Wer prägt die Islamische Theologie in Deutschland?

Ein unveröffentlichtes Gutachten des Koordinationsrates der Muslime (KRM) kritisiert den Münsteraner Theologen Mouhanad Khorchide scharf. Es wirft ihm vor, seine "Verpflichtung der Bekenntnisgebundenheit" gebrochen zu haben. Jan Kuhlmann informiert.

Von Jan Kuhlmann

In der vergangenen Woche erhielt Mouhanad Khorchide eine Anerkennung, die höher kaum sein konnte. Bundespräsident Joachim Gauck stattete dem Münsteraner Professor und seinem Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) einen Besuch ab – für Khorchide eine willkommene Unterstützung in einem Streit, der seit Monaten schwelt und nun in die nächste Runde geht.

Khorchide leitet mit dem ZIT einen von fünf Standorten in Deutschland, an denen mit Geldern des Bundesbildungsministeriums islamische Theologen ausgebildet werden. Doch er polarisiert wie sonst kein anderer Vertreter seines Fachs in der Bundesrepublik. Im Internet hetzen salafistische Prediger gegen seine vergleichsweise moderate Lesart des Islam. Aber auch die großen Islam-Verbände kritisieren den 42-Jährigen immer wieder scharf. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, warf Khorchide vor Kurzem in einem Interview vor, nicht wie ein Theologe zu handeln, sondern wie "ein Orientalist". Mazyeks Schlussfolgerung: "Das ist die Krux aller Probleme."

Auf den ersten Blick macht es den Eindruck, als handele es sich hier allein um einen Konflikt zwischen einem "liberalen" Vertreter des Islam und "konservativen" Verbänden. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn in dem komplexen Streit geht es nicht nur um Theologie, sondern auch um Politik. Im Mittelpunkt steht vor allem die Frage: Wer prägt die Islamische Theologie in Deutschland mit?

Khorchide ist ein produktiver Gelehrter, der innerhalb von einem Jahr zwei populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht hat, die scharfe Kritik ausgelöst haben. In beiden Bänden widerspricht Khorchide in Anknüpfung an muslimische Reformdenker zentralen Auffassungen der islamischen Orthodoxie.

"Theologie der Barmherzigkeit" in der Kritik

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime; Foto: Yunay.de
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, warf Khorchide vor Kurzem in einem Interview vor, nicht wie ein Theologe zu handeln, sondern wie „ein Orientalist“. Mazyeks Schlussfolgerung: „Das ist die Krux aller Probleme.“

Doch Kritiker bemängeln etliche Punkte in seinen Büchern. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), der Zusammenschluss der großen Verbände, hat ein Gutachten zu Khorchide in Auftrag gegeben, das bislang unveröffentlicht ist, aber dem Deutschlandfunk und Qantara.de vorliegt. In dem fast 100 Seiten dicken Papier übt der KRM scharfe Kritik an Khorchide und wirft ihm vor, seine "Verpflichtung zur Bekenntnisgebundenheit" verletzt zu haben. KRM-Sprecher Bekir Alboga kommt im Vorwort des Gutachtens zu dem Fazit: "Damit scheint eine weitere vertrauensvolle Kooperation mit ihm äußerst fragwürdig."

Das Gutachten stammt von vier Autoren, die von den Verbänden benannt worden waren. Interessant dabei: Nicht alle Autoren sind Theologen. So ist Mohammed Khallouk, Berater des Zentralrats der Muslime, Politologe, Arabist und Islamwissenschaftler. Er habilitiert sich derzeit an der Universität der Bundeswehr in München im Fach "Internationale Beziehungen". In vier Kapiteln untersuchen die Autoren in dem Gutachten Khorchides "Theologie der Barmherzigkeit" – wie seine Lehre in Anlehnung an sein Buch "Islam ist Barmherzigkeit" auch immer wieder genannt wird.

Das Gutachten will Khorchides wissenschaftliche Qualifikation als Theologe in Frage stellen. Khallouk wirft Khorchide vor, seine Theologie "beruhe überhaupt nicht auf einer eindeutig identifizierbaren wissenschaftlichen Methode". Seine Schlussfolgerungen erschienen "spekulativ" und "wissenschaftsmethodisch schwer nachvollziehbar". Khorchide wende "jenes methodische Prinzip an, welches er zuvor als Kennzeichen der zurückgewiesenen 'Theologie des Gehorsams' unterstellt, nämlich das unreflektierte und zugleich willkürliche Ausrichten am Buchstaben."

