Politischer Islam auf dem Lehrplan

Hassan Lama'a berichtet, welche religiösen Netzwerke im libanesischen Bildungswesen existieren und wie politische Islamschulen neue Schülergenerationen im Zedernstaat bis heute prägen.

Von Hassan Lama'a

Mit Ausbreitung der islamischen Bewegungen in den frühen 1970er Jahren wurde im Libanon eine Reihe von Bildungseinrichtungen gegründet, die dem politischen Islam nahestanden. Religionsunterricht gab es zwar schon vorher, aber diese neuen Einrichtungen unterschieden sich von den übrigen islamischen und christlichen Schulen des Landes.

Im Unterschied zu herkömmlichen konfessionellen Schulen, wo Spiritualität Teil der Erziehung und Bildung ist, wenden politische Islamschulen den Islam als Ideologie und Doktrin auf alle Aspekte des Lebens an – auch auf die Politik. Und tatsächlich gehen einige dieser Schulen auf die Gründung durch islamische politische Parteien zurück.

Religionsunterricht im Libanon

Buchcover Kamal Salibi: "The Modern History of Lebanon" im Verlag Weidenfeld & Nicolson
Der libanesische Historiker Kamal Salibi beschreibt in seinem Buch „The Modern History of Lebanon“, dass im 18. Jahrhundert viele wohlhabende muslimische Familien ihre Kinder auf Schulen schickten, die ursprünglich von christlichen Missionswerken gegründet wurden. Der Besuch dieser Schulen war einer der Gründe, warum einige muslimische Familien zum Christentum konvertierten.

Die Verfechter dieses Bildungssystems sehen darin einen Weg, moralische und soziale Werte neben den übrigen Lehrinhalten zu vermitteln. Sie sind davon überzeugt, dass nur die Religion solche Grundsätze vermitteln kann. Kritiker argumentieren jedoch, dass diese Art der Bildung das Sektierertum fördere, da sich jede Glaubensrichtung von der jeweils anderen abgrenze; vor allem in einer so vielschichtigen Gesellschaft wie dem Libanon.

Doch im Libanon war Bildung auf die eine oder andere Weise schon immer religiös geprägt. In einer Epoche des Osmanischen Reiches wurde Bildung nur in den islamischen Koranschulen und Moscheen angeboten, wo die Schüler den Koran, die islamische Rechtswissenschaft (Fiqh) und die arabische Sprache studierten.

Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden andere Schulen als Gründungen christlicher Missionswerke. Viele wohlhabende muslimische Familien schickten ihre Kinder auf diese Schulen, wie der libanesische Historiker Kamal Salibi in seinem Buch "The Modern History of Lebanon" (Die moderne Geschichte des Libanon) beschreibt. Der Besuch dieser Schulen war einer der Gründe, warum einige muslimische Familien zum Christentum konvertierten.

Diese Tendenz war der örtlichen muslimischen Gemeinschaft ebenso wie den osmanischen Herrschern ein Dorn im Auge. Schließlich waren beide davon überzeugt, dass christliche Missionen einen kulturellen Angriff des Westens darstellten, dem entgegengewirkt werden müsse.

Eine Folge dieser Haltung war der in vielen Ländern aufkeimende "Averroismus". Als Ausdruck individueller Bestrebungen gegen die christliche Erziehung wurden islamische Bildungseinrichtungen ins Leben gerufen, wie die 1878 in Beirut gegründete Al-Makassed Islamic Charitable Society.

Die Bildungseinrichtungen der christlichen Missionswerke bestanden allerdings weiter. Pfarreien und Klöster folgten sogar ihrem Beispiel. Die örtlichen christlichen Schulen wurden zum Ende der osmanischen Herrschaft und unter dem französischen Mandat zu den wichtigsten Bildungseinrichtungen im Libanon. Als der Libanon die Unabhängigkeit erklärte, fehlte es in vielen Teilen des Landes an staatlichen Regelschulen, ebenso wie an anderen staatlichen Diensten.

Der Ursprung der politischen Islamschulen

Die erste dem politischen Islam verpflichtete Schule im Libanon hieß "Iman", was auf Arabisch soviel wie Glaube bedeutet. Die 1974 eingeweihte Schule ist Teil der Islamic Education Association, die wiederum zur Al-Jamaa al-Islamiya gehört, einem Zweig der Beiruter Muslimbruderschaft. Weitere Ableger der Schule wurden bald in verschiedenen Teilen des Libanon gegründet.

Abdel-Rahman, einer der Alumni der Schule, sieht bei außerschulischen Aktivitäten Parallelen zu anderen Privatschulen, aber auf mehreren Ebenen auch deutliche Unterschiede. Wie an allen islamischen Schulen gilt der Grundsatz der Geschlechtertrennung.

Die Schüler sind zur Ausübung religiöser Rituale verpflichtet, sei es während des regulären Schulalltags oder unterwegs. "Das Besondere an unserer Schule waren die Jugend- und Pfadfindergruppen, die mit Al-Jamaa al-Islamiya verbunden sind oder der Organisation nahestehen", so Abdel-Rahman. "Deren Aktivitäten unterscheiden sich deutlich von anderen außerschulischen Aktivitäten. So wurden beispielsweise Camps und Ausflüge zu entlegenen Orten veranstaltet."

