Die weibliche Lawrence von Arabien

Die nationalstaatliche Ordnung im Mittleren Osten befindet sich in Auflösung, seitdem die IS-Miliz die irakisch-syrische Grenze überrannt hat - eine Grenze, die auf das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 zurückgeht. Maßgeblich beteiligt an der Grenzziehung war auch die Britin Gertrude Bell. Birgit Svensson hat sich auf die Suche nach ihrer Grabstätte in Bagdad gemacht.

Man begrub sie in Bagdad. Mit diesem kurzen Satz endet die Biographie einer der wichtigsten Frauen der neueren Geschichte im Mittleren Osten. Gertrude Bell, „Königin der Wüste“, wie der Film von Werner Herzog sie betitelt. Oder „Mutter des Irak“, wie die Einwohner zwischen Euphrat und Tigris jene Frau nennen, die ihnen gleichzeitig Fluch und Segen bescherte.

Die Suche nach ihrem Grab in der irakischen Hauptstadt gleicht einer kleinen Odyssee. „Nein, hier ist sie nicht“, behauptet der Friedhofswächter am britischen Ehrenfriedhof im Herzen Bagdads, am Bab al-Muadam, und schreitet mit der Besucherin die Grabreihen ab. Hier liegen Soldaten seiner Majestät, König Georg V. von Großbritannien. Die meisten sind 1917 gefallen.

Für Sir Frederick Stanley Maude wurde auf dem weitläufigen Areal ein kleines Mausoleum errichtet. Der General machte sich einen Namen im Einsatz an der Mesopotamienfront im Ersten Weltkrieg, als Eroberer Bagdads. Nach der Invasion britischer und amerikanischer Truppen im Jahr 2003 im Irak bezeichnen die Briten ihr Hauptquartier in Bagdads Grüner Zone als „Maude House“.

Neuordnung des Nahen Ostens

„Schauen Sie auf dem armenischen Friedhof nach, wenn Sie Miss Bell finden wollen“, rät der Wächter des britischen Friedhofs schließlich. Doch dort liegt sie auch nicht. Als die Frau, die den Irak schuf, am 12. Juli 1926 in ihrer Wahlheimat Bagdad unter noch immer ungeklärten Umständen starb, hatte sie bereits erheblich an Einfluss verloren.

In diesem Grab liegt Getrude Bell. Foto Birgit Svensson
Die Erfinderin des Iraks: Nach der Rolle der Toten für sein Land befragt, sagt Grabwächter Ali Mansour diplomatisch: „Einerseits war sie verantwortlich für die unglückliche Grenzziehung und das Gebilde Irak, das so vorher nicht existierte. Andererseits hat sie sich stets für das kulturelle Erbe des Landes eingesetzt und das irakische Nationalmuseum begründet.“

Eine geheime Übereinkunft zwischen den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs hatte schon am 16. Mai 1916 die Aufteilung der noch von den Osmanen zu erobernden Kriegsbeute beschlossen. Die endgültige Zerschlagung des türkischen Reiches dauerte aber noch zwei weitere Jahre. Die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens war jedoch beschlossene Sache und sollte fortan die Handschrift von Gertrude Bell tragen.

Als zunächst inoffizielle Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes, später als politischer Verbindungsoffizier im Rang eines Majors und Orientsekretärin, war sie maßgeblich an der Gründung des heutigen Irak beteiligt und gehörte zu den engen Vertrauten des irakischen Königs Faisal I.. Faisal war zunächst König von Syrien gewesen, bis die Franzosen ihn verjagt hatten und die Briten ihn auf Drängen Bells in Bagdad einsetzten.

Danach brauchte der haschemitische König die Britin nicht mehr und auch die Engländer distanzierten sich von der für die damalige Zeit ungewöhnlichen Dame. So ist es zu erklären, dass sie nicht auf dem britischen Ehrenfriedhof ihre letzte Ruhestätte fand.

Mit Mark Sykes, einem der beiden Verhandlungsführer des Geheimabkommens, verband Gertrude Bell eine innige Feindschaft. Er nannte sie ein „flachbrüstiges Mannweib, einen Schwanz wedelnden Globetrotter, eine billige Schwätzerin“. Sie wiederum bezichtigte ihn einer grenzenlosen Inkompetenz.

