NSA spionierte prominente US-Muslime aus

Nach 9/11 war jeder Muslim verdächtig: Unter US-Präsident George W. Bush lasen FBI und NSA die E-Mails von unbescholtenen Anwälten und Aktivisten mit. Beweise für Terroraktivitäten oder Verbrechen gab es nicht - selbst ein Mitarbeiter des Heimatschutzministeriums wurde überwacht. Von Matthias Kolb

Von Matthias Kolb

Als Junge träumte er davon, Pilot zu werden und mit der Navy-Kunstflugstaffel Blue Angels zu fliegen. Seine schlechten Augen verhinderten dies, aber nach seinem Jurastudium in Washington DC ging er zum JAG Corps der Navy. Später engagierte sich der Republikaner für eine Nichtregierungsorganisation, schickte seine Kinder auf katholische Schulen und arbeitete seit Ende 2001 für die Regierung von George W. Bush. Jahrelang war er im späteren Heimatschutzministerium tätig - und hatte dank seiner top secret security clearance Zugang zu vertraulichen Dokumenten.

"Ich habe alles getan, was ein guter Bürger tun sollte", sagt Faisal Gill, der seit 2005 wieder als Anwalt arbeitete und auch für das Virginia House of Delegates kandidiert hatte. Als Achtjähriger war er mit seinen Eltern aus Pakistan in die USA gekommen, doch dies hatte seine Karriere nie behindert. Nun ist das Weltbild von Gill zertrümmert: In Dokumenten des US-Geheimdiensts NSA, die Edward Snowden kopiert und dem Journalisten Glenn Greenwald zur Verfügung gestellt hat, finden sich zwei E-Mail-Accounts von Faisal Gill, die FBI und NSA drei Jahre lang überwacht haben.

In einem langen Artikel für das Online-Magazin The Intercept wertet Greenwald nun jene Excel-Tabelle des Whistleblowers aus, wonach die Bundespolizei FBI und die National Security Agency zwischen 2002 und 2008 insgesamt 7485 E-Mail-Adressen kontrolliert haben. Neben Faisal Gill sind noch vier weitere prominente amerikanische Muslime betroffen, die in der Öffentlichkeit sehr präsent sind und oft mit Spitzenpolitikern von Demokraten und Republikanern aufraten. Keinem von ihnen wurde ein Verbrechen nachgewiesen, sie haben nicht zum Dschihad aufgerufen oder mit al-Qaida sympathisiert. Dennoch schienen sie manchen Agenten suspekt.

Unzureichende Kontrolle der Geheimdienste

Diese Fälle, zu denen das US-Justizministerium bisher nicht Stellung genommen hat, zeigen nicht nur erneut, dass die US-Geheimdienste weiten Spielraum haben, wenn es darum geht, die Genehmigungen von dem geheim tagenden FISC-Gericht zu bekommen. Sie illustrieren die Stimmung, die in Amerika nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon herrschte: Kein Agent oder Polizist wollte einen Fehler machen und sich dem Vorwurf aussetzen, nicht vorsichtig genug zu sein.

Und da es Präsident Bill Clinton abgelehnt hatte, US-Muslime zu überwachen, herrschte in den Sicherheitsbehörden nach 9/11 mitunter das Gefühl, man habe einiges nachzuholen. Einige schienen besessen davon, dass die Muslimbrüder die US-Behörden unterwandert hätten. Und wer sich - wie Faisal Gill im Jahr 2006 - etwa im Sudan mit Angehörigen von Opfern der dortigen Al-Qaida-Anschläge traf, um sich diesen als Rechtsbeistand anzubieten, der machte sich verdächtig (andere US-Anwaltsfirmen, die auch im Sudan aktiv waren, blieben übrigens unbehelligt). Und jene NGO, für die Gill vor seiner Zeit in der Regierung arbeitete, war eben kein Wirtschaftsverband, sondern der American Muslim Council.

Die neuen Enthüllungen dürften bei Amerikas Muslimen das Gefühl verstärken, als Bürger zweiter Klasse zu gelten und unter Dauerverdacht zu stehen. Erst im April hatte New Yorks Polizei ihre "Demografie-Einheit" aufgelöst, die jahrelang systematisch Muslime ausgespäht hatte und aufzeichnete, wo diese essen, arbeiten und beten (Details hier). Dass Muslime in einem FBI-Schulungsdokument mit dem beleidigenden "Mohammed Raghead" (Mohammed Turbanträger) beschrieben wurden, ist bestenfalls unsensibel - oder rassistisch.

In einem Video-Interview mit The Intercept schildert Faisal Gill eindrücklich, wie verletzend der Vorgang für ihn ist. Sein Fazit: "Wenn ich als Reagan-liebender Konservativer überwacht werde, dann will ich gar nicht wissen, wer noch alles überprüft wird." Für den Anwalt steht fest: Amerika muss seine Überwachungspraxis ändern und die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste ändern.

Ähnliches fordern Bürgerrechtsgruppen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) seit langem. ACLU-Geschäftsführer Anthony D. Romero vergleicht das nun enthüllte Vorgehen der US-Behörden mit jener Bespitzelung von schwarzen Aktivisten wie Martin Luther King, die FBI-Chef J. Edgar Hoover angeordnet hatte. Nach dessen berühmter "I have a Dream"-Rede wurde "jede Bewegung" des Bürgerrechtlers in Zehntausenden Memos notiert, wie der Historiker David Garrow betont.

