Brückenbauer der Verständigung

Mit der wachsenden Zahl an Menschen mit Migrationshintergrund steigt auch der Bedarf an ausgebildeten Fachkräften, die Zuwanderern die Integration erleichtern sollen. Wie wird man zum Sprach- und Integrationsmittler? Worin unterscheidet sich diese Tätigkeit vom Beruf des gewöhnlichen Dolmetschers? Einblicke von Julie Schwannecke.

Von Julie Schwannecke

Ein Sprach- und Integrationsmittler aus Bonn, der seinen Namen nicht nennen möchte, begleitete einmal eine Frau aus dem Irak zum Arzt. Sie war im sechsten Monat schwanger und wollte abtreiben. Die Frau sprach kein Deutsch, deshalb sollte der Sprachmittler zwischen ihr und dem Arzt dolmetschen. Der Arzt wollte wissen, warum die Frau abtreiben wollte. Der Mittler wusste wegen seiner eigenen marokkanischen Herkunft und seiner Erfahrung sofort, dass er diese Frage behutsam stellen musste. Schließlich sei die Frau aus dem Irak nicht daran gewöhnt, von einem europäischen und dazu männlichen Arzt behandelt zu werden, erklärt er. Jeder Frau sei diese Situation unangenehm. Aber durch wegen der fremden Sprache und Kultur hätten Frauen aus dem arabischen Raum noch mehr Hemmungen, mit dem Arzt über intime Angelegenheiten zu sprechen.

„In Situationen wie diesen fühlt man sich als Arzt oder Krankenpfleger oft überfordert, weil man manchmal die Verhaltensweisen von ausländischen Patienten nicht versteht oder falsch deutet und meist auch eine Sprachbarriere vorliegt“, meint Omid Sekandary, ein junger Arzt aus Bonn. Deshalb falle es ihm und seinen Kollegen oft nicht leicht, die Patienten angemessen zu beraten und zu therapieren. Wegen der gegenseitigen Unkenntnis von Sprache, Mentalität, Kultur oder Religion komme es leicht zu Missverständnissen, die in ungünstigen Fällen zu Fehldiagnosen oder gar zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten führen könnten.

Sprachmittler statt Laiendolmetscher

Wenn die Fachkräfte nicht weiterkommen, rufen sie oft einen Familienangehörigen, einen anderen Arzt oder eine Pflege- oder Putzkraft, die dann für die Patienten dolmetscht. Der Einsatz so genannter Laiendolmetscher bringe allerdings oft mehr Nachteile als Vorteile, meint Sinan Cem Öztürk, ein Sprach- und Integrationsmittler aus Bonn. Wegen des kulturbedingten Schamgefühls, der emotionalen Belastung von Angehörigen oder mangelndem medizinischem Fachwissen würden Informationen falsch und unvollständig übersetzt. Anstatt die Kommunikation zu erleichtern, würden sie diese in vielen Fällen nur zusätzlich hemmen.

Sprachmittler in sensibler Situation. Foto: bikup
Mediziner, die sich fachkundige Unterstützung wünschen, gibt es reichlich. Vielen ist die Arbeit der Sprach- und Integrationsmittler aber weitgehend unbekannt, so dass bisher nur wenige Krankenhäuser oder soziale Einrichtungen diesen Dienst in Anspruch nehmen.

Für eine erfolgreiche Behandlung oder Beratung sei jedoch eine gute Kommunikation zwischen den Migranten und Fachkräften grundlegend. Es bedürfe daher einer professionellen Fachkraft, die emotional unbeteiligt ist und das entsprechende Wissen mitbringt, um die Information vollständig, kultursensibel, fachspezifisch und transparent zu vermitteln: den sogenannten Sprach- und Integrationsmittler. Dieser könne dabei helfen, Verständigungsbarrieren zu überwinden und sowohl die Migranten als auch die Fachkraft entlasten.

Entstehung eines neuen Berufs

Wie wird man Sprach- und Integrationsmittler? Sinan hat in der Türkei ein Soziologiestudium absolviert, das auch in Deutschland anerkannt wurde. Jahrelang hat er Freunde und Bekannte zu ihren Terminen bei Sozialämtern und Behörden begleitet. Daher wusste er, dass er in diesem Bereich tätig werden wollte. Schließlich erfuhr er von einer Fortbildung zum Sprach- und Integrationsmittler, die von der Internationalen Gesellschaft für Bildung, Kultur und Partizipation in Köln GmbH (bikup) angeboten wird.

