Der schwindende Mythos der Facebook-Revolution

Sechs Jahre nach den sogenannten Facebook-Revolutionen des Arabischen Frühlings ist der Optimismus, der mit den sozialen Medien einherging, größtenteils verflogen. Den autoritären Regimen in der Region ist es längst gelungen, diese zu kontrollieren und für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Von Niklas Kossow und Ilyas Saliba

Von Niklas Kossow und Ilyas Saliba

Die Hoffnung, die vor sechs Jahren mit den Aufständen in der arabischen Welt mitschwang, war groß. Nach den drei bedeutenden "Wellen" der Demokratisierung sollte die Demokratie nun auch endlich im Nahen Osten Einzug halten. Soziale Medien wie Facebook, Twitter und andere Plattformen wurden zu neuen Informationsquellen und Kommunikationskanälen. Zudem eröffneten sie den arabischen Zivilgesellschaften neue Möglichkeiten, sich zu organisieren und zu vernetzten.

Der Vorteil dieser neuen Medien lag darin, dass sie sich - anders als die traditionellen, hochgradig kontrollierten Medienräume – in den autoritären Staaten nicht so einfach zensieren ließen. Die Nutzung von Twitter während der "Grünen Revolution" 2009 im Iran und den Umstürzen in der Republik Moldau im gleichen Jahr wurden ex-post als positive Vorboten für die sogenannten Facebook-Revolutionen in Tunesien und Ägypten interpretiert.

Zunächst schien sich dieser Optimismus zu bewahrheiten. In Tunesien, dem Ursprungsland der arabischen Aufstände, trugen soziale Medien dazu bei, dass die Bürger sich gegenseitig über die Proteste informieren konnten. Auch die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo wurden maßgeblich über Facebook geplant.

Drehscheiben des Widerstands

Bereits im Sommer 2010 organisierten sich in Alexandria Protestler über die Facebook-Gruppe "We are all Khaled Said" und protestierten gegen Polizeigewalt. Als sich im Januar 2011 die Proteste von Tunesien nach Ägypten ausbreiteten, nutzte die Protestbewegung des 6. April wieder Gruppen im Web 2.0, um zu Protesten aufzurufen und diese zu planen.

Auch in der Ukraine wurden soziale Medien zu einem wichtigen Instrument der Protestbewegung, die zur sogenannten "Revolution der Würde" führte. Die Demonstrationen auf dem Maidan-Platz in Kiew begannen nach einem Aufruf des Journalisten Mustaffa Nayyem auf Facebook. Soziale Medien halfen Aktivisten, von Kairo bis Kiew, sich zu koordinieren und trugen ihre Botschaft vom Maidan- und dem Tahrir-Platz hinaus in die Welt.

Ägyptische Aktivistin am 30. März 2011 in Kairo; Foto: picture-alliance/AP
Für die Revolutionen des vergangenen Jahrzehnts spielten soziale Medien eine zentrale Rolle. Facebook und Twitter waren sowohl auf dem Tahrir-Platz in Kairo, als auch auf dem Maidan in Kiew ein wichtiges Instrument zur Mobilisierung von Aufständischen. Inzwischen werden jedoch Aktivisten für die politische Nutzung sozialer Medien zunehmend verfolgt. Soziale Medien sollten daher als nicht mehr und nicht weniger betrachtet werden als dass, was sie sind: Instrumente, die Regierungen genauso für ihre Zwecke nutzen können wie Aktivisten.

Doch sechs Jahre nach den Umstürzen auf dem Tahrir Platz ist dieser Optimismus längst verflogen. In der arabischen Welt haben die sogenannten "Facebook-Revolutionen" letztendlich geringe Erfolge vorzuweisen. In einigen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens machten sich nach den Protesten für Brot und Freiheit politische Gewalt und Extremismus breit.

Die meisten autoritären Regierungen der Region waren zudem in der Lage, dem Druck der Proteste Stand zu halten. In Ägypten folgte dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten nach nur einem Jahr ein Coup d'etat. Seitdem sitzt in Kairo wieder das Militär am Ruder und es gibt am Nil seitdem nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen so viele Menschenrechtsverletzungen wie noch nie zuvor.

An die Effektivität sozialer Medien als Instrumente von Revolutionen glauben derweil immer weniger Menschen. Die Nutzung sozialer Medien war nur einer von vielen Faktoren beim Entstehen von revolutionären Bewegungen und Umstürzen des 21. Jahrhunderts. Indes verdichten sich die Anzeichen, dass es wohl zu voreilig und vereinfacht war, Facebook und Twitter für die genannten Umbrüche verantwortlich zu machen.

Die Reaktion schlägt zurück

Denn inzwischen haben längst auch autoritäre Regime die Bedeutung sozialer Medien erkannt. Staatliche Sicherheitsapparate holten im Eiltempo auf und lernten mit sozialen Medien umzugehen und diese für ihre Zwecke zu nutzen.

Symbolbild türkische Nationalfahne und Twitter; Foto: picture-alliance/dpa
Nachrichtenkanalisation nach Erdoğans politischem Geschmack: Seit Februar 2014 ist in der Türkei ein Gesetz in Kraft, mit dem die Regierung ihre Kontrolle über das Internet verschärfte. Vor der Kommunalwahl Ende März 2014 hatte die Regierung den Kurznachrichtendienst Twitter und dann auch YouTube sperren lassen. Über soziale Medien waren zuvor Telefonmitschnitte verbreitet worden, die das Umfeld des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan unter Korruptionsverdacht brachten.

Zunächst war ihr Ziel, das Web 2.0 mehr oder weniger effektiv zu überwachen und in manchen Fällen durch Zensur zu kontrollieren. In der Türkei zum Beispiel werden neben zahlreichen Webseiten auch soziale Medien in Krisenzeiten zum Teil reflexhaft gesperrt, damit Erdoğans Regime die Hoheit über die Informationslage beibehalten kann.

