Dem Terror die Stirn bieten

Der Terrorismus bedroht die einzige Demokratie, die aus dem arabischen Frühling hervorgegangen ist. Daher braucht das Land mehr Unterstützung von der internationalen Staatengemeinschaft im Kampf gegen die IS-Terrormiliz, meint Tawfik Jelassi.

Von Tawfik Jelassi

Für Tunesien war 2015 ein blutiges Jahr. Es gab Angriffe auf das Bardo-Museum im März, auf ein großes Hotel in Sousse im Juni und die Präsidialgarde in Tunis im November. 2016 hat die Terrormiliz ISIS dann gleich versucht, den Ort Ben Guerdane nahe der libyschen Grenze einzunehmen. Das ist sehr beunruhigend. So etwas gab es noch nie.

Zum Glück behielten die Sicherheitskräfte die Oberhand und konnten die Stadt verteidigen. Etwa 50 Terroristen wurden getötet. Es verunsichert aber, dass die Angreifer offensichtlich tunesische Unterstützung hatten und alle, soweit sie bislang identifiziert werden konnten, selbst Tunesier waren. Das wirft ernste Fragen auf. Möglicherweise gibt es weitere Schläferzellen im Land.

Die Angreifer kamen aus Libyen. Die Gewalt, die unser Nachbarland erschüttert, destabilisiert auch unseres. Die Probleme machen nicht an nationalen Grenzen halt und betreffen die gesamte Staatengemeinschaft. Tunesiens im Entstehen begriffene Demokratie ist ein Lichtblick in der arabischen Welt. Das Land verdient mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Tunesien ist nicht ausreichend gerüstet. Der Staat braucht unter anderem hochentwickelte Angriffshubschrauber und Nachtsicht-Ausrüstung, um militante Gruppen zurückzuschlagen. Hilfreich wäre auch der internationale Austausch von Geheimdienstinformationen.

Soziale Rückständigkeit als Tiebfeder des Terrors

Sicherheit beruht aber nicht nur auf Militär. Es kommt auch auf die soziale und ökonomische Lage an. Die wirtschaftliche Rückständigkeit einiger Regionen ist ein riesiges Problem. Dort müssen Chancen und Arbeit entstehen – besonders für die Jugend. Infrastruktur und Wirtschaftszweige müssen entwickelt werden. Ohne entschiedenes Handeln und ausländische Investitionen wird die Arbeitslosigkeit wachsen, die Kaufkraft kleiner werden und soziale Spannungen zunehmen.

Absperrungen an einer Zufahrtsstraße in Ben Guerdane; Foto: DW/T. Guizani
Eine Stadt im Ausnahmezustand: Bei einem Angriff von Dschihadisten in der Grenzstadt Ben Guerdane wurden im März 13 Sicherheitskräfte und sieben Zivilisten getötet. Bei den mehrtägigen Feuergefechten in der Stadt an der Grenze zu Libyen wurden nach offiziellen Angaben auch 49 Dschihadisten getötet. Für die Angriffe machte die Regierung die Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) verantwortlich. Tunesien wird seit dem politischen Umsturz im Januar 2011 immer wieder von islamistischen Anschlägen erschüttert, wobei die Extremisten wiederholt auch ausländische Touristen ins Visier nahmen. So töteten Attentäter im März vergangenen Jahres im Bardo-Museum in Tunis sowie im Juni in einem Strandhotel in Sousse insgesamt 59 Touristen. In der Folge sank die Zahl der Touristen in Tunesien von 7,2 auf 5,4 Millionen.

In einigen abgelegenen Gegenden tut der Staat zu wenig, und Extremisten nutzen die verbreitete Verzweiflung aus. Sie rekrutieren mit Geld und dem Versprechen eines "besseren Lebens" junge Männer. Sie arbeiten mit Gehirnwäsche, und manche Kämpfer glauben, es gehe um ein "nobles Ziel" und den "wahren Islam". Diese Jugendliche sind die Minderheit – aber eine sehr gefährliche Minderheit.

Die meisten Tunesier sehen ihr Land auf dem richtigen Weg. Sie befürworten die Demokratie und freuen sich über größere Freiheit als je zuvor. Bislang geht das aber nicht mit wirtschaftlichem Wohlstand einher. Dass ist ein Problem. Wir dürfen nicht vergessen, dass Arbeitslosigkeit und ökonomisches Leid zur Revolution von 2011 geführt haben.

Marschall-Plan für Tunesien

Demokratischer Wandel erfordert immer Zeit. Menschen denken nicht über Nacht um. Tunesier wollen in ihrem Alltag Fortschritt erleben und sind leere Versprechen leid. Wir brauchen zielgerichtete, langfristige Politik. Die Regierung muss einige dringenden Reformen zügig angehen. Aber um den Herausforderungen gerecht werden zu können, braucht – und verdient – sie internationale Unterstützung.

Beim G8-Gipfel 2011 wurden Tunesien mehrere Milliarden Dollar zugesagt, doch das Geld ist bislang nicht in das Land geflossen. Tunesiens Probleme sind bekannt, aber unsere westlichen Verbündeten tun bisher wenig. Sie sollten einen Marschall-Plan für Tunesien auflegen. Trotz seiner engen Beziehungen zu Europa gerät unser Land in Vergessenheit - bis zum nächsten Terroranschlag.

Wir sollten uns vor Augen führen, dass Tunesien der letzte Hoffnungsträger des arabischen Frühlings von 2011 ist - und die letzte Bastion gegen den Terrorismus in Nordafrika. Sollte Tunesien scheitern (Gott behüte!), werden den Europäern noch größere Probleme bevorstehen als jetzt. Es ist höchste Zeit, dass die internationale Gemeinschaft Tunesien hilft, seine Wirtschafts- und Sicherheitsprobleme zu lösen. Hilfe für Tunesien ist letztlich auch Selbsthilfe. Wir brauchen Taten statt Worten.

Tawfik Jelassi

© Zeitschrift für Demokratie & Zusammenarbeit 2016

Tawfik Jelassi ist Professor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät IMD in Lausanne. Von 2014 bis 2015 war er der Minister für höhere Bildung, wissenschaftliche Forschung und Informations- und Kommunikationstechnik der tunesischen Übergangsregierung.