Die Last der Gastfreundschaft

Die Nachbarländer Syriens – insbesondere Libanon, Jordanien und die Türkei – stehen unter zunehmendem finanziellen Druck und drängen deshalb syrische Flüchtlinge dazu, in ihr Heimatland zurückzukehren, unabhängig davon, ob die Bedingungen jenseits der Grenze sicher sind oder nicht. Von Jesse Marks

Von Jesse Marks

Während der Syrienkrieg auf das achte Jahr zusteuert und die Menschen weiter aus den Kriegsgebieten fliehen, nimmt der Westen insgesamt immer weniger syrische Flüchtlinge auf. Diese Entwicklung begann mit dem EU-Türkei-Abkommen von März 2016 und setzt sich mit dem Vorstoß von US-Präsident Donald Trump fort, Syrer vorzugsweise nach Jordanien und Libanon umzusiedeln anstatt in den Vereinigten Staaten aufzunehmen.

Diese Entwicklung verstärkt den Druck auf die Nachbarländer Syriens, die bereits Millionen syrischer Flüchtlinge beherbergen; trotz hoher Arbeitslosigkeit, regionaler Instabilität und gekürzter internationaler Finanzmittel. Die Regierungen der Aufnahmeländer ergreifen daher zunehmend repressive Maßnahmen, um Flüchtlinge zurückzudrängen. Dies äußert sich beispielsweise in Festnahmen, Aufenthaltsbeschränkungen, Abschiebungen und Ausweisungen.

Trotz der hohen Zahl von 5,5 Millionen gemeldeten syrischen Flüchtlingen und geschätzten 6,5 Millionen Binnenvertriebenen im Jahr 2016 – und weiteren 200.000 Vertriebenen allein aus Nordwestsyrien seit Dezember 2017 – sank die Gesamtzahl der in westliche Länder umgesiedelten Syrer von rund 48.000 im Jahr 2016 auf 30.000 im Jahr 2017.

Eine Ausnahme bilden Deutschland, Kanada, das Vereinigte Königreich und Australien. Diese Länder haben sich verpflichtet, im Jahr 2018 mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Andere Länder setzen dagegen auf die Umsiedlung von Flüchtlingen in die Nachbarländer Syriens.

Die angestrebte langfristige Ansiedlung von Syrern in Jordanien, Libanon und der Türkei erfordert jedoch weitreichende und langjährige internationale Finanzzusagen. Die betroffenen Aufnahmeländer geraten unter Druck, wenn sich die Prioritäten der Geberländer verschieben und die einst zugesagte Finanzierung ausbleibt.

Die Versorgung der Flüchtlinge und die daraus resultierende finanzielle Belastung für Jordanien und den Libanon übersteigen bereits heute die eigenen Möglichkeiten, sodass diese Länder stark auf internationale Hilfen angewiesen sind.

Außenminister Heiko Maas inmitten der geflüchteten Jugendlichen in Jordanien. Foto: DW
Unterstützung für ein überfordertes Land: Mit 650.000 syrischen und etwa 75.000 irakischen Flüchtlingen habe Jordanien seine Kapazitäten längst erreicht, egal wohin man kommt. Jordanien selbst geht davon aus, dass sogar 1,3 Million Syrer im Land sind. Mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge leben außerhalb der Lager, Tür an Tür mit den Jordaniern.

Versprechen werden nicht eingelöst

Obwohl die UN-Mitgliedsstaaten auf der Geberkonferenz Supporting Syria and the Region 2016 in London zwölf Milliarden Dollar und auf der Geberkonferenz Supporting the Future of Syria and the Region 2017 in Brüssel weitere sechs Milliarden Dollar zugesagt hatten, werden diese Zusagen bei weitem nicht eingehalten. An den nationalen libanesischen Reaktionsplan – eine gemeinsame Initiative mit den Vereinten Nationen zur Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Syrienkonflikt – wurden im Jahr 2015 nur 54 Prozent der zugesagten Mittel überwiesen, ein Niveau, das 2016 auf 46 Prozent und 2017 auf nur noch 43 Prozent sank. Ähnlich verhält es sich mit dem nationalen jordanischen Reaktionsplan, der im Jahr 2016 mit nur 62 Prozent und im Jahr 2017 mit nur 65 Prozent finanziert wurde.

Zur Schließung der Finanzierungslücke in der Flüchtlingshilfe, die auf jährliche Kosten von 2,5 Milliarden Dollar für Jordanien und auf 10 Milliarden Dollar für den Libanon geschätzt wird, greifen die Regierungen der Aufnahmeländer auf Mittel zurück, die eigentlich für inländische Ausgaben vorgesehen sind.

Im Vorfeld der Vorstellung des jordanischen Reaktionsplans 2018 bis 2020 am 1. Februar 2018 erklärte Premierminister Hani al-Mulki, dass Jordanien seine Leistungsgrenzen bei der Erbringung von Dienstleistungen, den Ausgaben für nationale Ressourcen und der Nutzung der sozialen und physischen Infrastruktur zum Nutzen der syrischen Flüchtlinge erreicht habe.

