Diplomatische Eiszeit

Die Beziehungen zwischen den USA und seinem langjährigen Verbündeten Saudi-Arabien stehen derzeit nicht zum Besten. Daran hat auch der jüngste Besuch von US-Präsident Obama in Riad nur wenig geändert. Bernard Haykel, Professor für Nahoststudien an der Princeton University, mit einer Analyse.

Von Bernard Haykel

Saudi-Arabien, die Quelle jeden neunten weltweit verbrauchten Barrel Öls, ist nicht nur eine Stütze der Weltwirtschaft; die Stabilität seiner Regierung ist unverzichtbar für die internationale Ordnung. Sollte die Al-Saud-Dynastie stürzen und das Land sich in rivalisierende Gebiete aufspalten, die von Dschihadi-Gruppen und Stämmen regiert werden, werden sich die Bürgerkriege in Syrien und Libyen dagegen wie unbedeutende Konflikte ausnehmen.

Der Zusammenbruch des saudischen Staates würde rasch in die benachbarten Golfstaaten ausstrahlen und einen Zusammenbruch der Region mit unvorstellbaren humanitären Folgen auslösen. Die USA würden es nicht vermeiden können, militärisch in die Region hineingezogen zu werden, und sei es nur, um die Öl- und Gasvorkommen zu schützen, von denen die Weltwirtschaft abhängig ist.

Eine wichtige Ursache der Verschlechterung der amerikanisch-saudischen Beziehungen ist Obamas Entscheidung, Amerikas Engagement im Mittleren Osten zurückzufahren. In einem langen Interview mit dem Journalisten Jeffrey Goldberg brachte Obama seinen Wunsch zum Ausdruck, dass Saudi-Arabien sich die Region mit dem Iran, seinem Hauptrivalen in der Region, "teilen" möge.

Obama hat eine enorme Menge Zeit und politisches Kapital aufgewandt, um ein Nuklearabkommen mit dem Iran herbeizuführen. Er hofft, dass die Aufhebung der Sanktionen im Austausch gegen das Versprechen des Iran, sein Nuklearprogramm für etwa 15 Jahre ruhen zu lassen, den Iran dazu bewegen wird, sein Verhalten zu ändern, ein verantwortlicherer staatlicher Akteur zu werden und seine revolutionäre Agenda und häufige Nutzung nichtstaatlicher Akteure (darunter terroristischer Gruppen) zur Förderung seiner Ziele aufzugeben.

Verhält sich der Iran so, wie Obama das hofft, dann können die USA ihre Militärpräsenz am Golf verringern. Und sollte die iranische Führung aufhören, den Terrorismus zu fördern, so würde das Obamas Erbe eine weitere wichtige außenpolitische Leistung hinzufügen.

Drohendes Scheitern

Unglücklicherweise – für Obama wie für den Mittleren Osten – ist seine Strategie im Scheitern begriffen. Nun, da Amerika einen weniger starken Schatten wirft, verfolgen Saudi-Arabien und der Iran ihre Interessen auf aggressivere, tatsächlich unverantwortliche Weise.

Barack Obama empfängt König Salman bin Abdulaziz Al Saud am 4. September 2015 in Washington; Foto: picture-alliance/epa/M. Reynolds
Die schwere Krise zwischen Saudi-Arabien und dem Iran stellt die Regierung von US-Präsident Barack Obama vor ein Dilemma. Ein zu harter Ton gegenüber Teheran könnte die Umsetzung des Atomabkommens gefährden und die vorsichtige Annäherung zunichte machen. Andererseits ist das saudiarabische Königshaus ein langjähriger wichtiger Verbündeter in der Region, den die US-Regierung nicht weiter verprellen will.

Der Iran bleibt der wichtigste Unterstützer sowohl des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad als auch der schiitisch geführten Regierung in Bagdad, was das Land zu einem führenden Mitwirkenden an der humanitären Tragödie in beiden Ländern macht, wobei die Mehrzahl der Gewaltopfer sunnitische Araber sind.

Saudi-Arabiens Verhalten hat sich als Antwort auf seine selbst empfundene Preisgabe durch die USA sogar noch drastischer verändert. Die Führung des Königreichs ist überzeugt, dass die Regierung Obama sie nicht mehr unterstützt, und stellt die jahrzehntealte Beziehung in Frage, in der Amerika Saudi-Arabiens Sicherheit im Austausch gegen wirtschaftliche und politische Unterstützung garantierte. Amerikaner in Riad werden immer wieder gefragt, ob Obamas Ansatz eine Ausnahme oder einen dauerhaften Gesichtszug der US-Politik in Bezug auf den Golf darstelle.