In einem anderen Kapitel des Gutachtens heißt es, "wesentliche, als theologisch deklarierte Positionen von ihm sind (...) mit der sunnitischen Lehre nicht vereinbar. Bemerkenswert ist daher, dass er der Leiter und Lehrstuhlinhaber eines konfessionsgebundenen islamischen Zentrums sein kann." Vorgeworfen wird Khorchide auch, den Koran allzu frei ins Deutsche übersetzt zu haben: "Er interpretiert seine eigenen theologischen Ansichten in die Übersetzungen hinein. Mit Versbezügen wird für den des Arabischen unkundigen Rezipienten der Schein erweckt, dass seine Thesen einen soliden Halt im Koran hätten."

DITIB-Bundesvorstandes, Bekir Alboga; Foto: picture-alliance/dpa
KRM-Sprecher Bekir Alboga kommt im Vorwort des Gutachtens zu dem Fazit: „Damit scheint eine weitere vertrauensvolle Kooperation mit ihm äußerst fragwürdig.“

Der Vorwurf, nicht bekenntnisgebunden zu arbeiten, ist für Khorchide heikel. Damit spricht ihm der KRM die Qualifikation und Befugnis ab, islamische Theologen und Islam-Lehrer auszubilden. Die Kritik ist auch deshalb brisant, weil sie die Erinnerung an das Schicksal von Khorchides Vorgänger Sven Kalisch wachruft: Sven Kalisch musste 2010 nicht zuletzt auf Druck islamischer Verbände seinen Platz räumen, weil er die Existenz des Propheten Muhammad bezweifelt hatte.

Am vergangenen Sonntag hatte der KRM zu einer Diskussion über das Gutachten nach Köln geladen. Rund vier Stunden diskutierten Vertreter der Islam-Verbände mit Khorchide und anderen Professoren für Islamische Theologie in Deutschland über die Lehre des ZIT-Leiters. Die Debatte wurde zwar hinter verschlossenen Türen geführt – doch von verschiedenen Seiten war danach zu hören, sie sei zwar hart, aber offen und moderat geführt worden. Khorchide soll darauf hingewiesen haben, in vielen Punkten missverstanden worden zu sein. Überzeugen konnte er seinen Kritiker aber offensichtlich nicht: Khorchide habe nicht alle Kritikpunkte entkräften können, heißt es.

Kampf um Deutungshoheit unter Muslimen

Der Konflikt ist jedoch ohne seine politische Dimension nicht zu verstehen. In Münster schwelt seit langem schon ein Streit über den wissenschaftlichen Beirat des ZIT. Über das Gremium sollen unter anderem die Islam-Verbände an der Islamischen Theologie der Universität beteiligt werden. Doch obwohl rechtlich vorgeschrieben, hat sich der Beirat bis heute nicht konstituiert.

Der Grund: Der Islamrat als einer der großen Verbände hatte ein Mitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs für das Gremium nominiert. Doch weil Milli Görüs vom Verfassungsschutz beobachtet wird, legte das Bundesinnenministerium sein Veto gegen den Kandidaten ein – und zwar über das Bundesbildungsministerium, den Hauptgeldgeber in Münster. Die Verbände sehen darin ein unrechtmäßiges Eingreifen des Staates in Fragen, die ihn nichts angehen. Für sie geht es darum, vom Staat als Religionsgemeinschaften anerkannt zu werden und dieselben Rechte zu erlangen wie etwa die christlichen Kirchen. Der Streit zwischen Verbänden und Staat wird dabei auf dem Rücken der Islamischen Theologie ausgetragen.

Immerhin zeichnet sich im Streit über den Beirat eine Lösung ab. Die vier großen Islam-Verbände haben sich auf eine neue Kandidatin für das Gremium geeinigt, die Berliner Islam-Lehrerin Rukiye Kurtbecer. Sie arbeitet im Auftrag der Islamischen Föderation Berlin, die recht eng mit Milli Görüs verbunden ist. Das Bundesinnenministerium hat für die neue Kandidatin bereits grünes Licht gegeben.

Doch für Khorchide dürfte der Konflikt damit noch nicht ausgestanden sein. Zwar will der KRM das Gutachten nach dem Treffen am Sonntag noch einmal überarbeiten, bevor er es demnächst veröffentlicht. Vieles spricht aber dafür, dass die Islam-Verbände an den zentralen Kritikpunkten festhalten – vor allem an dem Vorwurf, nicht bekenntnisgebunden zu arbeiten. Das hätte für Münster schwerwiegende Folgerungen. Studenten müssten sich die Frage stellen, welchen Wert ein Abschluss dort hat, wenn die großen Verbände ihn nicht anerkennen. Und über Khorchide würde weiterhin das Damoklesschwert schweben, seine Position als Leiter des ZIT zu verlieren.

Jan Kuhlmann

© Qantara.de 2013

Redaktion: Loay Mudhoon/Qantara.de