Fatwa ohne Widerhall

In seinem Rechtsgutachten geißelt der pakistanische Islamgelehrte Tahir ul-Qadri muslimische Selbstmord-Attentäter als Ungläubige, die für die Hölle bestimmt seien. Doch ist seine Fatwa wirklich geeignet, islamische Extremisten zur Umkehr zu bewegen? Antworten von Albrecht Metzger

Von Albrecht Metzger

Taher ul-Qadri; Foto: youtube
Islamische Terrorgruppen wie al-Qaida seien ein "altes Übel mit einem neuen Namen"</wbr>, so Taher ul-Qadri in seiner Fatwa. Der Islam verbiete Selbstmordanschläge als "Massaker an unschuldigen Bürgern".

​​In Großbritannien geht die Angst vor muslimischen Extremisten um. Neben Spanien ist es das einzige europäische Land, in dem es bereits einen Anschlag mit zahlreichen Opfern gab, weitere Attentate sind in den vergangenen Jahren verhindert worden.

Nach Geheimdienstangaben soll es auf der Insel weit über 1.000 gewaltbereite muslimische Extremisten geben. Die Regierung in London ist deswegen verzweifelt auf der Suche nach Wegen, wie sie die Radikalisierung junger britischer Muslime verhindern bzw. rückgängig machen kann.

Im Sommer 2008 verkündete das Innenministerium eine Antiterrorstrategie, die auf diese Problematik eingeht. Um den Extremisten das Wasser abzugraben, müsse man sie ideologisch "herausfordern" und die Stimmen des "Mainstreams" unterstützen, heißt es dort. Es geht also um die Zusammenarbeit mit Muslimen, die sich dem Gewaltdiskurs religiöser Extremisten widersetzen und – so die Hoffnung – am ehesten in der Lage sind, ihre radikalisierten Glaubensgenossen zum Umdenken zu bewegen.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem

Doch geeignete Partner zu finden ist nicht leicht. Der Unmut über die britische Außen- wie Innenpolitik ist groß in der muslimischen Community, wer sich von der Regierung finanziell unterstützen lässt, macht sich schnell unglaubwürdig – nicht nur bei Extremisten. ​​Das Glaubwürdigkeitsproblem ist zentral, denn was nützen einem islamische Religionsgelehrte, die sich gegen Gewalt aussprechen, wenn ihnen niemand zuhört? Diese Problematik verdeutlicht eine Episode, die sich kürzlich in London abspielte.

Einer der wichtigsten Partner der britischen Regierung im Kampf gegen den Extremismus ist die "Quilliam Foundation" in London. Sie ist im Sommer 2008 von ehemaligen Mitgliedern der Hizb ut-Tahrir gegründet worden, einer extremistischen Partei, die in Deutschland vor Jahren wegen der Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele verboten wurde, in Großbritannien aber weiter aktiv ist. Als ehemalige Islamisten seien sie am besten in der Lage, extremistisches Gedankengut zu bekämpfen, so die Gründer der "Quilliam Foundation". Sie reisen quer durch die Welt und halten Vorträge über die Gefahren des Islamismus.

Boomende "Ex-Islamisten-Industrie"?

 Ed Husain; Foto: Wikimedia Commons
Lukrative Subventionen: Die Direktoren und Gründer von "Quilliam", Maajid Nawaz und Ed Husain, sollen allein jeweils 85.000 Pfund im Jahr verdienen.

Außerdem beraten sie die britische Regierung. Die lässt sich die Dienste der "Quilliam Foundation" einiges kosten, bislang überwiesen das Außen- bzw. Innenministerium rund eine Million Pfund auf das Konto der Stiftung. ​​Die Direktoren und Gründer von "Quilliam", Maajid Nawaz und Ed Husain, sollen allein jeweils 85.000 Pfund im Jahr verdienen. Das Büro der Stiftung befindet sich im Zentrum Londons und kostet nach Recherchen der Tageszeitung The Times 110.000 Pfund Miete im Jahr. Ein Mitglied der britischen Regierung sprach angesichts dessen von einer "Ex-Islamisten-Industrie" und nannte die Höhe der Subvention "ungeheuerlich".

Die "Quilliam Foundation" muss also Resultate liefern, um ihr pralles Budget zu rechtfertigen. Anfang März gelang es ihr, die internationale Medienaufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der pakistanische Gelehrte Tahir ul-Qadri kam auf Einladung der Stiftung nach London, um eine 600 Seiten lange Fatwa – ein religiöses Gutachten – vorzustellen. In der Fatwa verurteilt der Gelehrte Selbstmordattentate als unislamisch, wer sie verübe, lande nicht im Paradies, sondern in der Hölle. Das Töten von Zivilisten sei mit dem Islam nicht vereinbar.

