Eine Stimme für die Gleichheit

Die Menschenrechtsverteidigerin Sultana Kamal kämpft in Bangladesch gegen familiäre Gewalt und für die Rechte der Frauen. Annette Hartmetz stellt sie vor.

Sultana Kamal, Foto: ai
Sultana Kamal

​​Wenn Sultana Kamal vor 50 Leuten sprechen soll, braucht sie kein Mikrofon: "Ich habe die laute Stimme einer Aktivistin", sagt sie lachend. Die 55-jährige Rechtsanwältin ist heute eine der bekanntesten Menschenrechtsverteidigerinnen in Bangladesch.

Als Tochter von Sufia Kamal, Nationaldichterin und Pionierin der Frauenbewegung des Landes, und ihrem Vater, der ebenfalls Schriftsteller und aktiv in der Bewegung "Freiheit des Geistes" ist, wuchs sie mit zwei Schwestern und drei Brüdern in einer Atmosphäre von Toleranz, Freiheit und Respekt auf. Dies habe ihren Lebensweg sehr geprägt, sagt Sultana Kamal.

Ende der sechziger Jahre studierte Sultana Kamal in Dhaka Jura und absolvierte ein Aufbaustudium am "Institute of Social Studies" in den Niederlanden. Seit 2001 ist Sultana Kamal Geschäftsführerin der 1986 gegründeten Nichtregierungsorganisation "Ain o Salish Kendra".

Die 130 Mitarbeiter, davon 82 Frauen, dieses Rechts- und Mediationszentrums kümmern sich um Opfer von familiärer, öffentlicher und staatlicher Gewalt.

Sie bieten rechtliche Beratung und Trainings an, machen Öffentlichkeits- und Pressearbeit und vermitteln unter anderem mit Theaterstücken sehr erfolgreich die Bedeutung von Menschenrechten.

Säureattentate auf Frauen

Sultana Kamal ist unter anderem Mitglied einer Vereinigung von Rechtsanwältinnen in Bangladesch und des weltweiten Netzwerks "Women living under muslim law".

Wer sich in Bangladesch um die Einhaltung der Menschenrechte bemüht, hat zwangsläufig mit schweren Menschenrechtsverletzungen an Frauen zu tun. Zwar ist die Gleichberechtigung in der Verfassung von 1972 verankert, aber die Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern kommen nach Sultan Kamals Worten dort in ihrer "schlimmsten Form" vor.

Ein besonders grausames Beispiel für familiäre Gewalt sind Säureattentate, die in keinem Land der Welt so häufig verübt werden wie in Bangladesch. Fast drei von vier Opfern sind nach einer Krankenhaus-Studie in Dhaka Frauen; ihr Durchschnittsalter liegt bei nur 21 Jahren.

Wenn beispielsweise Frauen sexuelle Avancen oder Heiratsangebote abgelehnt haben, kommt es zu diesen extremen Übergriffen, bei denen sie mit Säure übergossen werden. Bei der Flüssigkeit handelt es sich meist um konzentrierte Schwefelsäure, die in Autobatterien verwendet wird. Die Säure verätzt die Haut bis auf die Knochen, und die Chancen einer Frau, nach einem solchen Angriff ein normales Leben zu führen, sind praktisch Null.

Der erste Fall eines Säureanschlags wurde in Bangladesch 1967 bekannt, seit Mitte der neunziger Jahre steigt die Zahl stetig an. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat "Ain o Salish Kendra" bereits von 159 Säureattentaten erfahren, aber die Dunkelziffer liegt mit Sicherheit höher. Noch nicht einmal zehn Prozent dieser Fälle kommen vor Gericht, weniger als ein Prozent der Täter werden nach Aussage von Frau Kamal verurteilt.

Wie in vielen Ländern trägt die weitgehende Straflosigkeit entscheidend dazu bei, dass Frauen weiterhin Gewalt angetan wird. Es sei überhaupt kein politischer Wille der staatlichen Behörden zu erkennen, dies zu ändern. Sultana Kamal spricht heute gar von einem Prozess des "dis-empowerment" von Frauen, also einer gezielten Schwächung.

Vom Geheimdienst beobachtet

"Ain o Salish Kendra" und die Mitarbeiter/innen stehen unter ständiger Beobachtung des Geheimdienstes. Die Organisation muss genau Bericht erstatten, wer sie besucht und zu welchen Themen sie arbeitet. Seit Oktober 2001 ist in Bangladesch die islamistische "Jamaat-e-Islami" -Partei mit der konservativen "Bangladesh National Party" (BNP) an der Regierung. Dies hat die Arbeit für viele Menschenrechtsorganisationen und Aktivistinn/en schwerer gemacht.

Die vermeintlich oder tatsächlich regierungskritischen NGOs werden eingeschränkt, die islamischen werden unterstützt. Die ganze Gesellschaft sei von Unsicherheit und Angst beherrscht, sagt Sultana Kamal, und noch nie sei sie vor einer Reise ins Ausland von so vielen Freunden gewarnt worden, sie solle auf ihre Worte Acht geben.

Sultana Kamal genießt wegen ihrer Berühmtheit jedoch einen gewissen Schutz: "Die Behörden werden es sich zweimal überlegen, bevor sie mich festnehmen."

Verhaltensanweisungen für Frauen

Den wachsenden Einfluss islamischer Fundamentalisten sieht sie mit großer Besorgnis. Die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft, insbesondere auf die Lage der Frauen, seien bereits sichtbar. Das staatliche Fernsehen werde mittlerweile vollständig von den Fundamentalisten kontrolliert. Zwischen den Sendungen werden immer wieder lange Spots geschaltet, in denen Frauen dazu aufgerufen werden, sich gemäß der islamischen Normen zu verhalten.

Dies bedeutet, die Burka zu tragen, keinen Kontakt mit Männern zu haben, wenig auszugehen und typisch "weiblichen" Tätigkeiten nachzugehen. Wenn die Frauen dies befolgen, so suggeriert man ihnen, dann können sie in Sicherheit leben.

Trotz all dieser Hindernisse sei die Frauenbewegung in Bangladesch sehr lebendig und aktiv: "Manchmal", so Sultana Kamal, "habe ich das Gefühl, dass sich in unserem Land fast nur die Frauen gegen soziale Ungleichheiten und politische Unterdrückung wehren".

Vielleicht weil sie weniger zu verlieren haben als Männer. Und eine positive Auswirkung der staatlichen Unterdrückung sei zumindest, dass die NGOs dadurch besser zusammen arbeiten.

Annette Hartmetz

© amnesty international 2004

Die Autorin arbeitet in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der deutschen ai-Sektion in Berlin.

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