Ordnung ins Chaos: Ein Flüchtling startet durch

Der Syrer Alaa Houd hat viel hinter sich: Flucht über die Ägäis, Odyssee durch deutsche Flüchtlingsheime und ständig die Sorge um Frau und Kind im Bürgerkriegsland. Nun hat er endlich ein neues Zuhause gefunden: in Bonn. Von Sebastian Schug.

Von Sebastian Schug

Schon von Weitem winkt er lachend, "Hallo, alles gut? Wie lange hast du gewartet?", begrüßt Alaa Houd den DW-Reporter auf Deutsch. Nach einem festen Händedruck lädt er in seine erste eigene Wohnung in Deutschland. Seine Heimat Damaskus verließ Houd vor fast eineinhalb Jahren. Nach einer dramatischen Flucht mit dem Boot nach Griechenland folgte der Aufenthalt in mehreren Flüchtlingsunterkünften in Deutschland.

Spricht man heute mit Houd, so lacht er gern und viel. Die Anspannung, die bis zur Annahme seines Asylantrags vergangenen Sommer auf ihm lastete, ist von ihm abgefallen. Im Herbst 2014 kam er nach Deutschland, doch bis er seine Familie aus Syrien nachholen durfte, verging fast ein ganzes Jahr. Mehr als zwei Monate ist es jetzt schon her, seit seine Frau Hiba Al Dagstani und sein Sohn Gabriel mit dem Flugzeug nach Deutschland kamen. Ein Jahr, ein Monat und fünf Tage hatte er sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht gesehen.

Neue Wohnung, neues Glück

Seit Houds Familie hier ist, hatte die Suche nach einer neuen Wohnung oberste Priorität. Für den Übergang lebte die dreiköpfige Familie in seinem altem WG-Zimmer. Das Leben dort, auf 20 Quadratmetern, war nicht einfach. Seit zwei Wochen haben die Drei nun eine eigene Wohnung in der Bonner Altstadt.

Doch ohne fremde Hilfe wäre das nicht möglich gewesen. Unterstützung kam von der Journalistin Claudia Dehn, die Houd schon seit Längerem begleitet. Er nennt sie liebevoll seinen "deutschen Engel". Dehn übernahm für Houd vor allem den Briefwechsel und die Telefonate mit den Vermietern. Nach etlichen Anläufen und dem Durchforsten von Wohnungsportalen fand Alaa Houd schließlich seine Traumwohnung - frisch renoviert, mit moderner Küche und einladend.

Foto: DW
Wohnort Bonner Altstadt: Multikulturelle Vielfalt

Die letzte Hürde war, dass sich auch noch 150 andere für diese Wohnung interessierten. Am Ende brauchte es Glück und eine gute Portion Mitgefühl des Vermieter. Der entschied sich nach einem sozialen Gesichtspunkt: "Ihr braucht die Wohnung am meisten".

Jetzt lebt Houd mit seiner Familie mitten im multikulturellen Zentrum von Bonn. Er ist angekommen in Deutschland. Wenn er spricht, merkt man, er hat einen Plan und er weiß, was zu tun ist. Integrationskurs, Jobcenter, Jugendamt: Alaa Houd kämpft sich tapfer durch die deutsche Bürokratie.

Die Sprache ist der Schlüssel

Hilfreich dabei ist sein ungebrochener Wille, so schnell es geht, Deutsch zu lernen. Für die Familienzusammenführung und die Wohnungssuche musste er seinen Integrationskurs unterbrechen.

Jetzt ist Houd mit neuem Eifer bei der Sache. Eine Sprache zu lernen heißt: Verstehen und Sprechen. Für Behördengänge braucht der 28-Jährige schon keinen Übersetzer mehr. Meistens versteht er, was die Mitarbeiter ihm sagen wollen. Die Mehrzahl der Gespräche führt er jedoch weiterhin auf Englisch. Bis Houd genau so gut Deutsch spricht, dauert es noch ein wenig. Daher hat der Sprachunterricht jetzt für ihn höchste Priorität. Daneben hilft er anderen Flüchtlingen als Übersetzer und ermuntert seine deutschen Freunde, mit ihm Deutsch zu sprechen.