Denn das Abkommen, das Sykes zusammen mit dem Franzosen François Georges-Picot schmiedete, war schon zum Zeitpunkt seiner Unterzeichnung umstritten. Picot war der deutlich erfahrenere Verhandlungspartner und hatte es verstanden, für Frankreich weit mehr als erwartet herauszuholen. Außerdem enthielt das Abkommen gravierende Widersprüche. Während zuvor den Arabern die Unterstützung Großbritanniens im Falle einer Revolte gegen das Osmanische Reich zugesagt und die Anerkennung einer anschließenden arabischen Unabhängigkeit in Aussicht gestellt wurde, teilten Frankreich und Großbritannien nun weite Teile des arabischen Territoriums unter sich auf und schufen Länder wie Syrien und den Irak.

Allerdings enthielt auch das Sykes-Picot-Abkommen bereits im ersten Paragraphen den Hinweis, dass sowohl Frankreich als auch Großbritannien bereit seien, einen unabhängigen arabischen Staat in den mit A und B markierten Regionen der Landkarte anzuerkennen und zu schützen. Beide Staaten behielten sich aber in ihren Einflusssphären Privilegien vor, die sie bis in die 1950er Jahre nutzen sollten.

Grab von Gertrude Margaret Lowthian Bell. Foto: Birgit Svensson
Spurensuche in Bagdad: Inmitten von Moscheen, Kirchen, Ministeriumsgebäuden, löchrigen Straßen und endlosen Autoschlangen steht ein steinerner Sarkophag mit der Aufschrift: Gertrude Margaret Lowthian Bell. Auf ihm liegt ein kleines Bouquet mit roten und weißen Plastikrosen.

Die Geburtsfehler des modernen Irak

Gertrude Bell, die zwar in britischen Diensten stand, aber immer ihren Einfluss im Sinne der Araber geltend machte, war damit nicht einverstanden. Mark Sykes war dies egal. Er interessierte sich mehr für das Schicksal der Armenier, die unter dem Druck des Osmanischen Reiches litten, als für die Zukunft der Araber und Kurden. Sykes engagierte sich für die damals aufkommenden Ansprüche der Juden auf ein Gebiet in Palästina.

Die weitere Entwicklung hat gezeigt, wie aus diesen unterschiedlichen Interessen blutige Konflikte erwuchsen und sich heute verschärfen. Dem Irak hat es kein Glück gebracht, dass die drei ethnisch und religiös so unterschiedlichen Provinzen Mosul, Bagdad und Basra in einen Staat gepresst wurden. Das Königreich war stets instabil, 1958 putschte das Militär gegen den amtierenden König Faisal II. Die sozialistische Baath-Partei ergriff 1968 die Macht und 1979 errichtete Saddam Hussein seine Diktatur. Er hielt das Land mit geradezu archaischer Brutalität zusammen.

Ali Mansour öffnet die Blechtür zum kleinen anglikanischen Friedhof im Stadtteil Bab el-Sher Shi am Ostufer des Tigris. Seit fast 50 Jahren ist der 72-jährige Schiit für die wenigen Gräber hier verantwortlich.

Inmitten von Moscheen, Kirchen, Ministeriumsgebäuden, löchrigen Straßen und endlosen Autoschlangen steht ein steinerner Sarkophag mit der Aufschrift: Gertrude Margaret Lowthian Bell. Auf ihm liegt ein kleines Bouquet mit roten und weißen Plastikrosen.

Nach der Rolle der Toten für sein Land befragt, sagt Mansour diplomatisch: „Jeder Mensch hat Vor- und Nachteile.“ Für Miss Bell gelte das auch. Einerseits sei sie verantwortlich für die unglückliche Grenzziehung und das Gebilde Irak, das so vorher nicht existierte. Andererseits habe sie sich stets für das kulturelle Erbe des Landes eingesetzt und das irakische Nationalmuseum begründet. „Sie sprach unsere Sprache, kannte unsere Stämme, unsere Sitten und Gebräuche.“

Was sie nicht kannte, waren die Unterschiede zwischen Sunniten, Schiiten, Arabern und Kurden. „Sonst hätte vieles vermieden werden können.“

Birgit Svensson

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