Die Puppen brennen wieder

Die Erhebung Salman Rushdies in den Ritterstand hat in muslimischen Ländern zu diplomatischen und öffentlichen Protesten geführt. Diese Rituale orientieren sich nicht unbedingt an der Realität. Von Angela Schader

Proteste gegen die Erhebung Salman Rushdies zum Ritter durch die englische Königin; Foto: AP
Brennende Puppen bei Protesten in Pakistan gegen die Erhebung Salman Rushdies in den Ritterstand durch die englische Queen

​​Und einmal mehr ist es so weit: In Pakistan und anderen islamischen Ländern protestieren Menschen gegen die Erhebung Salman Rushdies in den Ritterstand, von denen man annehmen darf, dass längst nicht allen das Privileg geschenkt ist, Bücher zu erwerben und zu lesen, ihre Meinungen auf differenzierte Berichterstattung zu bauen und die immer komplexeren Hierarchien und Verhältnisse im "global village" zu überschauen.

Und in Grossbritannien reibt sich das für die Nominierung des Schriftstellers verantwortliche Komitee verwirrt die Augen und gibt zu Protokoll, mit solchen Konsequenzen gar nicht gerechnet zu haben.

Einmal mehr springen Intellektuelle hüben für die Freiheit des Wortes, der Kunst und der Gesellschaft in die Bresche, während sich drüben der ohnmächtige (und von den dortigen Machthabern gern instrumentalisierte) Volkszorn im Verbrennen von Stoffpuppen und in hasserfüllten Parolen Luft macht.

Geste der Versöhnung?

Welches auch immer die Überlegungen gewesen sein mochten, die zur Verleihung der Ritterwürde an Salman Rushdie führten: Einen expliziten Affront gegen den Islam, wie er der britischen Regierung nun von manchen muslimischen Repräsentanten im In- und Ausland unterstellt wird, darf man nicht dahinter vermuten.

Ein Land, das bereits - und von innen heraus - von der Geissel des islamistischen Terrors getroffen wurde und das die mühsame Gratwanderung zwischen einer verschärften Überwachung der Muslime und überzeugenden Integrationsbemühungen auf sich nehmen muss, wird sich solch unnötige Provokationen mit Sicherheit nicht leisten.

Re-Integration in den britischen Geisteskosmos?

Eher könnte man in der Ehrung des Schriftstellers den Versuch sehen, ein über lange Zeit gespanntes Verhältnis in Minne aufzulösen. Als Rushdie im Jahr 2000 seinen Wohnsitz von London nach New York verlegte, fielen seitens des Schriftstellers wie auch der britischen Medien giftige Worte:

Man verübelte Rushdie sein quirliges Gesellschaftsleben in den USA, man rechnete die enormen Kosten auf, welche die britische Regierung über Jahre für den Schutz des Autors aufgewendet hatte, und empörte sich über seine mangelnde Dankbarkeit; während Rushdie sich seinerseits über genau dieses Aufrechnen, diese Erwartungen irritiert zeigte.

Es wäre durchaus vorstellbar, dass mit dem Ritterschlag nun ein Autor wieder in den britischen Geisteskosmos integriert werden soll, dessen Schaffen für die fruchtbare Commonwealth-Literatur wegweisend war.

Dem gegenüber steht die Aussensicht, welche Rushdies Eintritt in die Aura des British Empire als eine Art Apotheose des Bösen und Feindseligen wahrnimmt.

Da gilt es wenig, dass der Glanz des Empire - objektiv betrachtet - ebenso angestaubt ist wie die Geste des Ritterschlags; denn in Salman Rushdie glaubt man den bewährten Erz-und Urfeind des Islams zu sehen, und in Grossbritannien immerhin das Land, welches sich im "Krieg gegen den Terror" - bis hin zum verhängnisvollen Einmarsch in den Irak - am bedingungslosesten an die Seite der USA gestellt hatte.

Sozusagen auf der Silberplatte serviert liegt hier ein weiterer vergifteter Happen bereit, mit dem sich - in bewährter Umkehr der "Achse des Bösen" - das muslimische Ressentiment gegen den Westen nähren lässt.

Die Qual des Glaubenszweifels

Bald zwanzig Jahre sind seit der Veröffentlichung der "Satanischen Verse" vergangen. Als die "Geschichte von zwei schmerzlich zerrissenen Ichs" hatte Salman Rushdie den Roman konzipiert: Während der eine der Protagonisten zwischen Ost und West, zwischen Bombay und London hin und her gezerrt ist, stürzt der andere in die spirituelle Unbehaustheit, "hängt in der Luft zwischen seinem immensen Bedürfnis zu glauben und seiner neuen Unfähigkeit dazu".

Der quälende Glaubenszweifel wird im Roman auf differenzierte und im Tiefsten ernsthafte Weise verhandelt; an der Erzähloberfläche aber hat ihn Rushdie in Travestien umgesetzt, die von ungeübten Lesern - und erst recht von jenen gläubigen Muslimen, die das Buch einzig aus verkürzten und entstellenden Beschreibungen kennen - leicht als Blasphemie verstanden werden können.

Doch nicht diese Leserschaft hatte Rushdie mit seinem komplexen und beziehungsreichen Roman im Auge gehabt; ironischerweise konfrontierte er vielmehr das westliche Publikum in den "Satanischen Versen" mit Fragen, die im hiesigen, säkularisierten Kontext längst bewältigt schienen - und die erst mit den muslimischen Protesten gegen den Roman wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten.

Voraussicht?

Wäre es abwegig, etwas von der Zerrissenheit, die Rushdie seinen beiden Protagonisten auferlegt hat, auch in den Selbstmordattentätern Mohammed Atta und Shahzad Tanweer zu sehen - jungen Männern im Sportdress oder Strassenanzug, aber mit einem tiefen Hass auf "den Westen" im Herzen?

Die inneren Konflikte und Spannungen jedenfalls, mit denen man solche undurchsichtigen Psychogramme heute zu erklären sucht, hat Rushdie in den "Satanischen Versen" zu einem bemerkenswert frühen Zeitpunkt in den Blick gefasst, und man wünschte, er hätte sein Werk auf diesem Niveau fortgeschrieben.

"Ich beneide einen Mann mit derartigen literarischen Fähigkeiten", sagte der iranische Politiker Muhammad Jawad Larijani 1995 über Salman Rushdie. "Ich wünschte, er würde diese gewaltige Energie brauchen, um zwischen den Kulturen Brücken zu bauen, statt sie zu sprengen."

Rushdie selbst hat sich zweifellos - auch - als Brückenbauer verstanden; davon legt sein Erzählband "Osten, Westen" ("East, West", 1994) ein inhaltlich wie literarisch beredtes Zeugnis ab.

Mittlerweile freilich sind Worte wie "Dialog" und "Brückenschlag" im Verhältnis zwischen islamischer und westlicher Welt so häufig (und offenbar ohne grossen Nutzen) bemüht worden, dass man sich für solche Ideale beinah zu genieren beginnt.

Doch derweil spinnen jene anderen, verstohleneren Brückenbauer weiter an dem losen Netz, welches militante islamistische Zellen weltweit verbindet; und deshalb wird England dem Tag, da der eigenwillige verlorene Sohn zurückkehrt, um die ritterliche Weihe zu empfangen, nicht ohne Sorge entgegensehen können.

Angela Schader

© Neue Zürcher Zeitung 2007

Qantara.de

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