Wie reformfähig ist das Königreich?

Vergangenes Jahr verkündete König Salman von Saudi-Arabien mit der "Vision 2030" ein umfassendes Reformprogramm. Ziel ist, die saudische Wirtschaft auf eine Zukunft ohne Öl vorzubereiten. Ob das reibungsfrei gelingt, darf bezweifelt werden. Von Nassir Djafari

Von Nassir Djafari

In den vergangenen 70 Jahren hat der Erdölreichtum den armen Wüstenstaat in eine konsumorientierte Rentenökonomie verwandelt. Die saudische Bevölkerung kommt in den Genuss eines Wohlfahrtssystems, ohne nennenswerte Steuern oder Abgaben zu zahlen. Die einfachen Arbeiten verrichten Arbeitsmigranten, während sich die Saudis auf gut bezahlten Posten im öffentlichen Sektor eingerichtet haben. Alle Macht geht von der Königsfamilie aus, die unbeirrt an ihrer absoluten Monarchie festhält. Die Bevölkerung erträgt die politische Unmündigkeit, solange ihr Wohlstand nicht angetastet wird.

Der Reichtum steht jedoch auf wackeligen Beinen, nicht nur wegen des schwankenden Ölpreises. Solange die Einwohnerzahl noch niedrig war, konnte der Staat großzügig Wohltaten verteilen. Mit zunehmender Bevölkerung wird dies schwieriger. Heute leben rund 31 Millionen Menschen in Saudi-Arabien; 1960 waren es noch fünf Millionen.

Gewaltige ökonomische Herausforderung

Mit der "Vision 2030" hat sich die Regierung ehrgeizige Ziele gesetzt. Bis 2020 soll der Nichtölsektor um das Dreifache wachsen. Die Herausforderung ist gewaltig, schließlich generiert Öl bislang 90 Prozent der Staatseinnahmen. Die bislang staatlich dominierte saudische Wirtschaft wird für den Privatsektor geöffnet, um zusätzliches Kapital zu mobilisieren und auch um die Überbeschäftigung im öffentlichen Sektor abzubauen.

Erdölraffinerie im saudischen Dhahran; Foto: picture alliance/dpa
Ehrgeiziges Reformziel: Mit ihrem Wirtschaftsprogramm „Vision 2030“ will die saudische Führung die Abhängigkeit vom Öl beenden. Die Regierung in Riad plant Privatisierungen im großen Stil, darunter den Börsengang des weltweit größten Ölkonzerns Aramco. Durch den Verkauf von fünf Prozent der Anteile sollen 100 Milliarden Dollar eingenommen werden.

Als zukunftsträchtig werden Sektoren wie erneuerbare Energie, Bergbau, Infrastruktur, Transport und Tourismus angesehen. In das Bildungswesen soll dahingehend investiert werden, dass mehr Arbeitskräfte für Tätigkeiten im Nichtölsektor qualifiziert werden. Des Weiteren will die Regierung die Beschäftigung von Frauen fördern, um deren mittlerweile hohes Ausbildungsniveau in Wert zu setzen. Schließlich sollen mehr Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung geschaffen werden. Bereits 2011 war ein System von Quoten, Anreizen und Sanktionen eingeführt worden, mit dem private Unternehmen angehalten werden, vermehrt saudische Arbeitskräfte einzustellen.

Die Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor müssen hingegen deutliche Einschnitte hinnehmen, die Gehälter sind stark gekürzt worden. Des Weiteren sollen die großzügigen Subventionen unter anderem für Strom, Wasser und Benzin massiv gesenkt werden. Die vorgesehene Einführung der Mehrwertsteuer wird zusätzliche Staatseinnahmen generieren. Auf diese Weise soll das sehr hohe Haushaltsdefizit abgebaut werden.

Die fiskalische Konsolidierung wird die ohnehin angeschlagene Wirtschaft bremsen. Einen starken Wachstumsimpuls erwartet die Regierung indessen durch den Verkauf von mindestens fünf Prozent des Aktienanteils des staatlichen Ölunternehmens Saudi Aramco. Wenn überhaupt, dürfte sich diese Transaktion aber erst mittelfristig auf das Wirtschaftswachstum auswirken.

Mohammed bin Salman: Modernisierer und aggressiver Außenpolitiker

Kronprinz Mohammed bin Salman; Foto: dpa/picture-alliance
Härtere außenpolitische Gangart unter Mohammed bin Salman: Der saudische Kronprinz hat den Jemenkonflikt seit seinem Amtsantritt weiter angeheizt. Auch bei der gegenwärtigen Isolation des Golfstaates Qatar, der den Saudis schon lange ein Dorn im Auge ist, wird Mohammed bin Salman nach Expertenmeinungen eine entscheidende Rolle gespielt haben. Nicht nur in Qatar selbst, dem Saudi-Arabien Terrorfinanzierung vorwirft, wird der Kronprinz als Drahtzieher der Blockade gesehen.

Die treibende Kraft hinter der Reformagenda ist Mohammed bin Salman, der 31-jährige Königssohn, den der Herrscher gerade von Platz zwei auf Platz eins der Thronfolge befördert hat. Der künftige König gilt als Modernisierer, steht aber auch für eine aggressive Außenpolitik. Als Verteidigungsminister zettelte er den seit 2015 erbittert geführten Krieg gegen die Huthi-Miliz im Jemen an.

Die "Vision 2030" ist sowohl hinsichtlich der zeitlichen Perspektive als auch des Umfangs der geplanten Veränderungen sehr ambitiös. Jede einzelne Maßnahme mag für sich gesehen ökonomisch rational sein. Das Zusammenwirken der verschiedenen Reformschritte hingegen kann zu einem politisch explosiven Gemisch werden.

Die an Wohlstand gewöhnte saudische Bevölkerung muss sich auf die größten sozialen Einschnitte seit Jahrzehnten einstellen. Zudem werden in der erzkonservativen Gesellschaft gleich mehrere Tabus gebrochen. So bleibt abzuwarten, wie die wahabitische Geistlichkeit reagieren wird, wenn vermehrt Frauen einer Berufstätigkeit nachgehen. Und den Saudis dürfte es schwerfallen, künftig auch Arbeiten auszuführen, die bisher Immigranten erledigten.

Die Kombination aus Sozialabbau, gefühltem Statusverlust und möglichen Interessenkonflikten mit der Geistlichkeit bei zugleich geringem Wirtschaftswachstum könnte bei konsequenter Umsetzung der Reformagenda erhebliche Unruhe in der Bevölkerung auslösen, für das es kein demokratisches Ventil gibt.

Es kann nicht gelingen, die Wirtschaft grundlegend zu reformieren, ohne das erstarrte gesellschaftliche und politische System von seinen Fesseln zu befreien.

Nassir Djafari

© Zeitschrift für Entwicklung & Zusammenarbeit 2017