Der andere politische Islam

Die Muslimbrüder sind nicht die einzigen Akteure im Spektrum des politischen Islam in Ägypten. Unter Mubarak wurden die Salafisten im Vergleich zur Muslimbruderschaft oft als apolitisch klassifiziert. Doch der Militärputsch wird die Entwicklung islamistischer Gruppierungen nachhaltig beeinflussen. Von Hazim Fouad

Von Hazim Fouad

Seit dem Sturz Mursis durch das Militär am 03.07.2013 erscheinen fast stündlich politische Analysen, Berichte und Kommentare, die sich mit möglichen Zukunftsszenarien in Ägypten befassen. In mehreren Artikeln wird die Notwendigkeit einer politischen Einbindung der Muslimbrüder betont, um einer möglichen Radikalisierung ihrer Anhänger entgegenzuwirken.

Die Muslimbrüder sind jedoch nicht die einzigen Akteure im islamistischen Spektrum. Die Salafisten haben bei der Parlamentswahl 2011 den zweithöchsten Stimmanteil bekommen. Dadurch haben sie unter Beweis gestellt, dass sie politisch ernst genommen werden müssen. Ob und inwieweit sie aus der aktuellen Situation Kapital schlagen können, wird sich spätestens bei den nächsten Wahlen zeigen.

Dabei bilden auch die Salafisten keinen einheitlichen Block, sondern stellen mittlerweile mit über zehn Parteien und vielen weiteren Bündnissen eine äußerst heterogene Bewegung dar. Grob unterteilen lässt sich die Szene in drei Strömungen: Zunächst gibt es die nach wie vor größte salafistische Partei al-Nur sowie ihr nahestehende Prediger. Daneben agieren die ehemals gewaltsamen Gruppen al-Jama'a al-Islamiyya und al-Jihad und ihre politischen Parteien. Letztlich existiert noch das gewaltbefürwortende Spektrum der Jihadisten um Ahmad Aschusch und Muhammad al-Zawahiri, dem Bruder von Ayman al-Zawahiri.

Anfängliche Verhaltenheit

Seit dem Sturz Mubaraks - und dem Sturz der Muslimbrüder von den Schaltstellen der politischen Macht - sind Ägyptens Salafisten politisch auf dem Vormarsch: Salafistenprediger Emad Abdul Ghaffur gründete 2013 die Al Watan-Partei. Sie ist eine Abspaltung der Partei "Al Nur".

Unter Mubarak wurden die Salafisten im Vergleich zur Muslimbruderschaft oft als apolitisch klassifiziert. In der Tat äußerten die wenigsten direkte Kritik am Regime; dies aber wohl aus dem Grund, allzu harte Repressalien zu vermeiden. Bei Beginn des Volksaufstandes Anfang 2011 zeigten sich bekannte Shaykhs wie Muhammad Hassan, Abu Ishaq al-Huwayni oder Muhammad Husayn Yaqub sehr verhalten und ergriffen erst Partei für die Aufständischen, als der Fall Mubaraks unmittelbar bevorstand.

Weder die genannten Prediger noch die 2011 gegründete salafistische Partei al-Nur (Partei des Lichts), die aus der in Alexandrien beheimateten Bewegung al-Dawa al-Salafiyya hervorgegangen ist, suchten während der Interimsphase die Konfrontation mit dem Militär. Im Gegenteil, während die jugendliche Opposition immer wieder mit der Armee gewaltsam aufeinanderprallte, pries Shaykh Hassan die Rolle der Armee als Garant für Stabilität.

Auch mit dem Regime der Muslimbrüder schien sich die Mehrheit des salafistischen Spektrums schnell zu arrangieren. Dennoch blieb das Verhältnis ambivalent und es gab zwischen beiden Parteien immer wieder Reibereien. Während zum Beispiel prominente Salafisten wie Yassir Borhami die umstrittene Verfassung als positiven Schritt in Richtung Stabilität betrachteten, traf sich im Januar 2013 eine Delegation der al-Nur-Partei mit der Nationalen Heilsfront, dem bis dato größten politischen Bündnis der Opposition. Und während Prediger wie Muhammad Abdul Maqsud auf der von Präsident Mursi initiierten Konferenz anlässlich des „Jihads in Syrien“ die Opposition als „Ungläubige“ bezeichneten, beschrieb der Präsident der al-Nur-Partei Younis Makhyoun den Vorfall als „Skandal“.

