Unfruchtbar durch Genitalverstümmelung?

Jeden Tag werden weltweit 6000 Mädchen beschnitten, die Mehrheit von ihnen in Afrika. Die Ergebnisse einer schwedischen Studie belegen nun, dass dieser Eingriff zu Unfruchtbarkeit bei den Frauen führen kann. Maja Dreyer berichtet.

Demonstration gegen Genitalverstümmelung in Somalia; Foto: dpa
Demonstration gegen Genitalverstümmelung - Female Genitale Mutilation, FGM - in Somalia

​​Neben Äthiopien, Somalia und Ägypten gehört Sudan zu den Ländern, in denen fast 100 Prozent der Frauen beschnitten werden. Beschneiden heißt dabei, dass die äußeren weiblichen Genitalien teilweise oder vollständig entfernt werden - eine Tradition, die sich nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent findet.

In zwei Krankenhäusern der sudanesischen Hauptstadt Khartoum hat der schwedische Kinderarzt Lars Almroth nun die erste klinische Studie über den Zusammenhang von Beschneidung und Unfruchtbarkeit durchgeführt. Dazu verglich er den Anteil der beschnittenen Frauen in einer Gruppe von 180 schwangeren und einer Gruppe von 100 unfruchtbaren Frauen. Das Ergebnis ist eindeutig – und wissenschaftlich seriös.

Einberechnet in die Studie hat Almroth auch andere Faktoren, die zu Unfruchtbarkeit führen können, wie übertragbare Geschlechtskrankheiten, aber trotzdem, so Almroth, zeigten die Ergebnisse, dass die weibliche Beschneidung das Risiko zur Unfruchtbarkeit um ein Fünf- oder Sechsfaches erhöhe.

Als Grund für die Unfruchtbarkeit vermuten Almroth und seine Kollegen Infektionen und Entzündungen, die durch die Beschneidung selbst ausgelöst werden. Bei den meisten Frauen findet das schon im jungen Mädchenalter statt - oft unter einfachsten Bedingungen. Als Schneidewerkzeug dienen Küchenmesser, Rasierklingen oder Glasscherben.

Bei den extremsten Formen der Genitalverstümmelung vernähen die Beschneiderinnen - das sind meist ältere, angesehen Frauen im Dorf - die Wundränder mit Bindfäden oder Bast, bis nur noch eine kleine Öffnung bleibt.

Unbehandelte Wunden mit katastrophalen Folgen

Beschneidungsgegner vermuteten schon lange einen Zusammenhang zwischen dieser Praxis und Unfruchtbarkeit. Almroth liefert dafür nun den empirischen Beweis. Als nächstes will er untersuchen, warum die direkten Folgen der Beschneidung bei Mädchen von Ärzten noch nicht qualitativ nachgewiesen wurden.

"Man muss herausfinden, warum wir dies nicht in den Krankenhäusern vorfinden", so Almroth. "Kommen diese Mädchen überhaupt ins Krankenhaus, oder ist es so, dass sie kommen, aber wir als Ärzte das Problem nicht sehen. Da gibt es viele offene Fragen. Wir wissen, dass viele Mädchen erst gar keine ärztliche Hilfe suchen, wenn sie Probleme haben. Und selbst wenn sie einen Arzt aufsuchen, sagen sie ihm nicht, was ihr eigentliches Problem ist."

Die Folge: Infektionen und Entzündungen werden nicht behandelt, zurück bleiben Vernarbungen, die es den Mädchen im späteren Leben unmöglich machen, schwanger zu werden. Ein Zustand, der für viele wesentlich schwerwiegendere Folgen hat, als andere Krankheiten. Denn Unfruchtbarkeit, so Almroth, bedeute für die Frau ein soziales Desaster.

Männer zum Umdenken bewegen

Aber nicht nur für die Frauen hat die Unfruchtbarkeit verheerende Folgen für ihre soziale Stellung. Auch die Familie ist betroffen - der Ehemann, die Eltern, die Großeltern. Deshalb hoffen sudanesische und internationale Menschenrechts- und Gesundheitsorganisationen, mit diesem Argument eine wirksamere Waffe im Kampf gegen die Genitalverstümmelung in der Hand zu haben.

Bislang konnten sie "nur" die Botschaft verbreiten, dass eine Beschneidung gefährlich für die Frauen ist. Als Reaktion haben viele das Ritual statt von der traditionellen Beschneiderin von einem Arzt vollziehen lassen. Eine mögliche Unfruchtbarkeit aber stellt die ganze Tradition in Frage und könnte die Gesellschaft zum Umdenken bewegen.

Auch die Männer, die mit ihren Erwartungen einen erheblichen sozialen Druck auf die Frauen ausüben. Viele von ihnen haben aber bereits ihre eigenen Zweifel, was die Beschneidung angeht - allerdings aus ganz anderen Gründen, wie Lars Almroth herausgefunden hat:

"Nach dem traditionellen Konzept der weiblichen Beschneidung wollen Männer eine Frau heiraten, die beschnitten ist - aus verschiedenen Gründen: Denn dann ist sie eine gute Frau, sie hatte keinen Sex vor der Ehe, sie wird auch nicht fremdgehen. Und dann gibt es im Sudan noch die Denkweise, dass eine kleine Öffnung in der Vagina die Männer besser befriedigt. In unseren Interviews haben wir aber herausgefunden, dass viele Männer gar nicht so denken. Stattdessen berichteten sie über ihre eigenen Komplikationen aufgrund der weiblichen Genitalverstümmelung, von sexueller Unzufriedenheit oder sogar Impotenz. Die meisten jungen Männer würden eigentlich lieber eine unbeschnittene Frau heiraten, und das stellt in dieser Gesellschaft tatsächlich das ganze Konzept der weiblichen Beschneidung in Frage."

Maja Dreyer

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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