Wem gehört der Nil?

Nach jahrelangem Streit ums Nilwasser setzen Äthiopien, Ägypten und Sudan jetzt offenbar auf Kooperation. Politiker demonstrieren Einigkeit, doch Beobachter warnen: Noch seien nicht alle Konflikte ausgeräumt. Von Ludger Schadomsky

Von Ludger Schadomsky

Kerzen, Generatoren und Geduld: Viele Äthiopier sind gut gerüstet, denn in der Hauptstadt Addis Abeba fällt regelmäßig der Strom aus. Vor kurzem bekam das bei einem offiziellen Besuch auch Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi mit. Stundenlang gab es keine Energie - so als wolle die Metropole ihm zeigen, wie sehr man den Strom aus dem "Großen Äthiopischen Renaissance-Damm" (kurz: GERD) benötigt.

Das Mega-Projekt am Oberlauf des Blauen Nils in Äthiopien sorgt seit Jahren für Spannungen zwischen den Nachbarstaaten, denn auch Ägypten ist von dem Fluss abhängig. Al-Sisis Vorgänger Mohammed Mursi hatte Äthiopien aus Angst vor Wasserknappheit 2013 sogar indirekt mit Krieg gedroht.

Der Nil und seine Länder. Foto: DW
Wem gehört der Nil? Die Karte zeigt schon lange, das Kompromissbereitschaft zwischen den Regierungschefs Ägyptens, Äthiopiens und Sudans in den Verhandlungen um den Staudamm-Bau unumgänglich war. Ob diese Bereitschaft genügt, die Konflikte um Wasseranteile langfristig zu lösen, bleibt abzusehen.

Wasser für Wohlstand

Die Regierung in Addis Abeba lässt bereits seit einigen Jahren mit Hochdruck am größten Hydroenergieprojekt Afrikas bauen, in der Benishangul-Gumuz Region nahe der Grenze zum Sudan. Mit etwa 90 Millionen Einwohnern steht Äthiopien nach Nigeria auf Platz zwei der bevölkerungsreichsten Staaten des Kontinents. Ihren Energiebedarf will die aufstrebende Wirtschaftsmacht mit einer Reihe von Staudämmen am Blauen Nil stillen. Herzstück ist der über drei Milliarden Euro teure GERD, der nach Fertigstellung 6000 Megawatt Strom erzeugen soll - so viel wie fünf Atomkraftwerke. Äthiopien will sich damit nicht nur unabhängiger von Rohölimporten machen und gleichzeitig den aufstrebenden Industriesektor anfeuern. Wegen der chronischen Devisenknappheit plant die Regierung in Addis Abeba außerdem, bis zu 2000 Megawatt an die afrikanischen Nachbarn zu verkaufen - auch an Ägypten. Die ersten Lieferverträge sind bereits unterschrieben, aber viele Konflikte bleiben ungelöst.

Gut 160 Millionen Menschen leben im Einzugsgebiet des Nils. Der Wüstenstaat Ägypten fürchtet, dass seine Bauern nach Inbetriebnahme des GERD buchstäblich auf dem Trockenen sitzen - dann nämlich, wenn nach Flutung des 1680 Quadratkilometer großen Stausees Wasser in der Hitze verdunstet. Diese Erfahrung macht das Land bereits mit dem 1971 eröffneten Assuan-Staudamm. Ägypten und auch der Sudan berufen sich auf koloniale Verträge von 1929 und 1959, die beiden Ländern knapp 90 Prozent an den Wassermassen des Blauen und Weißen Nils sowie ein Vetorecht für Bauvorhaben sichern sollen.

Der Nil gehört allen

Nach jahrelangem Streit haben sich die Nil-Anrainerstaaten am 23. März grundsätzlich geeinigt. In der sudanesischen Hauptstadt Khartum unterzeichneten al-Sisi und der äthiopische Ministerpräsident Hailemariam Desalegn unter Vermittlung des sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir ein Abkommen über den Bau eines Staudamms. "Wir haben ein wegweisendes Abkommen unterzeichnet, das die Basis aller unserer zukünftigen Verhandlungen sein wird, und wir für unseren Teil werden unser Wort halten", sagte Desalegn. "Wir hoffen, dass nun weitere Schritte folgen, die uns unser gemeinsames Ziel erreichen lassen", so Ägyptens Präsident al-Sisi.

Stromleitungen in der Wüste am Assuan-Staudamm. Foto: picture-alliance/Hackenberg-Ph
So oder so ähnlich: Der Assuan-Staudamm erzeugt rund 10% des ägyptischen Strombedarfs. Der GERD, Afrikas größtes Hydroenergieprojekt, soll nach seiner Fertigstellung 6000 Megawatt Strom erzeugen. Hinzukommen bis zu 2000 Megawatt, die Äthiopien an seine afrikanischen Nachbarn verkaufen möchte, wie zum Beispiel an Ägypten.

Das sind seltene Töne aus der Kairoer Politik, zumal Ägypten seit dem Sturz von Langzeitherrscher Hosni Mubarak Anfang 2011 politisch nicht zur Ruhe kommt. Sowohl der islamistische Ex-Präsident Mursi als auch das neue Staatsoberhaupt al-Sisi nutzten den Konflikt mit Äthiopien für außenpolitische Ablenkungsmanöver. Verhandlungen wurden ausgesetzt, erst im Herbst 2014 besuchte erstmals eine ägyptische Delegation die Dammbaustelle.

Mit dem Abkommen vom 23. März hätten die drei Nil-Anrainerstaaten einen wichtigen Schritt hin zur Aufteilung des Wassers aus dem Fluss getan, sagt Abel Abate Demissie vom Institut für Frieden und Entwicklung in Addis Abeba. "Die großen Problemfelder, die Misstrauen zwischen Ägypten und Äthiopien geschafft haben, sind ausgeräumt", so der Analyst. "Das Abkommen wird sicherlich die Beziehungen zwischen den drei Ländern verbessern, und zwar nicht nur in den Bereichen Wirtschaft und Wasser, sondern auch im Bereich Frieden und Sicherheit, regionaler Integration und darüber hinaus."

Taktischer Schmusekurs

Und tatsächlich geht die jüngste Sonnenscheinpolitik Kairos über den Bau des GERD und einer Reihe kleinerer Dämme durch die Äthiopier hinaus: Nach der Eiszeit unter Ex-Präsident Mubarak, der 1995 einen Attentatsversuch in Addis Abeba überlebte, ist al-Sisi mit Blick auf die fragile Sicherheitslage in der Nachbarschaft an einem besseren Verhältnis zu der regionalen Ordnungsmacht Äthiopien interessiert, zumal dort auch die Afrikanische Union ihren Sitz hat.

Die Staudamm-Baustelle im März 2015: Noch sind nicht alle Fragen geklärt. Foto: Reuters/ T. Negeri
2017 soll der Mega-Staudamm fertiggestellt werden. Bis dahin wird hoffentlich nicht nur diese betonnierte Baustelle ein festes Fundament sein, sondern auch das nun beschlossene Abkommen der drei Staaten.

Die Regierung des Vermittlers Sudan, die selbst auf die Ressource Wasserkraft setzt und eine Reihe von eigenen Kraftwerken plant, hat eine optimistischere Sicht auf die Dinge: "Dieser Staudamm ist für Äthiopien ein Segen und für den Rest von uns ein großer Gewinn", verkündete der sudanesische Wasser- und Energieminister. Vielleicht sehen die Ägypter das bald auch so. 2017 soll der Mega-Staudamm eingeweiht werden.

Ludger Schadomsky

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