Schreiben in einer fremden Sprache

Autoren marokkanischer Herkunft sind in den Niederlanden zum Trend geworden. Einige Werke wurden auch ins Deutsche übersetzt. Ilja Braun stellt drei der Autoren vor.

Lang, lang ist's her, doch es lässt sich nicht leugnen: Die ersten sieben Jahre seines Lebens hat der niederländische Schriftsteller Hafid Bouazza in Marokko verbracht. Das hat gereicht, um ihn als Autor auf ein derzeit in den Niederlanden durchaus verkaufsförderndes Image festzulegen. Immigranten-Autoren haben nach Meinung so manches Feuilletonisten erstens einen unbefangeneren, objektiveren Blick auf die niederländische Gesellschaft und Lebenswirklichkeit, zweitens einen weiteren Horizont als einheimische Kollegen, und drittens leiden sie, so "zwischen zwei Kulturen", auf beispielhafte Weise an innerer Zerrissenheit, eine Verfassung, die dem Zeitgeist auch nicht ganz fremd ist. Gern lädt man solche Autoren zu Lesungen ein, z.B. zum Thema "Islam und Homosexualität", Amsterdam, September 2002. "Der Fanatismus, mit dem der Niederländer 'den Moslim' zu verstehen versucht, nimmt allmählich bedrohliche Formen an", sagte Hafid Bouazza auf dieser Lesung. Jede Kritik am Islam werde dabei als Ausdruck von Unwissenheit abgetan. "Das einzige, womit der Islam die Niederlande bereichert hat, ist die architektonische Pracht der Moscheen, und die sind in den Niederlanden durchweg hässliche Missgeburten." Die Polemik traf eine an multikulturelle Kuschelei gewöhnte Öffentlichkeit weitgehend unvorbereitet. Allerdings wird die Heftigkeit von Bouazzas Äußerungen besser begreiflich, wenn man um die tägliche Vereinnahmung niederländischer Autoren marokkanischer Abstammung zu Zwecken der Demonstration dekorativer Toleranz weiß. "Welches Thema man sich als Schriftsteller auch immer aussucht - sobald man in einer Sprache darüber schreibt, die nicht die eigene Muttersprache ist, wird es sofort als mutwillige Abweichung von dem 'wirklichen' Thema gesehen", formuliert Bouazza selbst in einem Essay. Dabei haben die meisten dieser Autoren, oftmals Kinder der in den 60er Jahren ins Land geholten Gastarbeiter, mit den Niederlanden durchaus enge, mit dem Land ihrer Herkunft aber kaum noch eine Bindung. Und gerade Hafid Bouazza hat die niederländische Sprache wie kaum ein einheimischer Autor durchdrungen. Für seinen Roman "Momo" hat er intensiv mit einem historischen Wörterbuch gearbeitet, das archaisches, in der lebenden Sprache nicht mehr gebräuchliches Vokabular verzeichnet, aber auch mit Fragmenten aus anderen Sprachen gespielt und mit Wortneuschöpfungen gearbeitet. So ist eine vielschichtige, sehr dichte und auf ihre Art sehr genaue Sprache entstanden - die ironischer Weise tatsächlich exotisch und fremdartig wirkt. Libris-Literaturpreis für Benali

Cover 'Hochzeit am Meer'