Positive Medienresonanz

Die britische und internationale Presse zeigte sich mehrheitlich begeistert von der Fatwa. Noch nie habe ein islamischer Gelehrter so eindeutig die Gewalt verdammt, die Al-Qaida und andere islamische Extremisten im Namen der Religion verübten. Die Fatwa habe das Potential, junge Muslime, die auf dem Wege seien, in den Extremismus abzugleiten, zur Umkehr zu bewegen, so der Tenor. Selbst der Bild-Zeitung war die Geschichte eine Meldung wert: "So deutliche Worte hat ein islamischer Gelehrter für Terroristen noch nie gefunden!"

Ob das so stimmt ist fraglich. Nach den Anschlägen von London am 7. Juli 2005 veröffentlichten zum Beispiel einige Dutzend islamische Gelehrte aus Großbritannien eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Tat ohne Wenn und Aber verurteilten: "Wir sind der festen Überzeugung, dass dieses Töten nicht vom Islam gutgeheißen werden kann, es gibt auch keine Rechtfertigung in unserer edlen Religion für solche bösartigen Taten." Die Täter seien keinesfalls als Märtyrer zu betrachten.

Auch andere Religionsgelehrte in der islamischen Welt haben ähnlich lautende Fatwas zu dem Thema Selbstmordattentate verfasst. Die Frage ist also, ob das Gutachten Tahir ul-Qadris jenseits der Medienaufmerksamkeit, die es erhalten hat, geeignet ist, muslimischem Extremisten zur Umkehr zu bewegen. Zweifel sind angebracht. Erreicht er die Richtigen?

Fragwürdiger Erfolg

Eine Fatwa ist die persönliche Meinung eines islamischen Gelehrten, ob ein Gläubiger sie befolgt oder nicht hängt davon ab, wie er diese Person beurteilt. Tahir ul-Qadri ist Führer einer Sufi-Organisation. Auf Youtube kursiert ein Video, in dem sich seine Anhänger mit Musik in Ekstase tanzen. Am Ende taucht der Gelehrte selber auf, steigt über einen am Boden liegenden Mann und wirft dem Sänger Geldscheine zu.

Londoner Zentralmoschee am Regents Park; Foto: Arian Fariborz
Viel Medienlärm um nichts? Bei Großbritanniens Muslimen sorgte die Fatwa Taher ul-Qadris bislang für keinerlei nennenswerte Resonanz.

​​In salafistischen Kreisen, aus deren Mitte sich die meisten Jihadis rekrutieren, macht er sich mit solchen Praktiken extrem angreifbar. Sie lehnen Tanz und Gesang als unislamisch ab. So ist nach Ansicht von Sicherheitsexperten Kritik an Selbstmordattentaten vor allem dann effektiv, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt. Ein Sufi findet unter Salafisten jedoch kaum Gehör. In Deutschland jedenfalls hat Tahir ul-Qadri in den einschlägigen Webforen keinerlei Reaktion hervorgerufen. "Nicht mal ein abwertender Kommentar ließ sich finden", so ein deutscher Verfassungsschützer. "Die Ausstrahlungskraft auf die deutsche Jihadi-Szene lässt sich also mit 'nicht vorhanden' bezeichnen."

Von der Sinnlosigkeit einer "Fatwa-Schlacht"

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob religiöse Gutachten die richtige Methode sind, um einen fortschrittlichen Islam zu entwickeln. Es sei zwecklos, eine "Fatwa-Schlacht" mit den Extremisten zu beginnen, so Brian Whitaker, langjähriger Nahostkorrespondent des britischen Guardian. Denn für jedes Gutachten gebe es ein Gegengutachten. Zudem nehme jede Fatwa für sich in Anspruch, die religiöse Wahrheit wiederzugeben und ersticke somit kontroverse Debatten im Keim. Das zementiere die autoritären Tendenzen im Islam. "Organisationen wie 'Quilliam' sollten die Leute dazu anregen, weniger auf Fatwas zu achten, statt mehr", so Whitaker.

Tatsächlich ist Tahir ul-Qadri selbst nicht die Toleranz in Person. In einem Interview mit dem Evening Standard behauptete er, jeder Wahhabit und jeder Deobandi würde den Terroristen das Beste wünschen. Doch auch in diesen Kreisen gibt es diverse Rechtsgelehrte, die sich gegen Terrorattentate auf Zivilisten ausgesprochen haben. Das unterschlägt Tahir ul-Qadri. Abgesehen davon: Auf dem Video, in dem sich seine Anhänger in Ekstase tanzen, sind am Rande auch Frauen zu sehen. Alle sind komplett verschleiert, bis auf die Augen ist nichts von ihnen zu sehen. Ganz so wie in Saudi-Arabien.

Albrecht Metzger

© Qantara.de 2010

Albrecht Metzger ist Islamwissenschaftler und arbeitet als Journalist mit dem Schwerpunkt Islamismus.