Der kurze Frühling der Demokratie

Für sein Engagement wurde Riad Saif von der Stadt Weimar mit dem Menschenrechtspreis 2003 ausgezeichnet. Doch um den geistigen Vater des demokratischen Aufbruchs in Syrien ist es still geworden, der von ihm initiierte "Damaszener Frühling" wird totgesagt. Ahmad Hissou berichtet

Für sein Engagement wurde der Syrer Riad Saif von der Stadt Weimar mit dem diesjährigen Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Doch um den geistigen Vater des demokratischen Aufbruchs in Syrien ist es mittlerweile still geworden, der von ihm initiierte "Damaszener Frühling" wird totgesagt. Ahmad Hissou berichtet

Riad Saif
Riad Saif

​​Der verstorbene syrische Präsident Hafez el-Assad hatte nicht ahnen können, dass das Phänomen der sogenannten „Unabhängigen“ in der syrischen Volksversammlung derart problematisch werden würde. Er hatte sich den Händlern aus Damaskus dankbar erwiesen und ihnen einige Sitze in der Volksversammlung zugestanden, weil diese ihn während des Konflikts mit den Muslimbrüdern Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre unterstützt hatten.

Er konnte damals jedoch nicht ahnen, dass einer dieser Unabhängigen ihm und seinem Nachfolger eines Tages den Schlaf rauben würde: Der inhaftierte Industrielle und Abgeordnete aus Damaskus, Riad Saif. Er war zur damaligen Zeit weitgehend unbekannt und trat in die Politik durch eben dieses Tor in die undurchdringlichen Mauern des Regimes ein – ein Tor, das der syrische Präsident selbst geöffnet hatte.

Kampf der Vetternwirtschaft

Saif, Vertreter der Firma „Adidas“ in Damaskus, erhielt diese für einen Industriellen bisher einzigartige Möglichkeit und wurde in kürzester Zeit innerhalb der syrischen Gesellschaft zu einem herausragenden Symbol der Industrie und Politik. Die Volksversammlung schlug nach Saifs Eintritt eine neue Richtung ein. Er ließ keine Gelegenheit aus, sich kritisch über die Leistung der Regierung zu äußern.

Als Industrieller lehnte Saif es jedoch zu Beginn seines Abgeordnetenlebens ab, sich zu politischen Themen zu äußern. Er beschränkte seine Aktivitäten auf den wirtschaftlichen Bereich. In den letzten Tagen der Ära Hafez el-Assad änderte sich das allerdings, als dessen Sohn Baschar auf der Bildfläche erschien und bekannt gab, das Problem der Korruption bekämpfen zu wollen.

Dies war für Saif ein lang ersehntes Ziel. Und so war er der Erste, der sich dafür stark machte, es in der Volksversammlung verteidigte und schriftliche Einwände gegen Verschwendung öffentlicher Gelder und Korruption erhob. Der unabhängige Abgeordnete bezog nun auch Intellektuelle ein, die nach der Machtübernahme von Baschar el-Assad wieder in Erscheinung traten.

Demokratischer Aufbruch – der "Damaszener Frühling"

Saif war der Erste, der die Initiative ergriff und zahlreiche Kulturzirkel gründete. Die "Versammlung des nationalen Dialogs" war der Wegbereiter dessen, was später unter dem "Damaszener Frühling" bekannt wurde. Saif ist also sozusagen der geistige Vater dieses Frühlings. Er gestaltete seine Wohnung in Damaskus zu einem Treffpunkt für Verfechter der Freiheit und Demokratie um. Auf diesen Versammlungen wurden u.a. Themen wie die Geschichte Syriens, die Rolle der Intellektuellen in der Zivilgesellschaft, die Einbindung der Bürger sowie Fragen der Menschenrechte diskutiert.

Auch wenn die syrischen Intellektuellen anfangs dem Industriellen aus der Textilbranche misstrauten, so fanden sie sich doch schnell durch seine Initiative zusammen. In seiner Wohnung entstand die Idee zur Gründung der Kulturzirkel und auch des "Komitees zur Wiederbelebung der Zivilgesellschaft".

Eine Regierung der Trägheit und Gleichgültigkeit

Saif legte seinen Finger in eine offene Wunde. Er brachte in der Volksversammlung einen wichtigen Einwurf ein, indem er die Regierungserklärung der früheren Regierung auf einen Nenner brachte und damit das politische Leben in Syrien folgendermaßen kommentierte:

"Sie gehört zu den glücklichsten Regierungen der Welt: Es gibt keine Oppositionsparteien, die ihr das Leben schwer machen, keine Arbeiterstreiks, die sie in Bedrängnis bringen, keine gerichtliche Instanz, die über sie urteilen, keine gesetzgebende Gewalt, die sie kontrollieren, keine neugierige Presse, die ihre Fehler aufdecken würde. Dieses Klima, das die Regierung umgibt, führt zwangsläufig zu Erschlaffung, Faulheit und Gleichgültigkeit und ist notwendigerweise ein fruchtbarer Boden für das Anwachsen der Korruption."

