Drakonische Strafen gegen "Internet-Terroristen"

Die tunesische Regierung geht hart gegen jugendliche Internetnutzer vor, die verbotene islamistische Websites besucht haben. Menschenrechtsorganisationen kritisieren Verfahrensmängel und werfen den Behörden vor, mit den Strafen jegliche Dissidenz im Keim ersticken zu wollen.

Die tunesische Regierung geht mit äusserster Härte gegen jugendliche Internetnutzer vor, die verbotene islamistische Websites besucht haben. Menschenrechtsorganisationen kritisieren schwere Verfahrensmängel und werfen den Behörden vor, mit den drakonischen Strafen jegliche Dissidenz im Keim ersticken zu wollen.

"Il est strictement interdit de naviguer dans les sites prohibés", steht gut sichtbar in allen öffentlichen Internetcafés in Tunesien. Dass dies mehr als eine Empfehlung ist, haben knapp zwei Dutzend junge Leute bitter erfahren müssen.

In zwei separaten Prozessen wurden Internetbenutzer aus der unweit von Djerba gelegenen Stadt Zarzis und aus Bizerte zu drakonischen Strafen verurteilt.

Während die Höchststrafe für acht junge Männer in Zarzis zunächst auf 19 Jahre festgelegt und dann im Berufungsverfahren auf 13 Jahre reduziert wurde, urteilte das Gericht gegen elf Internetbenützer aus Bizerte noch härter - bis zu 30 Jahre Gefängnis und Bussen von umgerechnet rund 30.000 Franken. In der Berufungsverhandlung zu diesem Fall wurde am vergangenen Samstag die Höchststrafe auf 20 Jahre Gefängnis reduziert, und vereinzelte erstinstanzlich Verurteilte wurden freigesprochen.

"Algerische" Verhältnisse befürchtet

Die tunesische Justiz wirft den jungen Männern von Zarzis "terroristische Umtriebe" sowie "Diebstahl und Besitz von Sprengstoff" vor. Sie stützt sich dabei auf das von Präsident Ben Ali im Dezember 2003 erlassene Anti-Terror-Gesetz, das für die Vorbereitung terroristischer Handlungen drakonische Strafen vorsieht.

Laut einem offiziellen Communiqué hatte sich die Gruppe von Zarzis heimlich getroffen, um "terroristische Ziele" zu verfolgen. Vor allem sei es darum gegangen, Sprengstoff herzustellen und damit ein Gymnasium und einen Polizeiposten in Zarzis in die Luft zu sprengen. Die Gruppe von Bizerte soll hingegen geplant haben, sich im Irak dem "Jihad" gegen die Amerikaner anzuschliessen.

In der tunesischen Öffentlichkeit haben die harten Urteile gegenüber den jungen Internetbenutzern und angeblichen Terroristen erstaunlich wenig Proteste ausgelöst.

Diese Verurteilten hätten erwiesenermassen im Sinn gehabt, terroristische Akte zu begehen; sie hätten genau gewusst, dass solche Handlungen hart bestraft würden, erklärt beispielsweise der in Bizerte lebende Autor und Journalist Hassouna Mosbahi.

Persönlich könne er nicht gutheissen, dass junge Leute das Internet für solche Zwecke missbrauchten. Die tunesische Bevölkerung sei sich einig darin, dass sie auf keinen Fall Verhältnisse wie in Algerien wolle; deshalb würden derart harte Strafen auch akzeptiert. Mosbahi vertritt damit weitgehend die Haltung des Regimes in dieser Sache.

Die Rechte der Verteidigung verhöhnt

Angesichts der gleichgeschalteten und stark kontrollierten Medien in Tunesien ist allerdings davon auszugehen, dass der Grossteil der tunesischen Bevölkerung über die Hintergründe der beiden Prozesse überhaupt nicht informiert war.

Die beiden unabhängigen Menschenrechtsorganisationen Ligue Tunisienne des Droits de l'Homme (LTDH) und Conseil National pour les Libertés en Tunisie (CNLT) verurteilen die Prozesse gegen die Internetnutzer aufs Schärfste und werfen den Behörden vor, elementarste Regeln für ein faires Gerichtsverfahren verletzt zu haben.