Ein Jahr lang wurde er dort mit anderen Teilnehmern in den Bereichen Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen und der soziokulturellen Kommunikation und Konfliktlösung geschult. Die Fortbildung besteht aus neun Monaten Theorie und drei Monaten Praxis. Danach haben die Teilnehmer die Möglichkeit, entweder freiberuflich oder in fester Anstellung zu arbeiten. Die meisten Arbeitseinsätze hat Sinan derzeit im psychiatrischen Bereich.

Die offizielle Berufsbezeichnung des Sprach- und Integrationsmittlers wurde 2002 infolge eines durch die EU geförderten Projekts zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen ins Leben gerufen. „Die Idee bestand darin, Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Deutschland so fortzubilden, dass sie eine reale Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt bekommen“, erklärt die Initiatorin dieses Projekts, Varinia Morales, die Leiterin von bikup.

Man suchte damals nach einer Qualifizierung, die speziell auf die Zielgruppe der Flüchtlinge ausgerichtet war und nicht in Konkurrenz zu einer Qualifizierung für Deutsche stand. Außerdem fragten sich die Projektinitiatoren: Welche besonderen Kompetenzen bringt ein Flüchtling oder Migrant mit, die ein deutscher Einheimischer nicht haben kann? Die Antwort war: seine eigene Mentalität, seine Sprache und Kultur. Diese Eigenschaften sollten in den Beruf des Sprach- und Integrationsmittlers einfließen.

Gegenseitiges Verständnis wecken

Was müssen Sprach- und Integrationsmittler sonst noch können und wissen? Zum einen gelten die allgemeinen Berufspflichten wie Verschwiegenheit, Neutralität, professionelles Auftreten, Verlässlichkeit und Gewissenhaftigkeit, erläutert Sinan. Gerade im Umgang mit verschiedenen Sprachen und Kulturen seien soziale, kommunikative und interkulturelle Kompetenzen, die Bereitschaft sich zu öffnen sowie die Fähigkeit, transparente Gespräche zu führen, besonders wichtig.

Sprach- und Integrationsmittler. Foto: bikup
Über den Sprachmittlerpool NRW können Einrichtungen aus dem Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen Kontakt mit einem Sprach- und Integrationsmittler aufnehmen. Dort stehen derzeit mehr als 190 kultursensible Dolmetscher aus Nordrhein-Westfalen zur Verfügung, die über 80 verschiedene Sprachen und Dialekten sprechen.

Dabei solle einem aber bewusst sein, dass es nicht nur ums Dolmetschen geht, sondern vor allem darum, kultursensibel zu vermitteln. Wie das geht? Zunächst ist es Sinan wichtig, durch gegenseitiges Kennenlernen das Vertrauen zwischen dem Migranten und der Fachkraft herzustellen. Sobald es eine Vertrauensbasis gebe, falle es dem Migranten oder Flüchtling leichter, über seine Probleme zu sprechen. Und natürlich sei es einfacher, sich zu öffnen, wenn jemand dabei ist, der dieselbe Sprache spricht und aus demselben Kulturkreis stammt. „Letztendlich versuchen wir nur eine Brücke zwischen den Migranten und Fachkräften zu bauen und beide Seiten für die jeweilige Kultur des anderen zu sensibilisieren, nicht mehr und nicht weniger.“ 

Leichtere Integration

Sinan ist der Meinung, dass der Beruf des Sprach- und Integrationsmittlers in Zukunft noch stärker gefragt sein wird. Schließlich sei es endlich an der Zeit, dass Deutschland, das sich seit Anfang 2000 offiziell als Einwanderungsgesellschaft bezeichnet, diese auch aktiv gestalte. Angesichts der aktuellen Ereignisse in der internationalen Politik seien gerade in jüngster Zeit viele Menschen als Flüchtlinge oder Asylsuchende nach Deutschland gekommen, die auch vorhätten, langfristig zu bleiben. Deshalb sei es besonders wichtig, diesen Menschen einen leichteren Zugang zur medizinischen und sozialen Versorgung sowie zu den gesellschaftlichen Strukturen allgemein zu ermöglichen, um ihre Integration zu erleichtern.

Wenn diese Menschen erst einmal erkennen würden, dass sie hier Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten haben, seien sie auch eher bereit und motiviert, sich zu integrieren. Allerdings müsse auch ihnen bewusst sein, dass sie sich selbst bemühen sollten, sich in die Gesellschaft einzubringen. Nur wenn beide Seiten mitarbeiten und Interesse zeigen, könne Integration gelingen, meint Sinan.

Julie Schwannecke

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