Die Sprache lernen und neue Kontakte schließen, das wollen auch seine Frau und der dreijährige Gabriel. Die Anträge für den Deutschunterricht und einen Kitaplatz sind bereits eingereicht. Jetzt warten sie auf eine "Antwort". Alaa Houd lacht, während er das deutsche Wort benutzt, dass sich wie so viele andere in sein Englisch eingeschlichen hat. Er will eine Ausbildung machen, seine Frau hat einen Master in Literaturwissenschaft zum Ziel, für alles ist die Sprache der Schlüssel.

Vom "Gefängnis" in die Freiheit

Anders als ihr Mann sieht Hiba Al Dagstani ihr neues Leben in Deutschland noch nicht so entspannt. Ein Großteil ihrer Verwandten lebt weiterhin in Syrien. Um sie macht sie sich noch immer große Sorgen. Das hat die Flucht aus Damaskus für die junge Frau zu einem sehr emotional aufreibenden Schritt gemacht. Al Dagstani hat nicht nur ihre Heimat hinter sich gelassen, sondern einen Großteil der Menschen, die ihr nahestehen. Doch auch sie will so schnell wie möglich neue Kontakte schließen. Dabei wird sie vom Jugendamt unterstützt. Es ist ein erster Schritt in Richtung Normalität.

Der kleine Gabriel hingegen hat sich in Deutschland bereits eingelebt. Laut Vater Houd war es für den Dreijährigen sehr schlimm, in Damaskus eingesperrt zu sein. Die Wohnung in der syrischen Hauptstadt sei für seinen Sohn wie ein Gefängnis gewesen. Während die Erwachsenen Tee trinken, rennt er wie ein Wirbelwind durch das neue Wohnzimmer.

Alaa Houd glaubt fest daran, dass der Junge die Kriegserlebnisse bald vergessen haben wird. Das Wichtigste sei der Kontakt zu anderen Kindern. Doch ganz spurlos scheinen die Ereignisse nicht an Gabriel vorübergegangen zu sein. So rief der Dreijährige "versteck dich", als das Silvesterfeuerwerk über Bonn zu sehen war und Böller krachten.

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Wiedersehen nach über einem Jahr: Vater Alaa Houd mit seinem Sohn Gabriel

Silvester in Köln: "Das war abnormal!"

Sein Vater denkt aus anderen Gründen ungern an Silvester zurück. Selbstverständlich haben auch er und seine Frau mitbekommen, dass vor dem Kölner Hauptbahnhof massenhaft Frauen von Männern aus islamisch geprägten Ländern bedrängt und begrapscht wurden. Für Houd ist das unbegreiflich, er kennt keinen ähnlichen Fall aus Syrien. Das sei "abnormal". Der 28-Jährige ist sich sicher, in Syrien wäre ein Mann für diese Übergriffe im Gefängnis gelandet, niemand hätte das zugelassen.

Fragt man nach Erklärungen, so fällt ihm eine Antwort schwer. Es sei ein großes Problem, wenn junge Männer in einer Erstaufnahmeeinrichtung monatelang zum Nichtstun verdammt sind. Ohne die Möglichkeit an Deutschkursen teilzunehmen, ohne zu Arbeiten und etwas für ihre Zukunft zu tun, verlören sie die Zuversicht.

Houd spricht aus Erfahrung: Nach seiner Ankunft in Deutschland dauerte es zehn Monate, bis sein Asylantrag bewilligt wurde. Er ist der Meinung: Mehr Regeln sind nötig. Vor allem junge Flüchtlinge bräuchten einen Leitfaden, dem sie folgen können, um sich zu integrieren. Dazu gehören für Houd auch Sanktionen. Wer eine Straftat begeht, müsse seine Chance auf Asyl in Deutschland verlieren.

Seine eigene Zukunft sieht Alaa Houd positiv. Er hat einen klaren Anspruch an sich selbst: "Sei der Mensch, der Dinge in Ordnung bringt, nicht der, der in Ordnung gebracht wird!"

Sebastian Schug

© Deutsche Welle 2016