Jenseits des Hasses

Der Spielfilm "Zaytoun" des israelischen Regisseurs Eran Riklis handelt von der schwierigen Freundschaft zwischen einem palästinensischen Flüchtlingsjungen und einem israelischen Kampfpiloten und vom langsamen Wachsen gegenseitigen Vertrauens auf ideologisch vermintem Gelände. Volker Kaminski hat den Film gesehen.

Von Volker Kaminski

Beirut 1982. Am Vorabend des Libanonkriegs scheint die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit Händen zu greifen. Bewaffnete Soldaten und Kolonnen von Militärfahrzeugen prägen das Stadtbild. Die PLO und die israelische Luftwaffe liefern sich erste Gefechte. Kampfjets sausen in bedrohlicher Lautstärke im Tiefflug über die Köpfe hinweg.

In dieser Situation muss der zwölfjährige Palästinenser Fahed erfahren, wie schnell sein Leben im Krieg von einer Sekunde auf die nächste alle Sicherheiten einbüßt.

Er lebt in notdürftigen Verhältnissen in Shatila, einem palästinensischen Flüchtlingslager im Süden der Stadt. Bei einem israelischen Luftangriff verliert er seinen Vater, zuvor war bereits seine Mutter getötet worden.

Doch Fahed – so zeigen es die ersten Bilder des Films – ist ein Junge mit starkem Durchsetzungswillen und einer gehörigen Portion Mut. Beim Straßenfußball ist er "Zico", der brasilianische Superstar. Er verkauft lieber Zigaretten und Kaugummis an die Soldaten als in die Schule zu gehen, obwohl es ihm streng verboten ist, sich außerhalb des Lagers zu bewegen.

Filmsequenz aus 'Zaytoun' von Eran Riklis, Foto: © Pathé
Ein weiterer Meilenstein des um Völkerverständigung bemühten israelischen Regisseurs Eran Riklis: der Film "Zaytoun" mit mit Stephen Dorff und Abdallah El Akal als Hauptdarsteller.

​​Nachdem sein Vater tot ist, scheint seine Heimat Palästina endgültig in weite Ferne gerückt zu sein. Doch eine Gelegenheit in das Land seiner Eltern und Großeltern aufzubrechen, ergibt sich für ihn schneller als er glaubt. Dass ihm dabei ausgerechnet ein israelischer Kampfpilot beisteht, ist einer der unverhofften Wendungen in Eran Riklis' neuem Film.

Reise ins verlorene Palästina

Yoni, der israelische Pilot, ist bei einem Luftangriff über der Stadt abgeschossen worden. Als er in ein Gefängnis der PLO gebracht wird, ist auch Fahed zur Stelle. Zunächst betrachtet er den verhassten "Feind" durch die Gitterstäbe seiner Zelle, verweigert dem Verletzten Trinkwasser und bläst ihm verächtlich seinen Zigarettenrauch ins Gesicht. Obwohl er den israelischen Major zu diesem Zeitpunkt am liebsten töten würde, wird er sich mit ihm wenig später doch einig.

Er befreit ihn schließlich aus dem Gefängnis und gemeinsam brechen sie zu einer waghalsigen Odyssee quer durch ein kriegsversehrtes Land nach Israel auf. Für Yoni ist dies eine kaum für möglich gehaltene Rückkehr – für Fahed eine Reise ins verlorene Palästina.

Der israelische Regisseur Eran Riklis schafft das Kunststück, in einem ausweglos scheinenden Konflikt von menschlicher Wärme zu erzählen, ohne dabei in Sentimentalität abzugleiten.Ihm geht es darum, sich von Vorurteilen zu verabschieden und die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Kein geringes Wagnis, sich dafür ausgerechnet den Schauplatz Nahost und die tief verwurzelte israelisch-palästinensische Feindschaft auszusuchen. Und doch ist die Forderung durchaus berechtigt, auch inmitten von Chaos und Unglück Lichtblicke und Geschichten voller Hoffnung zu entdecken.

