Begrenzte demokratische Reichweiten

Das Satellitenfernsehen hat die Medienlandschaft im islamischen Raum bereichert. Doch welche Rolle spielen die Medien bei der Demokratisierung der Region? Ein Interview mit Shir Mohammad Rawan

Das Satellitenfernsehen hat die Medienlandschaft im islamischen Raum bereichert und die staatlichen Informationsmonopole gebrochen. Doch welche Rolle spielen die Medien bei der Demokratisierung der Region? Ein Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Shir Mohammad Rawan

Shir Mohammed Rawan, Foto: Arian Fariborz
Shir Mohammed Rawan

​​Glauben Sie dass die Satellitensender ein Katalysator für Demokratisierungsprozesse in der islamischen Welt sein können?

Shir Mohammad Rawan: Ich meine, dass die Medien in der arabisch-islamischen Welt, vor allem nach den Ereignissen des 11. Septembers, sehr wichtig geworden sind. Insbesondere mit der Entstehung der Satellitensender, da sich jetzt viele Menschen und Intellektuelle über diese Medien informieren und sich darüber ihre Meinung bilden.

Trotzdem würde ich ihre Bedeutung nicht überschätzen, so wie das häufig in westlichen Gesellschaften geschieht. Denn wir haben in der islamischen Welt zwei Strukturen von Kommunikationsebenen: einmal die modernen und andererseits die traditionellen Medien. Und diese traditionellen Kommunikationskanäle sollte man nicht außer Acht lassen – so beispielsweise die Moscheen als Ort des Meinungsaustausches oder etwa die Großfamilien, die eine wichtige Rolle bei der Informations- und Meinungsbildung darstellen.

Weitere traditionelle Kommunikationsebenen sind religiöse Einrichtungen oder der Basar. Dennoch nehmen die modernen Medien im Demokratisierungsprozess der Region zunehmend eine wichtige Funktion ein. Ein Beispiel dafür ist, dass vor allem in Satellitensendern wie al-Jazeera, al-Arabiya oder Abu Dhabi TV Fragen diskutiert werden, über die man noch vor zehn Jahren nur im Familienkreis gesprochen hat.

Nicht nur in den Redaktionen staatlicher Fernsehkanäle herrscht aber doch ein stiller Konsens darüber vor, was berichtet werden darf und was nicht. Wie kann man zum Demokratisierungsprozess beitragen, wenn freie Meinungsäußerung und Berichterstattung in den Redaktionen selbst immer noch ein "heißes Eisen" ist?

Rawan: Die Satellitensender stellen für mich eine "dritte Gewalt im Falle der Drittstaaten" dar. Das heißt, dass für Sender wie al-Jazeera zwar Fragen im eigenen Land tabu sind, über regionale und globale Fragen jedoch frei berichtet werden darf.

Nehmen wir als Beispiel die vergangene Präsidentschaftswahl in Tunesien: Nach der Wahl wurde der Präsident – wie so oft in den Ländern dieser Region – mit rund 98 Prozent der Stimmen gewählt. Über diesen Wahlausgang wurde in Sendern wie al-Arabiya sehr ausführlich und kritisch berichtet, dass da etwas nicht stimmen kann.

Indirekt ist das auch ein Signal für diese Länder, dass hier Defizite existieren, dass die Wahlen und das System mit der Realität nichts zu tun haben – obgleich die inländischen Sender nicht darüber berichten durften. Jedoch sollte man hierbei nicht zu weit gehen und sagen, dass die Medien die gleiche Funktion wahrnehmen wie im Westen. Doch allein über kritische Fragen berichten zu können, ist meiner Meinung nach schon eine positive Entwicklung.

Aber unterliegen die regionalen Satellitensender wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeiten nicht der politischen Einflussnahme und Kontrolle durch die Machthaber? Beispiel al-Jazeera - ein Sender, der vom Emir aus Qatar finanziert wird und über alles berichten darf, außer über die innenpolitischen Zustände im Emirat?