Wo steht die al-Nur-Partei?

Das islamistische politische Spektrum Ägyptens ist nicht grade übersichtlich: So wie die Muslimbrüder bilden auch die Salafisten keinen einheitlichen Block, mittlerweile gibt es über zehn salafistische Parteien. Derweil sind Ägypter auch in Deutschland besorgt um die Demokratisierung ihres Landes, nachdem der gewählte Präsident des Landes gestürzt wurde.

Zu Anfang der Proteste des 30. Juni schien al-Nur für keine der beiden Seiten Partei ergreifen zu wollen. Mit Ankündigung des Ultimatums der Armee schlug sich die Partei jedoch auf die Seite der Opposition und ist nun Teil der Kommission zur Erarbeitung einer politischen Roadmap. Nachdem sie seit den gewaltsamen Zusammenstößen vor der Republikanischen Garde in Kairo Anfang Juli wieder auf Distanz zum Militär geht, scheint sie nun eine Vermittlerrolle zwischen den Konfliktparteien einnehmen zu wollen.

Insgesamt scheinen sich also die Partei und die Mehrzahl ihrer Anhänger mit den jeweils herrschenden Machtverhältnissen arrangieren zu wollen. Dass sie sich am 03. Juli nicht auf die Seite der Muslimbrüder, sondern auf „die Seite des Volkes“ geschlagen hat, könnte ihr bei den nächsten Wahlen zu Gute gehalten werden.

Al-Jama'a al-Islamiyya bzw. ihre Partei Hizb al-Bana' wa-l-Tanmiyya (Partei für Aufbau und Entwicklung) war zu den Parlamentswahlen 2011 zusammen mit al-Nur noch Teil der „Islamischen Allianz“ gewesen. Mittlerweile scheint sie jedoch den Muslimbrüdern näher zu stehen. Nicht ohne Grund wurde ein Mitglied der Partei im Juni zum Gouverneur von Luxor ernannt. Auch bei den gegenwärtigen Protesten blieb sie bis zum Schluss auf der Seite der Muslimbrüder.

Al-Jama'a al-Islamiyya hatte Ende der 1990er Jahre der Gewalt abgeschworen und mehrbändige Traktate, die so genannten „Muraja'at“ (Revisionen), verfasst, in denen sie die Illegitimität von Gewalt religiös-ideologisch begründete. Sollte die Gruppe aufgrund von Frustration über politische Exklusion den Weg der Gewalt erneut aufnehmen, wäre dies eine fatale Entwicklung.

Vom Regen in die Traufe

Die verschiedenen Gruppierungen des politischen Islams lassen sich schlecht auf einen Nenner bringen. Während die Nur-Partei sich hinter die übrigen Oppositionsparteien gestellt hat, bleibt die Jama'a al-Islamiyya auf der Seite der Muslimbrüder. Unterdessen bleibt die Befürchtung, dass sich die Jama'a al-Islamiyya und ihr Parteiableger aufgrund fehlender Einbindung in das politische Geschehen wieder der Gewalt zuwenden könnten.

Das jihadistische Spektrum hatte bisher jegliche politische Partizipation abgelehnt und die Regierung Mursis sowie die Verfassung als „unislamisch“ gebrandmarkt. Außerdem kritisierten sie das Einsetzen der Armee durch Mursi gegen Jihadisten auf dem Sinai.

Auf arabischsprachigen Blogs wird nun berichtet, es sei im jihadistischen Spektrum eine Fatwa erlassen worden, welche den Kampf gegen die Opposition, das Militär und die Polizei für erlaubt erklärt und den Aufstand gegen Präsident Mursi verbietet.

Die Muslimbrüder werden sich wohl trotzdem kaum mit den Jihadisten solidarisieren. Der jihadistische Diskurs über die Notwendigkeit von Gewalt zur Änderung politischer Umstände könnte bei einer völligen Exklusion der Muslimbrüder jedoch mittelfristig an Attraktivität gewinnen.

Hazim Fouad

© Qantara.de 2013

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

Hazim Fouad hat Nahoststudien in Bochum, Kairo und London studiert. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Senator für Inneres und Sport in Bremen.