Unterdessen kürzt die Regierung Trump in ihrem Haushalt 2018 die US-Beiträge an die Vereinten Nationen um fast 285 Millionen Dollar, umgerechnet etwa 24 Prozent. Dazu gehörten eine 16-prozentige Kürzung des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) und die Abschaffung des Fonds International Organisations and Programmes, der über die finanzielle Unterstützung des UN Development Programme und der UN Women entscheidend zur Hilfe für syrische Flüchtlinge in Jordanien, Libanon und der Türkei beiträgt.Nicht in unserem Hinterhof

Das Drängen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union auf eine Unterbringung der Flüchtlinge „so nah wie möglich an ihren Heimatländern“ treibt die Aufnahmestaaten dazu, die Rückkehr von Flüchtlingen zu beschleunigen, weil sie befürchten, ansonsten die Last einer langfristigen syrischen Flüchtlingspräsenz ähnlich wie bei den Palästinensern tragen zu müssen. So haben der Libanon, die Türkei und Jordanien im vergangenen Jahr ihre Rückführungsbemühungen verstärkt.

Die Türkei hat nicht nur ihre eigenen Haushaltsbelastungen verringert, sondern auch die Rückkehr der Flüchtlinge als politische Absicherung für militärische Operationen in Syrien genutzt. Nach Abschluss der Operation „Euphrat-Schild“ im März 2017 meldete die Türkei die Rückkehr von fast 140.000 Syrern in Gebiete, die sie im letzten Jahr eingenommen hatte. Präsident Recep Tayyip Erdoğan nutzt diese Rückkehr als Rechtfertigung für seine derzeitige „Operation Olivenzweig“ in Afrin. Yasin Aktay, ein leitender Berater des türkischen Präsidenten, sagte, die Türkei wolle Afrin wieder aufbauen, sobald die Region sicher sei, um so die Rückführung von bis zu 500.000 Syrern zu unterstützen – wobei diese Zahl auf eine Schätzung von Erdoğans Ehefrau Emine zurückgeht.

In einer Rede vor der UN-Vollversammlung am 21. September 2017 wiederholte der libanesische Präsident Michel Aoun seinen Appell an die Syrer, in die von Assad besetzten Gebiete zurückzukehren, auch wenn es noch keine politische Lösung gebe. Obgleich Premierminister Saad al-Hariri der internationalen Gemeinschaft am 2. Februar versicherte, dass der Libanon keine Syrer abschieben werde, verstärkt der Libanon seine Maßnahmen, Strategien und Auflagen zur Erschwerung der Lebensbedingungen von Flüchtlingen.

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Illegale Siedlungen im Libanon im Blick

Die libanesischen Behörden gehen gegen illegale Siedlungen vor und vertrieben 2017 über 10.000 syrische Flüchtlinge aus Zeltlagern. Seit die libanesischen Streitkräfte im Juli 2017 die Stadt Arsal von den Terrororganisationen IS und Haiʾat Tahrir asch-Scham zurückeroberten, kehrten weitere 10.000 syrische Flüchtlinge nach Syrien zurück, und zwar ohne die Vermittlung und Betreuung des UNHCR. Als Grund nannten viele den Druck der libanesischen Streitkräfte, darunter Festnahmen, Übergriffe auf Siedlungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit.

Das libanesische Militär wies darauf hin, dass diese Razzien nach der Arsal-Operation eine Reaktion auf mehrere Selbstmordattentate nahe der libanesischen Grenze seien. In Sidon, wo nicht die gleichen Sicherheitsbedenken bestehen, wurden im Januar jedoch 50 Flüchtlinge festgenommen, weil sie nicht über die erforderlichen Papiere verfügten und illegal ins Land kamen.

Das libanesische Außenministerium erarbeitete im Oktober 2017 unter Federführung von Außenminister Gebran Bassil einen Plan, der Syrer zur Rückkehr in ihr Heimatland veranlassen soll. Dieser Plan sieht strengere Grenzsicherungen, Massenregistrierungen, Festnahmen, Beschränkungen der humanitären Hilfe auf bestimmte Fälle und rechtliche Schritte gegen illegal lebende und arbeitende Syrer vor. Obwohl der Aktionsplan aufgegeben wurde, ist er typisch für die wachsende Ablehnung von Flüchtlingen im Libanon.

Jordanien verschärft Beschränkungen für Syrer

Wie bereits nach den Terroranschlägen des IS in Karak und Rukban im Jahr 2016 verschärft Jordanien aus Sicherheitsgründen weiterhin die Restriktionen für Syrer und versucht, ein möglichst ungünstiges Umfeld für sie zu schaffen. Nahezu 80 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben außerhalb der Flüchtlingslager. Viele von ihnen befürchten, von jordanischen Behörden festgenommen und in Lager verbracht zu werden.