Abdel-Rahman bestreitet allerdings, dass die "Iman"-Schulen zur Heranführung potenzieller Rebellen dienen. Seines Wissens unterstützten auch viele Alumni Al-Jamaa al-Islamiya, ohne Mitglied der Organisation zu werden. Seine Zeit in der bekannten islamischen Schule sieht er insgesamt positiv, gesteht aber ein, dass der anschließende Besuch einer Hochschule eine Art Kulturschock war. Dort herrschte ein völlig anderer Lebensstil. Stereotype oder Hardliner habe es dort nicht gegeben, sagte er.

Muhammad Hussein Fadlallah; Foto: AP
Wie der politische Islam schiitischer Prägung Schule machte: Muhammad Hussein Fadlallah, maßgeblicher geistlicher Führer der Hisbollah in den frühen 1980er Jahren und damals die prominenteste Figur des politischen Islam, gründete 1978 die Imam-Al-Khoei-Mabarrat – eine nach Großayatollah Abu l-Qasim al-Khoei benannte Schule, die junge schiitische Waisenkinder beherbergt und unterrichtet. Später wurde die Mabarrat Charity Association gegründet, die wiederum 15 "Mabarrats" in Beirut sowie in den Gouvernements Libanonberg, Bekaa und Süd-Libanon errichtete.

Die Rolle von Muhammad Hussein Fadlallah

Muhammad Hussein Fadlallah, maßgeblicher geistlicher Führer der Hisbollah in den frühen 1980er Jahren und damals die prominenteste Figur des politischen Islam, gründete 1978 die Imam-Al-Khoei-Mabarrat – eine nach Großayatollah Abu l-Qasim al-Khoei benannte Schule, die junge schiitische Waisenkinder beherbergt und unterrichtet.

Später wurde die Mabarrat Charity Association gegründet, die wiederum 15 "Mabarrats" in Beirut sowie in den Gouvernements Libanonberg, Bekaa und Süd-Libanon errichtete.

Ali Sherri, einer der ersten "Mabarrat"-Absolventen und heute Leiter des Alumni-Verbands, sagt, die religiöse Erziehung habe ihm als bedürftiges Waisenkind seinerzeit geholfen, die Härten zu überwinden.

Seine Erziehung in einem "Mabarrat" habe ihn nicht daran gehindert, sich in die französische Gesellschaft zu integrieren, als er für seine akademische Ausbildung nach Frankreich ging.

In diesem Zusammenhang verweist er auf "Fadlallahs Forderung nach völliger Offenheit".

Laut Ali Sherri finanziert sich die Mabarrat Charity Association über sogenannte "Khums", also Abgaben, die schiitische Muslime als Beitrag zu islamischen Initiativen und Projekten zahlen.Malak erinnert sich an zwei Vorfälle während seiner Ausbildung in einem "Mabarrat".

Die Schulen der Hisbollah

Einmal wurden die Schüler ad hoc aufgefordert, auf den Schulhof zu gehen, wo bereits Medienvertreter warteten. Dort wurden sie gebeten, Plakate hochzuhalten, auf denen zur Unterstützung der Opposition in Bahrain aufgefordert wird.

Hisbollah-Schule in Beirut; Foto: AP
Grundschulen und weiterführende Schulen unter Hisbollah-Ägide: In den frühen 1990er Jahren wurden mehr islamische Bildungseinrichtungen gegründet, die sich am Modell der religiösen Schulen orientierten. Hierzu zählt u. a. die Islamic Organization for Education, die eng mit der Hisbollah verbunden ist. Den Anfang machte 1993 die Gründung von vier Schulen in verschiedenen Regionen, gefolgt von 17 weiteren Schulen in Beirut, Bekaa und Süd-Libanon.

Außerdem sollten sie zusammen mit den Lehrkräften politische Parolen singen. Bahrain war eines der arabischen Länder, in denen die politische Krise zu Beginn des Arabischen Frühlings eine sektiererische Dimension angenommen hatte. Die dortigen Unruhen wirkten in den Libanon hinein.

Der zweite Vorfall ereignete sich sechs Jahre vor Beginn des Syrienkriegs. Die Schule lud damals ein Mitglied der Hisbollah ein, das über die besondere Bedeutung der Ausbildung an der Waffe und über die "Vorbereitung auf eine Zeit, in der jeder kämpfen muss", dozierte. Schirmherr dieser und ähnlicher Vorträge zu anderen Gelegenheiten sei der Schulvorstand gewesen, so Malak.

Ende der 1970er Jahre gründete eine Gruppe frommer Muslime eine islamische Religionslehrervereinigung (Islamic Religious Education Association) mit dem Ziel, den Religionsunterricht in öffentlichen und privaten Schulen zu fördern und Lehrer in der religiösen Unterweisung auszubilden.