Die Angeklagten seien allein aufgrund vager Absichten und Pläne verurteilt worden, erklärt der Präsident der LTDH, der Anwalt Mokhtar Trifi. Die Rechte der Verteidigung seien zudem regelrecht verhöhnt, die Geständnisse unter Folter erpresst worden. Schwere Kritik äussern Trifi und Omar Mestiri, ein Vorstandsmitglied des CNLT, auch an den oberflächlichen und einseitigen Ermittlungen der Justizbehörden. Dem Gericht seien die angeblich zentralen Beweisstücke, etwa eine Anleitungen zum Bau von Waffen enthaltende CD-ROM, gar nie vorgelegt worden.

Von mannigfachen Verletzungen der Rechte der Angeklagten berichten schliesslich Eltern der Betroffenen, unter ihnen Mohammed Chlandi, der Vater eines der verurteilten Internetbenutzers von Zarzis. Nach den vorliegenden Informationen steht ausser Zweifel, dass in beiden Prozessen international gültige Verfahrensnormen verletzt worden sind.

Was sich die jungen Männer aus Zarzis und Bizerte tatsächlich zu schulden kommen liessen und welches ihre Motive waren, ist angesichts der dürftigen Faktenlage nur schwer auszumachen. Haben sie bloss islamistische Websites besucht? Oder handelte es sich bei den Verurteilten tatsächlich um Anhänger radikal-islamischer Gruppen oder gar um potenzielle Terroristen, wie die tunesischen Behörden behaupten?

Unbestritten ist auf jeden Fall, dass die Anziehungskraft der islamistischen Ideologie auf junge Leute auch im relativ wohlhabenden Tunesien ungebrochen ist. Ein Universitätsprofessor, der auf keinen Fall namentlich genannt werden will, sagt, die grosse Mehrheit seiner Studenten sei an Politik in keiner Art und Weise interessiert; sie gebe sich dem Konsumismus hin.

Einige Studenten aber bezögen ihre Informationen ausschliesslich von religiös ausgerichteten arabischen TV-Kanälen und suchten regelmässig Websites von Islamisten auf. Diese jungen Menschen seien letztlich orientierungslos; sie erblickten in Ideologien von islamistischen Extremisten eine Art Gegenprojekt zu einer längst als hohl und nihilistisch empfundenen Gesellschaft, die in jeder Provinzstadt einen "Boulevard der Menschenrechte" einweihe, diese Rechte im Alltag aber mit den Füssen trete.

Der Professor gibt sich überzeugt davon, dass es Präsident Ben Ali darum geht, sich mit Prozessen gegen Islamisten als Staatsmann zu profilieren, der den Krieg gegen den Terrorismus an vorderster Front mitträgt.

"Angst erzeugen"

Aus einer anderen Warte betrachtet der Historiker und Philosoph Mohammed Talbi, einer der herausragendsten tunesischen Intellektuellen, die drakonischen Strafen gegenüber den jugendlichen Internetbenützern. "Das Regime will mit solchen Strafen vor allem eines, nämlich Angst erzeugen", sagt Talbi.

Schon für geringe Vergehen würden sehr harte Gefängnisstrafen ausgesprochen. Damit breite sich ein Zustand der Angst und des Schweigens aus. Dies betreffe die ganze Bevölkerung, ganz besonders aber den Berufsstand der Anwälte.

Talbi verweist auf den Fall des jungen Anwalts Mohammed Abbou, der vor kurzem aus nichtigem Grund zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. "Das tunesische Regime versucht, die Anwälte, die Richter, ja die ganze Bevölkerung einzuschüchtern. Es regiert mit dem Mittel der Angst", sagt Mohammed Talbi.

Von Angst und systematischer Desinformation als den wichtigsten Methoden des tunesischen Regimes spricht auch Omar Mestiri vom CNLT. Er sieht in den drakonischen Urteilen vor allem ein Schwächezeichen des Regimes, das sich anschickt, in etwas mehr als vier Monaten Vertreter aus allen Ländern zu einem "Welt-Informationsgipfel" einzuladen.

Beat Stauffer

© Neue Zürcher Zeitung

Qantara.de

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