Etwa 8.500 Flüchtlinge, die jordanische Behörden aus dem inoffiziellen Vertriebenenlager Rukban an der Nordgrenze Jordaniens, in das viele Syrer aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen sind, in das Flüchtlingslager Azraq gebracht haben, werden Berichten zufolge ebenfalls in einem gesonderten Teil des Lagers so lange festgehalten, bis Sicherheitskontrollen ergeben, dass diese Flüchtlinge keine Bedrohung darstellen. Dies soll die Einschleusung potenzieller IS-Terroristen verhindern.

Hilfsorganisationen in Jordanien schätzen allerdings, dass die Hälfte der 50.000 syrischen Flüchtlinge im Lager Azraq aus ganz Jordanien gewaltsam in das Wüstenlager gebracht wurde. Darunter befinden sich viele Menschen, die von den jordanischen Behörden ohne ordnungsgemäße Papiere aufgegriffen wurden, und solche, die als Mittelsmänner für Familien in Syrien dienen. Die Maßnahmen zur Eindämmung terroristischer Aktivitäten schaffen für die Syrer ein prekäres Umfeld, das in Verbindung mit zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und hohen Lebenshaltungskosten viele zur Rückkehr in ihre Heimat zwingen könnte. Diese Zwangsmaßnahmen werden durch zusätzliche Abschiebungen unterstützt, die regelmäßig in Libanon, Jordanien und der Türkei dokumentiert werden.

Laut Human Rights Watch stieg die Zahl der aus Jordanien abgeschobenen Syrer Anfang 2017 an. Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden fast 400 Flüchtlinge pro Monat zurückgeschickt. Dies stellt die zweite große Welle seit Anfang 2016 dar. Viele Angehörige kehrten dabei „freiwillig“ zusammen mit ihren abgeschobenen Familienangehörigen nach Syrien zurück.Immer mehr Abschiebungen

Da viele syrische Flüchtlinge nicht registriert sind, ist zu befürchten, dass der von Jordanien ausgehende Druck, mehr Flüchtlinge in Lagern festzuhalten, zu weiteren Abschiebungen führen wird. In der Türkei haben Menschenrechtsgruppen seit 2016 bis zu 100 Abschiebungen pro Tag dokumentiert. Trotz der begrenzten verfügbaren Informationen scheint sich dieser Trend fortzusetzen. Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte zudem im Juli 2017, kriminelle Flüchtlinge abschieben zu wollen.

Diese Politik bringt den UNHCR in eine schwierige Lage: entweder man lässt unsichere Rückführungen zu und begleitet diese oder man schaut zu, wie Menschen unter chaotischen und potenziell gefährlichen Bedingungen zurückkehren. Im August 2017 begann der UNHCR mit der Ausweitung seiner Maßnahmen in Syrien zur Erleichterung der Wiederansiedlung von Rückkehrern. Hierzu stockte er sein Personal auf und plante Mittel in Höhe von 150 Millionen Dollar ein.

Das Hochkommissariat für Flüchtlinge gab im Juni bekannt, dass man die notwendigen Vorbereitungen zur Bewältigung der steigenden Rückkehrerzahlen treffe, obwohl man die Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien aufgrund der anhaltenden Unsicherheit weder fördere noch unterstütze. Eine nachhaltige Wiedereingliederung, die eine umfassende Zusammenarbeit zwischen dem UNHCR, den Geberländern, internationalen Organisationen, Flüchtlingen und Vertretern des Gastlandes erfordert, ist so nicht möglich. Die meisten syrischen Flüchtlinge flohen vor der syrischen Regierung. Sie können wegen der weitreichenden Zerstörungen, der anhaltenden Gewalt und der Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen nicht in „sichere Gebiete“ zurückkehren.

Die Risiken einer vorzeitigen Rückführung

Seit 2011 führt die syrische Armee umfassende Militäroperationen gegen Wohngebiete, Dörfer und in einigen Fällen ganze Städte mit brutalen Bombenangriffen, Chemiewaffen, Belagerungen und Zwangsvertreibungen durch. Diese Angriffe sind die Ursache für einen Großteil der Flüchtlingsbewegungen aus Syrien. Die massive Zerstörung von Gebäuden und Infrastrukturen, der Mangel an Versorgungseinrichtungen und die Verminung großer Gebiete als Hinterlassenschaft der Milizen schaffen zudem erhebliche Sicherheitsrisiken für die Rückkehrer.

Wenn Flüchtlinge nach Hause geschickt werden, bevor die Bedingungen für eine sichere und nachhaltige Rückkehr gegeben sind, werden sich die bereits verschlechterten humanitären Bedingungen in Syrien weiter verschärfen. Auch entsteht in den ohnehin prekären und fragilen Regionen eine Konkurrenzsituation zwischen der verbliebenen Bevölkerung und den Rückkehrern. Sollte es in diesen Gebieten zu gewaltsamen Konflikten kommen, drohen zudem neue Vertreibungen.

Jesse Marks

© Sada | Carnegie Endowment for International Peace 2018

Jesse Marks ist Scoville Fellow und Fulbright Fellow mit Sitz in Amman, Jordanien.