Später gründete der Verein die Al-Mustafa-Privatschulen. 1984 entstand die erste dieser Schulen im Stadtteil Haret Hreik im Süden Beiruts.

Das vom Verein veröffentlichte Buch "Islam Is Our Message" (Islam ist unsere Botschaft) widmet sich der islamischen Erziehung und steht auf dem Lehrplan sämtlicher Klassen. In den schiitischen Schulen und sogar in nicht-religiösen Schulen innerhalb schiitisch dominierter Gebiete ist dieses Buch sehr weit verbreitet. In Schulen anderer muslimischer Glaubensrichtungen gibt es keine vergleichbaren Bücher.

Naim Kassim, stellvertretender Generalsekretär der Hisbollah, ist Gründungsmitglied der Islamic Religious Education Association. Seine heutigen Beziehungen zum Verein sind nicht öffentlich bekannt. Als Sponsor vieler Veranstaltungen spielt Kassim aber offensichtlich immer noch eine wichtige Rolle.

Im Dienste von Khamenei und Khomeini

Hassan verbrachte seine gesamte Schullaufbahn an der Al-Mustafa-Schule in Haret Hreik. Die außerschulischen Aktivitäten seien nicht ungewöhnlich gewesen, sagt er. Das Bildungsniveau sei relativ hoch. Eine Stunde pro Woche sei dem Thema Religion gewidmet worden, eine weitere dem Studium des Koran.

Den Kindern von Märtyrern der Hisbollah habe die Schule unentgeltlich offengestanden. Auf dem Schulgelände habe es viele Flaggen der Hisbollah sowie Porträts des Obersten iranischen Religionsführers Ali Khamenei und seines Vorgängers Ruhollah Khomeini gegeben.

Maytham, ein weiterer "Al-Mustafa"-Absolvent, berichtet, der Schulvorstand habe die Schüler 2006 zur Teilnahme an Protesten aufgefordert, die die Allianz des 8. März gegen die Regierung des damaligen libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora veranstaltete. Die Schule mietete auch Busse für den Transport der Schüler zum Veranstaltungsort der Demonstrationen.

Hisbollah-Anhängerin protestiert gegen die Regierung unter Ministerpräsident Fuad Siniora; Foto: AFP/Getty Images
Instrumentalisierung und Mobilisierung gegen den politischen Feind: Ein Absolvent privaten Al-Mustafa-Schule, die der Hisbollah nahe steht, berichtet, der Schulvorstand habe die Schüler 2006 zur Teilnahme an Protesten aufgefordert, die die Allianz des 8. März gegen die Regierung des damaligen libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora veranstaltete.

In den frühen 1990er Jahren wurden mehr islamische Bildungseinrichtungen gegründet, die sich am Modell der religiösen Schulen orientierten. Hierzu zählt u. a. die Islamic Organization for Education (Islamische Organisation für Bildung), die eng mit der Hisbollah verbunden ist. Den Anfang machte 1993 die Gründung von vier Schulen in verschiedenen Regionen, gefolgt von 17 weiteren Schulen in Beirut, Bekaa und Süd-Libanon. Auch in der iranischen Stadt Ghom errichtete diese Organisation eine Schule.

Weitere Bildungsinitiativen

Zu den in dieser Zeit entstandenen Bildungseinrichtungen gehörten die Schulen der Association of Islamic Charitable Projects, auch bekannt als Al-Habasch, einem sunnitisch geprägten libanesischen Wohlfahrtsverband. Der Verein gründete 1991 seine erste Schule in Beirut, die Islamic Culture High School. Es folgten weitere Gründungen im Gouvernement Akkar, in der Stadt Tripolis, in der Stadt Barja und im Gouvernement Bekaa.

Salafisten sind im Libanon bildungspolitisch und politisch nur sehr begrenzt aktiv, da sie wegen der extremistischen Ansichten ihrer Anhänger unter scharfer Beobachtung stehen. Sie gründeten lediglich einige Institute für islamische Studien, von denen viele letztlich geschlossen wurden. Im Vergleich zu anderen Gruppen innerhalb des politischen Spektrums sind ihre Möglichkeiten sehr beschränkt.

Artikel 10 der libanesischen Verfassung besagt, dass "Bildung frei ist", solange die guten Sitten beachtet, die öffentliche Ordnung nicht gestört oder keine Religion oder Glaubensrichtung herabgesetzt wird. Der Artikel gibt auch verschiedenen Glaubensrichtungen das Recht, Schulen zu gründen.

Die Islamisten haben über ihre Schulen letztlich weite Teile der libanesischen Gesellschaft erreicht. In vielen Landesteilen des Libanon gab es bis vor Kurzem noch keine öffentlichen Regelschulen. Die vorhandenen Schulen sind zudem nicht auf dem gleichen Niveau wie die privaten Schulen. Laut einem Bericht von Statistics in Focus sind 66 Prozent der libanesischen Schülerinnen und Schüler in Privatschulen eingeschrieben.

Hassan Lama'a

© Raseef 22

Aus dem Englischen von Peter Lammers