Nicht ohne meine Schwiegermutter

Verliere niemals deine Werte und deinen Humor. Das ist das Motto, über das Suad Amiry schreibt und das sie auch lebt. Petra Tabeling über die palästinensische Autorin und Friedensaktivistin

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Suad Amiry, Foto: ai
Suad Amiry

​​Suad Amiry ist Architektin und Palästinenserin. Wie bei vielen Menschen in den Autonomiegebieten besteht ihr Alltag in Ramallah aus der täglichen Tortur, durch die zahlreichen Absperrungen der israelischen Streitkräfte zur Arbeit oder zum Einkaufen zu gelangen.

Während der Belagerungszeit des Amtssitzes von Jassir Arafat im Sommer 2002 aber nimmt ihr Familienleben eine Wendung: Die israelischen Truppen belagern nicht nur den Amtssitz des Palästinenserpräsidenten, sondern auch die Wohnung der 92-jährigen Schwiegermutter.

Das war der Anlass für Suad Amiry, darüber ein fiktives Tagebuch zu schreiben. Der Titel: "Sharon und meine Schwiegermutter - Tagebuch vom Krieg aus Ramallah, Palästina". Zuerst erschien das Buch in Italien, nun wurde es auf Deutsch im Fischer Verlag veröffentlicht.

Beißender Humor und traurige Ironie

Im Zeitraum vom 17. November 2001 bis zum 26. September 2002 beschreibt Amiry absurd-komische, aber auch traurig-groteske Ereignisse, die ihr Leben und das ihrer Freunde und Familien in ihrem Umfeld bestimmen.

Zum Beispiel als sich Suad Amiry gemeinsam mit ihrer Freundin auf die Suche nach deren Sohn begibt, der später von den Israelis erschossen wird.Alte Erinnerungen mischen sich mit tagtäglichen Geschichten aus den zehn Monaten der Besatzung.

Und da sind auch die 34 Tage, die Suad Amiry alleine mit ihrer Schwiegermutter verbringen muss. Während Sharon den Palästinensern das Leben draußen zur Hölle macht, macht die Schwiegermutter das Leben daheim auch nicht gerade leichter.

Es ist vor allem Amirys bissige und ironische Art, die den Alltag und die Geschichte der Palästinenser lebendig werden lassen. Sie erlauben einen ganz anderen Blick auf die Realität hinter den stereotypen Bildern von Steine werfenden Jugendlichen und täglichen Bombenattentaten.

Der jungen Generation Werte vermitteln

Suad Amiry studierte Architektur in Beirut, den USA und in Schottland. Heute lebt die 50-Jährige in Ramallah und lehrt an der Universität von Birzeit. Sie ist Präsidentin des "Centre for Architectural Conservation"; eine gemeinnützige Organisation, die sich um den Schutz und die Sanierung palästinensischer Bauten kümmert.

Wegen ihres humanitären Engagements war die Palästinenserin Suad Amiry auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse von Amnesty International in Frankfurt geladen, um über die Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten zu berichten.

Von 1991 bis 1993 war sie Mitglied einer Friedensdelegation von Palästinensern in Washington und rief zum Stopp von palästinensischen Selbstmordattentaten auf, denn Gewalt kann für Amiry keine Lösung sein.

"Unser Leben als Palästinenser wird jede Minute, jede Stunde eingeschränkt. Für mich ist es die größte Herausforderung unter einer Besatzung zu leben und dennoch Werte und Humanität auszuüben, wenn das eigene Leben bedroht ist", meint Amiry.

"Die junge Generation in Palästina kennt nichts anderes als die Besetzung. Daher ist es besonders wichtig, sie davon zu überzeugen, dass es dennoch Werte in einer Gesellschaft gibt, und dass Gewalt in eine Sackgasse führt."

Kompromisse zwischen Palästina und Israel

Kompromisse schließen, das ist laut der engagierten Friedensaktivistin das Zauberwort in der Politik, aber auch im Leben jedes Palästinensers.

Nicht zu vergessen die lange Geschichte der Vertreibung des Volkes: Amirys Familie wurde selbst vor 50 Jahren aus Jaffa vertrieben.

"Wir können die Geschichte nicht zurückdrehen. Es ist nun einmal so, dass das Flüchtlingsproblem allgegenwärtig ist. Meine Heimatstadt ist und bleibt Jaffa, und es darf nicht vergessen werden, dass über 800.000 Palästinenser aus dem heutigen Israel vertrieben wurden. Trotzdem glaube ich an Kompromisse, die wir trotz unserer traurigen Geschichte machen können."

Falsche Liebe kann tödlich sein

Es war ein Kompromiss, der mit den Osloer Friedensgesprächen 1993 für Suad Amiry in nächste Nähe rückte. "Das erste Mal hatte ich das Gefühl, dass auch Israel den Frieden wollte", sagt Amiry heute.

"Doch dann wurde Rabin erschossen, was sicher kein Zufall war. Alleine werden wir es heute nicht mehr schaffen, wir brauchen dafür Europas Hilfe. Eine Liebe nur für Israel muss aufhören, denn diese Liebe ist zerstörerisch für uns Palästinenser."

Für Suad Amiry, so scheint es, ist der Humor auf dem langen Weg zum Frieden wie eine Therapie. Mit wunderbar bissigen Bemerkungen schafft sie es, ein großes Publikum zu gewinnen: "Ich kann Sharon vielleicht verzeihen, 34 Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten gewesen zu sein. Niemals aber werde ich ihm vergeben, dass ich diese Tage mit meiner Schwiegermutter verbringen musste."

Petra Tabeling

© Qantara.de 2004

Suad Amiry: "Sharon und meine Schwiegermutter - Tagebuch vom Krieg aus Ramallah, Palästina", Deutsch von Annette Kopetzki. Fischer Taschenbuch Verlag

Deutsche Webseite von amnesty international
Centre for Architectural Conservation (englisch)