Keine Täter, keine Opfer

Zum Gelingen des Films trägt nicht unwesentlich das überzeugende Drehbuch bei, das die Protagonisten sensibel und genau erfasst. In einem über zwanzig Jahre währenden Zeitraum verfasste es Nader Rizq, dessen Eltern Palästina einst verlassen mussten. Rizq, der zum Drehbuchschreiben durch eigene Passion fand, ging es darum "auf möglichst spannende Weise zu veranschaulichen, was es heißt, Palästinenser zu sein".

​​Doch statt eine politische Intention zu verfolgen und die Welt in Gut und Böse einzuteilen, geht es den Machern des Films eher um eine universelle Botschaft, die der Regisseur in einem Interview auf die einfache Formel bringt: Der Film "Zaytoun" sei ein "Roadmovie über zwei Typen, die Kameraden werden".

Das Zweckbündnis, das sich nach und nach zu einer echten Freundschaft entwickelt, kennt von Anfang an keine Täter-Opfer-Zuordnung . Fahed, der von dem hochbegabten Abdallah El Akal hinreißend verkörpert wird, bleibt lange Zeit misstrauisch und abwartend gegenüber dem "Feind", er weigert sich ihm die Handschellen abzunehmen, die er als Kriegsgefangener immer noch trägt.

Doch dass ihn nicht nur egoistische Gründe zu seinem Unternehmen antreiben, zeigt der Umstand, dass er auf seiner beschwerlichen Flucht die ganze Zeit einen Topf mit einem kümmerlichen Olivenbaum im Rucksack trägt: "Zaytoun", der letzte Olivenbaum seines Großvaters aus dem Garten in Palästina. Von diesem Bäumchen trennt sich Fahed unter keinen Umständen – bis zuletzt glaubt er daran, dass er das Dorf seiner Eltern im Niemandsland finden wird, ein Dorf, das auf keiner israelischen Karte verzeichnet ist.

Überzeugende Symbolik

Symbole stehen im Mittelpunkt des Films von Eran Riklis, ohne dabei jedoch  aufdringlich zu wirken: So dient etwa das Friedenssymbol Olive als Leitmotiv, genauso wie der riesige Schlüssel für das gesuchte Haus seiner Eltern in Palästina.

Filmsequenz aus 'Zaytoun' von Eran Riklis, Foto: © Pathé
Keine unüberbrückbaren Gräben: Statt in seinem Film eine politische Intention zu verfolgen, geht es Riklis eher um eine universelle Botschaft, die der auf die einfache Formel bringt: "Ein Roadmovie über zwei Typen, die Kameraden werden".

Auch die Verlassenheit des vom Krieg zerstörten Landes bekommt einen fast schon mythischen Anstrich, als Fahed und Yoni unterwegs auf zerschossene Panzer und die halbzerstörten Jahrmarktbuden stoßen. Doch noch ehe zuviel Nachdenklichkeit aufkommen mag, tragen die beiden in leiser Konkurrenz stehenden Reisenden einen Wettkampf an der Schießbude aus.

Doch was die beiden schließlich endgültig zusammenschweißt, ist der Verlust ihrer Väter im Krieg und ihre Sehnsucht nach ihnen.

Auch der Amerikaner Stephen Dorff, der Yoni verkörpert, verleiht dieser Rolle das nötige menschliche Temperament, ohne dabei die Kaltschnäuzigkeit und Abgebrühtheit eines Kampfpiloten zu unterschlagen. Auf ihrem gefahrvollen Weg, teils zu Fuß, teils mit einem gestohlenen Jeep – oder auch einmal gemeinsam auf dem Rücken eines Esels – wachsen einem die beiden Hauptdarsteller schließlich ans Herz.

Eingefangen wurden dabei großartige Bilder einer kargen Landschaft (gedreht an Originalschauplätzen in Israel), die den passenden Hintergrund für diese menschlich anrührende Geschichte bildet.

Volker Kaminski

Spielfilm ''Zaytoun'', Regie: Eran Riklis, Drehbuch: Nader Rizq, Hauptdarsteller: Stephen Dorff, Abdallah El Akal, 107 min.

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de