Obamas Politik hat das Königreich dazu bewegt, mit seiner langen Tradition von stiller Diplomatie und Manövern hinter den Kulissen zu brechen. Stattdessen agiert Saudi-Arabien nun aggressiv und militaristisch. Es hat die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen, dem Libanon die finanzielle Unterstützung entzogen und einen ergebnislosen, aber verheerenden Krieg im Jemen gegen von ihm als iranische Erfüllungsgehilfen angesehene Kräfte geführt.

Schwieriger Wandel im saudisch-amerikansichen Verhältnis

Zuletzt haben die Saudis gedroht, ihre US-Finanzanlagen abzustoßen, falls der Kongress einen Gesetzesvorschlag verabschieden sollte, der die saudische Führung Gerichtsverfahren wegen der Terroranschläge vom 11. September 2001 aussetzen würde.

Saudische Luftschläge in Jemens Hauptstadt Sanaa; Foto: Getty Images/AFP/M. Huwais
Neue Politik der Härte: Obamas Politik hat das Königreich dazu bewegt, mit seiner langen Tradition von stiller Diplomatie und Manövern hinter den Kulissen zu brechen. Stattdessen agiert Saudi-Arabien nun aggressiv und militaristisch. Es hat die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen, dem Libanon die finanzielle Unterstützung entzogen und einen ergebnislosen, aber verheerenden Krieg im Jemen geführt.

Die Beziehungen zu reparieren wird nicht leicht. Ein Angebot, den Golfstaaten zusätzliche Waffen zu verkaufen, dürfte die regionalen Akteure nur ermutigen und die Situation weiter anheizen. Obama würde vermutlich deutlich mehr erreichen, wenn er stattdessen eine ausdrückliche Zusage abgäbe, dass die USA die GCC-Länder gegen eine Aggression von außen in all ihren Formen verteidigen würden.

Ein derartiger Schritt wäre nichts Neues. Die US-Präsidenten Jimmy Carter und Ronald Reagan haben ähnliche Garantien abgegeben, und Obama würde dieses Versprechen wiederholen und verstärken und dabei zugleich den iranischen Einsatz nichtstaatlicher Akteure berücksichtigen. Eine derartige Erklärung wäre eine Warnung gegenüber dem Iran und würde beträchtlich dazu beitragen, die Ängste des saudischen Königs Salman zu zerstreuen.

Im Austausch könnten die USA Zugeständnisse an der innenpolitischen und regionalen Front erhalten. Amerikas Interessen im Bereich der innenpolitischen Angelegenheiten Saudi-Arabiens haben eine lange Geschichte. Besonders ausgeprägt war das US-Engagement, das bis in die 1990er Jahre reichte, während der Regierungszeiten von John F. Kennedy und Gerald Ford.

Amerika als Schiedsrichter

Das Königreich hat in letzter Zeit eine wichtige Reform seiner Regierung und eine Neustrukturierung seiner Volkswirtschaft in Angriff genommen. Die US könnten darauf bestehen, dass es im Rahmen dieser Bemühungen die politische Rechenschaftspflicht und die Transparenz der Verteilung seiner Einnahmen aus dem Ölgeschäft stärkt.

Die Umsetzung dieser Reformen würde den langfristigen Bestand der Monarchie sichern und die Stabilität des Landes gewährleisten. Die USA könnten die saudische Regierung außerdem dazu bewegen, Verhandlungen zum Iran aufzunehmen und so die Spannungen auf breiter Front – unter anderem im Irak, im Libanon, in Bahrain und im Jemen – zu verringern.

Die Kriege im Irak und in Syrien werden nicht enden, solange der Iran und Saudi-Arabien nicht zu einer Übereinkunft kommen, was eine Mittlerrolle der USA erfordern wird. Falls man zulässt, dass der Mittlere Osten seine aktuelle Entwicklung ohne amerikanische Führung fortsetzt, macht das eine US-Militärintervention höchstwahrscheinlich – und zwar eher früher als später. Vielleicht werden Saudi-Arabien und der Iran eines Tages einen Weg finden, sich den Mittleren Osten zu teilen, aber nur, wenn die USA da sind, um als Schiedsrichter zu agieren.

Bernard Haykel

© Project Syndicate 2016

Aus dem Englischen von Jan Doolan