Mit dieser Praxis der Internet- und Kommunikationsblockaden ist Erdogan in bester Gesellschaft. Auch in Ägypten wurde 2011 das Mobilfunknetz durch das Mubarak-Regime abgeschaltet. Solche Internet-Blockaden gehen oftmals einher mit Kampagnen staatlicher Gewalt gegen Protestler oder Dissidenten.

In China hält die Great Firewall Nachrichtenseiten Facebook, Instagram und Twitter aus dem Reich der Mitte fern, was zur Entwicklung von lokalen Alternativen wie Sina Weibo und WeChat geführt hat. Diese arbeiten mit der chinesischen Regierung zusammen und implementieren staatliche Zensur. Das russische Netzwerk VKontakte wurde unter Druck der russischen Behörden an regierungsnahe Investoren verkauft. Es wird davon ausgegangen, dass die russische Regierung das Netzwerk nutzt, um regierungskritische Aktivisten auszuspionieren.

Facebook-Nutzer "under radar"

Aktivisten, die soziale Medien nutzen um ihre politische Meinung zu äußern oder sich zu organisieren oder gar um sich gemeinsam mit ähnlich denkenden Aktivisten zu mobilisieren, bringen sich nicht nur in Russland in Gefahr. Dies ist zunehmend auch in Ägypten der Fall. Allein im Dezember 2016 wurden mehr als 163 Facebook-Seiten vom ägyptischen Innenministerium gesperrt. Viele Menschen wurden als Administratoren von Facebook-Gruppen oder mit Bezug auf spezifische Posts verhaftet. 2014 landete ein ehemaliger Militärdienstleistender im Gefängnis für ein Bild, das er auf sozialen Medien verbreitetete- es zeigte Präsident Al-Sisi mit Micky-Mouse-Ohren.

Andersdenkende und kritische Stimmen in Ägypten, die ihre Meinung auf sozialen Medien kundtun, müssen seit dem neuen Cyber-Kriminalitätsgesetz mit drakonischen Strafen rechnen. Derweil wurde auch eine geheim gehaltene Ausschreibung des ägyptischen Innenministeriums publik, in der es um einen Auftrag für die Einführung einer umfassenden Überwachungssoftware für soziale Medien - inklusive der Ausbildung von Ministeriumsmitarbeitern für deren Bedienung - ging.

Facebooknutzer; Foto: picture-alliance/dpa
Facebook-Revolutionen sind und waren ein Mythos. Denn die sozialen Medien werden nicht mehr nur von einer Seite genutzt. Sie sind kein reiner Katalysator für revolutionäre Bewegungen, sondern können inzwischen ebenso als Werkzeug von Sicherheitsbehörden und Staatspropaganda instrumentalisiert werden.

Weiterhin nutzen einige Staaten soziale Medien auch zunehmend für ihre eigenen Propaganda-Zwecke. Baschar al-Assad findet man auf Instagram ebenso wie den tschetschenischen Diktator Ramsan Kadyrov.

Trollfabriken im Dienste Putins

In Russland gibt es Belege für sogenannte Trollfabriken, in denen Hunderte von bezahlten Internetaktivisten auf sozialen Medien und Blogs, sowie in den Kommentarspalten von Nachrichtenseiten für die Positionen der russischen Regierung werben. So wird der Eindruck vermittelt, die Unterstützung der Regierung sei größer als sie es ohnehin schon ist. Zudem stellt die Regierung sicher, dass sie die Onlinewelt nicht den Regierungsgegnern überlässt.

Aber auch Aktivisten lernen dazu. Die Nutzung von VPN-Servern zur Vermeidung von Zensur ist längst massentauglich. Viele Aktivisten nutzen mittlerweile das sogenannte TOR-Projekt um ihre Spuren zu verschleiern. Das System leitet Internetverbindungen so oft um, dass der Nutzer am Computer nicht mehr zu erkennen ist.

Auch andere Verschlüsselungstechniken verbreiten sich schnell. Die sichere Kommunikationsapplikation "Signal", die selbst von Edward Snowden empfohlen wird, wurde jedoch kürzlich in Ägypten von den Behörden gesperrt.

Soziale Medien können trotzdem weiterhin ein Mittel zur effektiven Koordination zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren sein, da sie die Mobilisierung von Aktivisten in autoritären Staaten durchaus fördern können. Allerdings haben auch autoritäre Regime die Zeichen der Zeit erkannt und rüsten massiv auf, um soziale Netze effektiver zu kontrollieren.

Facebook-Revolutionen sind und waren ein Mythos. Denn die sozialen Medien werden nicht mehr nur von einer Seite genutzt. Sie sind kein reiner Katalysator für revolutionäre Bewegungen, sondern können inzwischen ebenso als Werkzeug von Sicherheitsbehörden und Staatspropaganda instrumentalisiert werden. Revolutionen entstehen auch nicht per se durch soziale Medien, doch sie werden im 21. Jahrhundert wohl auch nicht mehr ohne sie stattfinden.

Niklas Kossow und Ilyas Saliba

© Qantara.de 2017

Ilyas Saliba ist Doktorand an der Berlin Graduate School for Social Sciences der Humboldt Universität zu Berlin und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Er arbeitet zu den Folgen der Arabischen Aufstände und interessiert sich insbesondere für unterschiedliche Strategien autoritärer Regime im Umgang mit Protesten. Niklas Kossow ist Doktorand an der Hertie School of Governance in Berlin und arbeitet für das European Research Centre for Anti-Corruption and State-Building zur Rolle sozialer Medien in der Korruptionsbekämpfung und Demokratisierung im postsowjetischen Raum.