Die Fälle der vier anderen prominenten US-Muslime sind ebenfalls bemerkenswert, auch wenn sie nicht ganz so besonders sind wie die Lebensgeschichte von Faisal Gill - seine E-Mails wurden überwacht, obwohl er für die US-Regierung gearbeitet hatte und daher von den Sicherheitsbehörden bereits penibel überprüft worden war.

  • Seit zwei Jahrzehnten ist Asim Ghafoor als Anwalt tätig. 1997 kam er nach Washington, um für einen texanischen Abgeordneten zu arbeiten. 2001 machte er sich als PR-Berater, Lobbyist und Jurist selbständig und engagierte sich nach 9/11 "hinter den Kulissen" für die muslimische Gemeinschaft. Stolz präsentiert er Fotos, die ihn mit George W. Bush sowie mit Hillary Clinton zeigen. Ins Visier der Dienste geriet er offenbar, weil er als Anwalt für eine saudische Stiftung tätig war, die angeblich Terror-Operationen finanziert habe. 2008 kam heraus, dass das FBI Telefongespräche zwischen Ghafoor und seinen Mandanten illegalerweise mitgeschnitten hatte (mehr bei der New York Times). Seine Liebe zu Amerika bleibe bestehen, sagt Ghafoor zu The Intercept: "Es gibt frühere Mitarbeiter der Bush-Regierung, die für Saudis als Anwälte arbeiten. Ich bezweifle, dass sie überwacht wurden - sie sind ja keine Muslime."
  • 1974 kam der Pakistaner Agha Saeed in die USA. Er studierte und promovierte an mehreren Elite-Universitäten und lehrte selbst Politikwissenschaft. Er setzte sich dafür ein, dass sich Amerikas Muslime politisch engagieren. Er hatte einen Termin bei Präsident Bush für den Nachmittag des 11. September 2001 - der wegen der Anschläge um eine Woche verschoben wurde. Kurzzeitig kam Saaed in die Schlagzeilen, als Rick Lazio, der republikanische Herausforderer von Hillary Clinton 2000 eine von Saeed vermittelte Spende der American Muslim Alliance als "Blutgeld" bezeichnete und Saeed Sympathien für palästinensische Aufständische unterstellte. Der Pakistaner bestritt dies - doch eine solche Aussage wäre durch die Meinungsfreiheit gesichert und kein Verbrechen. Der Grund für das Interesse der Geheimdienste an seinen E-Mails sei ein anderer, glaubt Saaed: Von 2006 an habe er die Bush-Regierung für deren Späh-Aktivitäten kritisiert.
  • Hooshang Amirahamadi ist Professor an der Rutgers University in New Jersey. Der Gründer des American Iranian Council besitzt sowohl einen iranischen als auch einen amerikanischen Pass. Er versuchte 2005 und 2013 vergeblich, in Iran als Präsidentschaftskandidat zugelassen zu werden. Insgesamt drei seiner E-Mail-Accounts wurden zwischen August 2007 und Mai 2008 überwacht - neokonservative Zeitschriften warfen ihm eine zu große Nähe zur Regierung des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad vor. Angeblich habe seine Uni Geld von Stiftungen erhalten, die Teheran kontrolliere - doch ähnliche Spenden gingen auch an Harvard und die Columbia University. Amirahamadi glaubt laut The Intercept, dass er nicht wegen seines Glaubens überwacht wurde (er bezeichnet sich als Atheist), sondern wegen seiner "diplomatischen Aktivitäten". So kritisiert er seit langem die strengen Sanktionen gegen Teheran, die er für wenig wirksam hält.
  • Nihad Awad ist ein in Jordanien geborener Palästinenser, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in den USA lebt. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer des Council on American-Islamic Relations (CAIR), eine der größten muslimischen Bürgerrechtsorganisationen der USA. Er war Berater von Al Gore und traf die Präsidenten Bush und Clinton sowie mehrere US-Außenminister. Seine E-Mails wurden von 2006 bis 2008 überwacht. "Als Bürger bin ich außer mir, dass die Regierung Aktivisten bespitzelt. Obwohl wir so viel für die Gesellschaft dieses Landes getan haben, werden wir noch immer verdächtigt." Awad vermutet, dass er bespitzelt wurde, weil er sich 1994 positiv über die Hamas geäußert habe - drei Jahre vor deren Radikalisierung. Später habe er sich stets von der Hamas distanziert und auch CAIR habe deren Anschläge stets verurteilt.

Die vier prominenten Muslime, die sich in Snowdens Excel-Tabelle finden, und die noch namenlosen Bürger, die ebenfalls bespitzelt wurden, dürften der Warnung von Nihad Awad zustimmen: "Ich denke, alle Amerikaner sollten besorgt darüber sein, dass die NSA die amerikanischen Muslime gezielt überwacht hat. Denn wenn heute die Muslime in diesem Land dran sind, dann könnten es morgen sie selbst sein."

Linktipp: Im Artikel von Glenn Greenwald und Murtaza Hussain auf der Website von The Intercept finden sich weitere Video-Interviews mit Asim Ghafoor und Nisam Awad.

Matthias Kolb

© Süddeutsche Zeitung 2014

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de