Rawan: Das stimmt. Deshalb sage ich auch, dass diese Fernsehmedien noch keine dritte Gewalt im Staat darstellen, sondern nur im Falle der Drittstaaten. Das heißt, dass Themen des eigenen Landes tabu sind. Dagegen darf über Themen aus den Nachbarstaaten, über regionale und globale Ereignisse frei berichtet werden. Al-Jazeera ist kein völlig unabhängiger Sender, es ist ein Sender, der bestimmte politische Konzessionen in Kauf nehmen muss.

Al-Jazeera steht derzeit auch im westlichen Ausland im Kreuzfeuer der Kritik. Der Sender würde durch reißerische Entführungsbilder im Irak oder Videobotschaften von Bin Laden das Phänomen des islamischen Extremismus in der Region fördern …

Rawan: Natürlich sollten hinsichtlich dessen, was gesendet werden sollte, ethische Maßstäbe angelegt werden. Ich kenne die Kritiker aus den Reihen der US-Regierung, die al-Jazeera als Propagandasender der Terroristen betrachten.

Ich sehe das nicht so. Man muss hier differenzieren. Es darf zwar aus ethischen Gründen nicht alles kommentarlos gesendet werden.

Aber gleichzeitig kennen wir auch Beispiele aus dem Irak-Krieg, wo al-Jazeera kritisiert wurde, weil der Sender getötete amerikanische Soldaten zeigte. Doch davor hatte z.B. CNN in einer sehr erniedrigenden Art und Weise gefangene irakische Soldaten gezeigt, was auch nicht mit den Genfer Konventionen übereinstimmte.

Man sollte hier also nicht mit zweierlei Maß messen. Wenn man einem Sender erlaubt, Bilder zu zeigen, und anderen Sendern dieses Recht abspricht, kommt das beim Publikum und der Bevölkerung nicht gut an.

Nun bietet das heutige regionale Satelliten-TV in der islamischen Welt eine Fülle von modernen Programmangeboten - angefangen bei religiösen Talk-Shows bis hin zu Soap-Operas und Musiksendungen. Stellen diese Unterhaltungsprogramme nicht ein Spiegelbild oder sogar einen reinen Abklatsch westlicher Medienwelten dar? Und dienen sie nicht – genau wie im Westen – vor allem der Unterhaltung, anstatt der seriösen Informationsverbreitung und Bildung?

Rawan: Das ist richtig. Inzwischen wurde durch die Globalisierung der Medien und die Entstehung der Satellitensender das staatliche Rundfunkmonopol in der islamischen Welt gebrochen. Die Programme wurden vielfältiger. Unterhaltung spielt im Fernsehen daher heute eine bedeutendere Rolle.

Hinzu kommt das Internet, über das es inzwischen einige Untersuchungen in der arabischen Welt gibt. So hat man angenommen, dass das Internet in solchen Ländern, wo keine Meinungsfreiheit herrscht, verstärkt genutzt wird. Jedoch stellte man fest, dass die Menschen dort das Internet mehr als Medium der Unterhaltung und der sozialen Kontakte genutzt haben, aber viel weniger als Plattform für politische Information.

Das bedeutet, dass die Menschen – genau wie im Westen – die Medien primär als Unterhaltungsinstitutionen sehen und weniger als Informationsfläche. Es ist auch wahr, dass viele Sender der islamischen Welt versuchen, westliche Programmformate zu kopieren, um Einfluss beim Publikum zu gewinnen.

Das ist sehr bedenklich, da es sehr viele Themen und kulturelle Eigenheiten in den jeweiligen Gesellschaften der Region gibt, die sich an ihrer Tradition, Geschichte und Gegenwart orientieren und die von diesen westlichen TV-Formaten überhaupt nicht berücksichtigt werden.

Interview: Arian Fariborz

© Qantara.de 2004

Dr. Shir Mohammad Rawan ist Kommunikationswissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Forschungsgebiete sind u.a.: Globalisierung und Medien und deren Rolle im Dialog zwischen islamischen und westlichen Ländern sowie moderne und traditionelle Kommunikation in der islamischen Welt, insbesondere in Afghanistan, Iran und Pakistan.