Hitzige Diskussionen im Packeis

Bei dem Projekt "Breaking the Ice" sind vier Israelis und vier Palästinenser in der Antarktis unterwegs, um fernab der Heimat ihre Teamfähigkeit zu entwickeln. Ariana Mirza über eine extreme Friedensmission

Foto: Breaking the Ice
Palästinenser und Israelis hissen ihre Flaggen am Südpol

​​Naturgewalten können unerbittlich sein. In der Drake Passage, die den südlichsten Zipfel Südamerikas mit den Weiten der Antarktis verbindet, toben heftige Stürme. Die fünftägige Überfahrt auf einem Segelboot verlangt der Mannschaft das Äußerste ab – und fordert die erste Verletzte. Olifat Haider, Sportlehrerin aus Haifa, wird an Deck umhergeschleudert. Sie prellt sich mehrere Knochen. Ein schweres Handicap für die tagelangen Märsche durch die Eiswüste, die der Expedition "Breaking the Ice" noch bevorstehen.

Die 33-jährige Palästinenserin ist eine von zwei Frauen in einer achtköpfigen Gruppe von Friedensaktivisten. Vier Israelis und vier Palästinenser sind seit Jahresbeginn unter dem Motto "Breaking the Ice" in der Antarktis unterwegs, um dort gemeinsam einen Berg zu erklimmen und zu taufen. Mit der spektakulären Aktion wollen sie das Augenmerk ihrer Landsleute und der Weltöffentlichkeit auf ihre Forderung nach Frieden lenken.

"Das Blutvergießen muss ein Ende haben"

Zu den Unterstützern des Projekts zählen neben dem deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse auch der Dalai Lama, der Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan sowie die Friedensnobelpreisträger Yassir Arafat, Shimon Peres und Michail Gorbatschow. Die gemeinsame Botschaft, so erklärt der teilnehmende Journalist Ziad Darwish, klinge vielleicht naiv, sei jedoch einer grundlegenden Erkenntnis entsprungen: "Das Blutvergießen muss ein Ende haben."

Die endgültige Absage an die Gewalt ist der kleinste gemeinsame Nenner, den die Teilnehmer der Expedition "Breaking the Ice" für sich gefunden haben. Ihre neu gefundene Solidarität wird jetzt unter extremsten Bedingungen geprüft. "Wir sind hier vollkommen aufeinander angewiesen, um zu überleben", erklärt Heskel Nathaniel. Der israelische Geschäftsmann lebt seit Jahren in Berlin und rief die private Non-Profit-Organisation "Extreme Peace Missions" ins Leben; "Breaking the Ice" ist das erste Projekt.

Nathaniel ist überzeugt, dass gemeinsam erlebte extreme Erfahrungen helfen können, Gegensätze und Feindschaft zu überwinden.

Beim Interview via Satellitentelefon klingt Nathaniel angestrengt. Nicht nur die körperliche Erschöpfung macht den Gefährten in der Antarktis zu schaffen. Hitzige politische Auseinandersetzungen erschweren die 35-tägige Expedition ins Niemandsland. "Wir streiten viel, nicht tagsüber, da sind wir jede Minute beschäftigt, aber abends, wenn wir gemeinsam essen und diskutieren."

Die Zusammensetzung der Gruppe: ein Wunder

Von Außen betrachtet grenzt es allerdings schon an ein Wunder, dass Menschen mit solch konträrer Vita überhaupt miteinander ins Gespräch kommen. Heskel Nathaniel selbst war jahrelang für die Sicherheit von bedrohten Israelis im Ausland zuständig. Ziad Darwishs Bruder wurde bei einem israelischen Militäreinsatz getötet. Yarden Fanta, eine aus Äthiopien stammende Jüdin, verlor beinah ihre gesamte Familie während des monatelangen Fußmarsches in die neue Heimat Israel. Der Palästinenser Nasser Quass saß jahrelang in israelischen Gefängnissen, ebenso wie der Fatah-Aktivist Suleiman al-Khatib, der im Alter von 14 Jahren zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde.

Wie viel Überwindung muss es beispielsweise Quass und Al-Khatib kosten, jetzt mit einem Mann wie Avihu Shoshani an einem Strang zu ziehen, der vier Jahre bei der israelischen Eliteeinheit IDF (Israeli Defense Forces) diente?

Für den Frieden über den eigenen Schatten springen

Der 41-jährige Israeli Nathaniel erklärt diesen Sprung über den eigenen Schatten, den alle Expeditionsteilnehmer gleichermaßen vollbringen, mit ähnlichen Worten wie der 53-jährige Palästinenser Darwish. Es sei der Wunsch nach Frieden für das eigene Volk, der sie alle zu dieser Expedition ins Ungewisse motiviert habe. Und die Erkenntnis, dass dieser Frieden nur im Frieden mit dem Anderen zu finden sei.

Dabei ist die Möglichkeit einander persönlich kennen zu lernen für beide Seiten neu ? und auf so engem und intimem Raum wohl auch nur tausende Kilometer von der Heimat entfernt möglich. "Wir kommen uns in dieser Extremsituation auf der menschlichen Ebene so nah, dass beinahe schon so etwas wie Freundschaft entsteht."

Die Tatsache gegenseitiger Abhängigkeit erzwingt Vertrauen

Die permanente Nähe und die Tatsache, dass man aufeinander angewiesen ist, erzwingen vorbehaltloses Vertrauen. Einen fünfstündigen Fußmarsch beim ersten Landgang in der Antarktis überstanden die Expeditionsmitglieder nur Hand in Hand.

Ein Eissturm hatte sie auf einer Insel namens "Deception" (Täuschung) überrascht. Ziad Darwish lacht, als ich ihn frage, ob er den Namen dieser Insel nicht als schlechtes Omen werte. Ihm persönlich, entgegnet er, sei der Name des Berges, den er gemeinsam mit den anderen erklimmen und taufen wolle, viel wichtiger.

Ein Berg mit einem langen Namen

Rund zwei Wochen später gibt es tatsächlich einen neuen Namen auf der Weltkarte, den "Berg der Israelisch-Palästinensischen Freundschaft". Ein langer Name für einen Berg. In unzähligen Diskussionen haben die Wanderer sich geeinigt. Nach vollbrachter Taufe begibt sich die Gruppe auf die zweiwöchige, beschwerliche Heimreise.

Einige Tage sind sie noch auf sich gestellt, ohne die geringsten Informationen aus der Welt. Bis zum Landgang in Patagonien gilt die vereinbarte Nachrichtensperre. "Ich will hier nicht erfahren, ob letzte Woche mein Heimatcamp bombardiert wurde oder wieder ein Selbstmordattentäter Menschen in den Tod gerissen hat. Den anderen geht es genauso. Darin sind wir uns einig", sagt Darwish.

Ariana Mirza © Qantara.de 2004

Weitere Informationen: Homepage von Breaking the Ice