Doch bei diesen mutigen Statements beließ es Saif nicht. Er verkündete darüber hinaus seinen Willen, eine neue Partei zu gründen, die "Partei des sozialen Friedens". Die Kulturzirkel brachten keine greifbaren Ergebnisse, so dass ihm eine oppositionelle politische Partei mit einer breiten Basis notwendig erschien – eine Partei, die das politische Leben in Staat und Gesellschaft wiederbelebt. Doch daraufhin schlugen die syrischen Machthaber Alarm, mobilisierten ihre Apparate und schärften ihre Waffen, um das "Phänomen Saif" zu stoppen und von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Der Niedergang der Demokratiebewegung

Am 6. September 2001 wurde der 55jährige Abgeordnete schließlich verhaftet, nachdem ihm seine parlamentarische Immunität durch die alleinige Entscheidung des Präsidenten der Volksversammlung, entzogen wurde – ohne dass dieser die Volksversammlung befragt hätte.

Die Verhaftung Saifs bedeutete ein Alarmsignal für die Demokratiebewegung im Land: Die Repressionen der Sicherheitsorgane gegen alle Aktivisten der Zivilgesellschaft zogen Festnahmen von syrischen Intellektuellen nach sich, darunter auch diejenigen, die zur Initiative der sogenannten "Zehn Ehrenwerten" gehörten.

Neben Riad Saif gehörten zu diesem Kreis auch der unabhängige Abgeordnete Muhammad Ma'mun al-Homsi, der bekannte Akademiker Arif Dalila und der Oppositionelle Riad al-Turk.

Am 4. April 2002 erließ die Zweite Strafkammer in Damaskus das Urteil: Wegen "des Verbrechens, eine Verfassungsänderung durch illegitime Mittel erreichen zu wollen" wurde Saif zu fünf Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Dabei wurde auf das Parteiprogramm verwiesen, das Seif in einer Schrift mit dem Titel "Wichtigste Prinzipien des Dialogs" veröffentlicht und zur Änderung einiger Prinzipien der syrischen Verfassung aufgerufen hatte. Dabei ging es ihm besonders um den Paragraphen 8, welcher lautet: "Die Baath-Partei ist die im Staat und in der Gesellschaft führende Partei".

Das Gericht als Schaubühne demokratischen Protests

Saif verwandelte seinen Prozess zu einer Plattform seiner politischen Überzeugungen. Er bezeichnete das Gerichtsurteil als eine Auszeichnung für ihn und führte es ad absurdum, indem er sagte, dass er der "Gefangene der Mobilfunkverträge und nicht der Gefangene wegen eines Verstoßes gegen die Verfassung" sei. Der inhaftierte Abgeordnete hatte einen Monat vor seiner Festnahme eine 96-seitige, kleinformatige Schrift mit dem Titel "Abschluss der Mobilfunkverträge" veröffentlicht. Darin enthüllte er, dass dem syrischen Staat durch diese Verträge 400 Milliarden syrische Pfund (ca. 8 Milliarden US-Dollar) verloren gehen und die beiden Vertragsfirmen ein und derselben Person gehören. Diese Person ist überdies mit dem syrischen Präsidenten verwandt.

Beide Firmenmonopole erzielten unangemessene Gewinne in Höhe von bis zu 300 Milliarden syrischen Pfund. Diese Summe entspräche "der Summe aller Gehälter, Zuwendungen und Abfindungen für die Angestellten des Justizministeriums, des Ministeriums für Hochschulwesen, für Bildung, für Gesundheit, für soziale Angelegenheiten und Arbeit. Diese Angestellten würden im Zeitraum von 15 Jahren ungefähr eine Million syrischer Bürger ernähren."

Mit der vorläufigen Niederlage der Initiative der "Zehn Ehrenwerten" erlitt Saifs Bewegung für eine Zivilgesellschaft in Syrien einen empfindlichen Rückschlag. Der vergangene "Damaszener Frühling" wurde nun von vielen totgesagt.

In diesem Jahr nun überreicht die Stadt Weimar Riad Saif den Menschenrechtspreis und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf das vielleicht wichtigste Symbol des Damaszener Frühlings. Dieser Preis, der 1995 ins Leben gerufen und verschiedenen Persönlichkeiten überreicht wurde, ehrt damit einen herausragenden Industriellen, der sich in einem Land, in dem seit vierzig Jahren der Ausnahmezustand herrscht, für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt hat.

Ahmad Hissou © Qantara.de 2003

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