten Mal die Palucca-Tanzschule betrat, fühlte sie sich gleich zuhause. "Ich war in meiner vertrauten Welt", so die 13-Jährige. Wenn in der fremden deutschen Stadt sonst auch alles so anders aussah als in ihrer Heimat, ein Tanzsaal bleibt immer ein Tanzsaal.

Die junge Tunesierin ist eine von zwei Hospitantinnen, die in diesem Jahr an der Dresdener Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden zu Gast waren. Sie stammt aus dem Küstenstädtchen Mahdia und möchte Profi-Tänzerin werden. Dabei gibt es diesen Beruf offiziell gar nicht in Tunesien. Wer professionell tanzen will, muss es im Ausland lernen - oder sich die jeweiligen Tanzschritte von jemandem zeigen lassen, der sie schon kann. Doch ohne qualifiziertes Personal bleibt elementares Basiswissen meist auf der Strecke.

Eine Herzensangelegenheit

Dass Yosra Zaouali nach Deutschland durfte, verdankt sie einer Initiative des Goethe-Instituts in Tunis, das das Partnerschaftsprojekt "Apprendre à danser – tanzen lernen" mit der renommierten Palucca-Hochschule ins Leben gerufen hat.

Cyrine Mariem Haj Sassi mit dem Tanzpädagogen Matthias Markstein bei den Proben; Foto: picture-alliance/dpa/Arno Burgi
Die tunesische Tänzern Cyrine Mariem Haj Sassi folgt während des Trainings an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden den Anweisungen des Tanzpädagogen Matthias Markstein. Die 21-Jährige unterrichtet in ihrer Heimat, der tunesischen Küstenstadt Mahdia, klassischen Tanz.

Schon seit 2011 unterstützt das Institut kulturelle Fortbildungsprogramme in Nordafrika. Für die Mitarbeiter ist es eine Herzensangelegenheit, denn seit dem Arabischen Frühling, der sich wie ein Flächenbrand fortsetzte, herrscht auch in Tunesien Aufbruchsstimmung. Künstlerische Projekte boomen, das Interesse an Tanz ist groß. Doch es gibt weder genug Lehrkräfte noch Ausbildungsstätten. Daran müsse sich dringend etwas ändern, so Choreografin und Tanzpädagogin Malek Seba Sebaï, die als Tänzerin einst namhaften Kompagnien in aller Welt angehörte.

Schon zweimal war die Initiatorin und Projektmanagerin von "Tanzen lernen" bei Palucca in der sächsischen Hauptstadt zu Gast und hat sich dort über die pädagogischen Ansätze einer Profi-Ausbildung informiert. "Es geht nicht darum, dass wir das Lehrkonzept 1:1 kopieren", sagt die frühere Spitzentänzerin. "Aber wir können uns eine Menge abschauen."

Mehr Talent als Technik

Die jungen Gäste aus Nordafrika hätten Talent und seien mit Feuereifer bei der Sache, aber es mangele eben an Basiswissen und vor allem an der Technik, stellte auch Palucca-Tanzpädagoge Fernando Coelho fest. Genau für diese Technik interessiert sich die 21-jährige Cyrine Mariem Hay Sassi; zuhause in Tunesien unterrichtet sie wissbegierige Mädchen wie Yosra Zaouali, obwohl sie nie eine richtige Ausbildung als Pädagogin genossen hat.

Von links: Yosra, Sheima, Malek Sebaï, Prof. Canciani, Prof. Coehlo und S. de Cussac; Foto: Andreas Siegel
Die Dresdener Tanzpädagogen Fernando Coelho und sein Kollege Christian Canciani reisten nach Tunesien und machten sich dort selbst ein Bild von der Ausbildungssituation. Gemeinsam mit der Choreographin Malek Sebaï führten sie erste Gespräche mit dem Kultusministerium. Denn obwohl das Projekt "Apprendre à danser" bis zum Jahre 2016 finanziell abgesichert sei, schreibt Suzanne Cords, soll es sich langfristig selber tragen.

"In Dresden reden alle über Tanz, auch wenn der Unterricht zu Ende ist", konstatierte sie nach ihrem Deutschland-Besuch fasziniert. Und sowohl Yosra Zaouali als auch ihre Lehrerin waren sich einig: Von der Professionalität der Palucca-Professoren kann man in Tunesien bisher nur träumen.

Visionen

Mittlerweile haben sich Fernando Coelho und sein Kollege Christian Canciani in Tunesien selbst ein Bild von der Ausbildungssituation vor Ort gemacht und gemeinsam mit Choreographin Malek Sebaï erste Gespräche mit dem Kultusministerium geführt. Denn das "Tanzen lernen–Projekt" des Goethe-Instituts ist zwar bis 2016 finanziell abgesichert, soll sich aber langfristig selber tragen. Derzeit mangelt es noch an allen Ecken und Enden, mussten die Dresdner Tanzpädagogen feststellen. Es gibt weder genug Unterrichtsräume noch Lehrkonzepte und außerhalb der Hauptstadt findet Kultur praktisch nicht statt.

Doch Coelho ist optimistisch. "Die Tunesier haben eine reiche Tradition folkloristischer Tänze, darauf kann man hervorragend aufbauen", meint der Tanzprofi. "Man darf nur nicht versuchen, ihnen das europäische System aufzuzwingen, sie müssen ihren eigenen Stil entwickeln."

Ziel ist es, eine akademische Tanzausbildung nach internationalem Standard zu schaffen. Dafür müsse man Geld und vor allem viel, viel Zeit investieren – zehn bis 20 Jahre", schätzt Malek Sebaï und hofft, dass auch privates Geld fließen wird. In Tunesien sei nämlich kürzlich ein Gesetz in Kraft getreten, das Mäzene steuerlich begünstigt: "Die Revolution hat dafür gesorgt, dass eine Zivilgesellschaft entsteht." Und vielleicht, so ihre Vision, gelingt es eines Tages sogar, eine kostenlose professionelle Tanzausbildung in Tunesien zu etablieren.

Suzanne Cords

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