​​Andere Autoren marokkanischer Abstammung haben weniger Probleme mit ihrer Festlegung auf das Immigranten-Image. Abdelkader Benali etwa, auf deutsch im Piper Verlag, geht auf ironische, humorvolle Weise mit der Kultur seines Herkunftslandes um: "Bei der Koranschule handelte es sich um eine Reihe von Klassenräumen, die versteckt, untergetaucht im Keller einer Moschee lagen, die irgendwann einmal, vor langer, sehr langer Zeit, noch bevor es Empfängnisverhütung, Contergankinder und Massenentlassungen Ungläubiger gab, die sich ihrerseits dadurch auch wieder der Religion zuwandten, eine Kirche gewesen war", so beginnt die Beschreibung des Religionsunterrichts in "Hochzeit am Meer". Das Buch kommt leichtfüßig und verspielt daher, und der Autor erlaubt sich genussvolle, ausführliche Abschweifungen von einem im Grunde sehr simplen Plot, demzufolge der Bräutigam zu seiner Hochzeit nicht erschienen ist. Benali wurde 1975 in Ighazzazen/Marokko geboren und kam mit seinen Eltern nach Rotterdam, als er vier Jahre alt war. Heute studiert er in Leiden Geschichte. Für seinen letzten, noch nicht ins Deutsche übersetzten Roman hat er gerade den renommierten Libris-Literaturpreis erhalten. Der Protagonist Mehdi wächst als Sohn einer marokkanischen Immigrantenfamilie in den Niederlanden auf und schwängert mit 17 Jahren seine erste große Liebe. Nachdem die Eltern des Mädchens der Familie Mehdis zunächst skeptisch begegnen, kommt es schließlich doch zur Versöhnung, und in der Neujahrsnacht von 1999 auf 2000 wird das Kind geboren. Was sich in der Inhaltszusammenfassung wie ein dröges Lehrstück zur Völkerverständigung liest, ist in Wirklichkeit ein bunter Mix aus Genres und Erzähltraditionen. Teils ironisierend, teils romantisierend springt der Autor vom realistisch-psychologischen Bericht übergangslos ins Märchen, um dann an jüdische Dorfgeschichten erinnernde Episoden einzuflechten. Die Begegnung zweier Kulturen ist zwar ein stets präsentes Thema, bietet aber eher Anlass zu fröhlichem Fabulieren als zu tiefsinnigen Erwägungen. In der Großküche eines Schnitzelrestaurants

Cover 'Lehrjahre im Schnitzelparadies'

​​Den ersten Roman eines anderen sehr jungen Autors, des 1974 in Tamsamane geborenen Khalid Boudou, hat gerade der Blessing Verlag in deutscher Übersetzung veröffentlicht. "Lehrjahre im Schnitzelparadies" ist eine Art Schelmenroman, dessen Protagonist Nordip ein sympathischer, aber ungeschickter Taugenichts ist, der sich als Praktikant in der Großküche eines Schnitzelrestaurants durchschlägt. Außer ihm arbeiten dort noch eine Reihe weiterer Immigranten, die von Meerman, dem nörglerischen Chef, ständig dazu ermahnt werden, Niederländisch zu sprechen. Der Koch entwirft dabei Rachephantasien, die sogar die Kinder des Chefs einbeziehen: "Er würde die Kinder in den Kühlraum werfen, neben die toten Hasen und das tiefgefrorene Schaf Anna; anschließend würde er die Temperatur auf minus dreißig Grad stellen und Meerman vor den Hackblock stellen: Innerhalb der Zeit, die es dauern würde, bis sie erfroren waren, musste Meerman perfekt und akzentfrei die marokkanische Berbersprache beherrschen, ohne zu lispeln und bei den Rachenlauten zu stocken - sonst würden seine Eiskinder zu einem herzhaften holländischen Gericht oder Hackfleisch verarbeitet." Boudous interkultureller Humor kommt über dieses Level an Subtilität selten hinaus. Man muss einen langen Atem haben, um Seite für Seite immer wieder laut losprusten zu können. Deutsche Verlage zurückhaltend Bedauernswert ist, dass ausgerechnet Hafid Bouazza, zweifellos der interessanteste und talentierteste der hier erwähnten Autoren, noch gar nicht auf deutsch erschienen ist, weil ein großer Verlag im letzten Moment das Wagnis scheute - was man allerdings in gewisser Weise auch verstehen kann. Denn erzielen Autoren marokkanischer Abstammung in den Niederlanden fast schon automatisch hohe Auflagenzahlen, mussten deutsche Verlage immer wieder feststellen, dass solcher Erfolg sich nicht ohne weiteres übertragen lässt. Und beim kommerziellen Flop hört für einen Verlag das Interesse an fremden Kulturen endgültig auf. Ilja Braun © 2003, Qantara.de