Der Blitz trifft unsere Tage

Literatur aus dem Oman ist in Deutschland weitgehend unbeachtet. Jetzt hat der Verlag Hans Schiler einen zweisprachigen Band mit Gedichten von Saif ar-Rahbi vorgelegt. Volker Kaminski hat ihn gelesen.

Saif ar-Rahbi; Foto: Samuel Shimon
Der omanische Lyriker Saif ar-Rahbi

​​Saif ar-Rahbi ist in der literarischen Welt kein Unbekannter. Seit den achtziger Jahren veröffentlicht er in regelmäßiger Abfolge Lyrikbände in arabischer Sprache. Einige Gedichte wurden ins Englische übersetzt und in der in London erscheinenden Literaturzeitschrift "Banipal" veröffentlicht.

Dem deutschen Leser ist bislang nur eine kleine Auswahl in Anthologien zur arabischen Dichtung zugänglich. Nun hat der in Berlin ansässige Verlag Hans Schiler einen Band mit 44 Gedichten unter dem Titel "Das Heulen der Wölfe" vorgelegt, der einen Querschnitt durch das lyrische Schaffen des Autors aus dem Oman bietet. Die vorliegende Auswahl ist zweisprachig gestaltet: links jeweils der arabische Text, rechts die deutsche Übersetzung.

Groß ist das Spektrum an Themen, das Saif ar-Rahbi behandelt: Einsamkeit, Flucht, Krieg, Reisen, Erinnerung an die Heimat, Leben im Exil und in der Wüste. Oft fühlt man sich in die Welt des Traums versetzt.

Das lyrische Ich schildert sinnliche Eindrücke, die manchmal das Phantastische streifen, und stellt ungewöhnliche gedankliche Verknüpfungen her. Viele Gedichte sind geprägt von einer eindringlichen, bisweilen unheimlichen Stimmung.

Saif ar-Rahbi
wurde 1956 in Oman geboren. Er studierte in Kairo und lebte später u.a. im Libanon, in Syrien, Bulgarien, Holland und Frankreich. 1990 kehrte er in den Oman zurück. Er ist Chefredakteur der omanischen Kulturzeitschrift
"Nizwa".Auffällig ist der starke Bezug auf die Natur- und Tierwelt. Immer wieder ist von Schlangen, Füchsen, Wölfen, Kamelen oder von Bäumen, Schluchten, Felsen die Rede, doch besteht bei aller Bildhaftigkeit ein hohes Maß an gedanklicher Abstraktheit, fremdartige, kryptische Gedankengänge entziehen sich oftmals hartnäckig dem Verständnis.

Schwer zu entschlüsseln ist zum Beispiel die "Kopfdrehung eines Wolfes, an dessen Lachen ich die Auswanderung der Ahnen erkenne", oder "Adern", die sich "auf die Augen eines Hungrigen verteilen, den ein Protestschrei davonträgt".

Auch hat man zu knabbern an "verwundete(n) Schlangen, die sich unsicher durch das Gedächtnis des Winters bewegen". Was sind "Wege, die für das Schweigen am schwersten zu gehen sind"? Vergleiche wie der folgende finden sich zahlreich bei ar-Rahbi: "die Mittagsglut, die mit dem Blindenstock an die Türen der Sehnsucht pocht". Derartiges wirkt geschwollen und unangenehm prätentiös.

Schwieriger Zugang

Obwohl es sich überwiegend um kurze Prosagedichte von nur ein oder zwei Seiten handelt, lässt sich ihr Inhalt oft nur schwer erfassen. In langen, manchmal kompliziert verschachtelten Sätzen werden Gedanken, Gefühle, Erinnerungen wiedergegeben, deren Gehalt wie verschlüsselt wirkt.

Obwohl die meisten Gedichte knappe Titel tragen wie "Ankunft", "Liebe", "Rückkehr", "Der Schrei", "Herbst", "Gebet", "Wüste", findet man wegen der eigenwilligen Hermetik des Ausgedrückten schwer Zugang. Das Pathos der Bildsprache befremdet denjenigen Leser, der an westeuropäische Lyriktraditionen geschult ist.

Zu dick aufgetragen scheint ein Bild wie das folgende: "ein Hammer, der in die Goldmine dringt, um in den Tiefen ihren glühenden Speichel zu schlürfen". Dies ist in einem Liebesgedicht zu finden.

Freilich ist zu berücksichtigen, dass Lyrik sich nicht oder nur unzureichend in eine andere Sprache übersetzen lässt; außerdem dürfte die kulturelle Differenz zwischen arabischer und europäischer (Literatur-)Welt ein unterschiedliches Sprachempfinden bedingen.

Irgendwo ein Hoffnungsschimmer

Trotzdem gibt es in der Sammlung einige Gedichte, die einen starken Eindruck hinterlassen und den Leser berühren. Gedichte, in denen das Rätselhafte zum Zauber wird.

In dem Gedicht "Rückkehr" z.B. schildert das lyrische Ich das Heimkommen als einen von Angst und Zaudern geprägten Vorgang; während über Vergangenheit und Zukunft reflektiert wird, blitzt irgendwo ein Hoffnungsschimmer auf:

"Endlich kehr’ ich zurück/nachdem ich auf den Straßen all meine Tränen/für ein Brot/oder für eine Erinnerung eingetauscht habe/So erwacht meine alte Angst/vor dem Wehen des ersten Schritts/vor der Pracht der Mütterlichkeit und der Willkür/der Väterlichkeit/…/Ich werde sie tragen mit ihren tausend Spiegeln/ihren Straßen, ihrem Verrat und ihrem Zauber/bis eine Sternschnuppe mir auf den Kopf fällt …"

Eine fremde Welt

Um ar-Rahbi zu lesen, müssen wir uns bereitwillig auf die Bilderwelt des Autors einlassen. Er bietet uns eine Welt, die wir nicht kennen, mit fremdartigen Geräuschen, ungewöhnlichen Weltausschnitten und rätselhaft verschlüsselten Gedanken.

​​Die schon erwähnte Nähe zu traumartigen Vorgängen führt zu schnellen Wechseln der Schauplätze, ein dauerndes Verwandeln der Dinge. Vieles wird nur kurz angedeutet, wirkt wie gehaucht, wie eine sekundenlang aufblitzende Erinnerung. Anderes dagegen erscheint uferlos, unlösbar, albtraumartig und zeugt von einer Todesnähe, die fast immer zu spüren ist.

Das längste Gedicht in diesem Band trägt den Titel "Seit sechsundzwanzig Jahren" und enthält auf sieben Seiten so etwas wie ar-Rahbis Grundaussage, ein Resümee seines Lebens:

Der Beobachter sitzt auf seinem Balkon und verfolgt bei einem Glas Wein die endlos gleichen Bewegungen des alltäglichen Lebens; dabei kreisen seine Gedanken um dramatische Ereignisse seiner Flucht, wandern zurück in die längst aufgegebene Heimat und vermischen sich auf raffinierte Weise mit den Bildern der Stadt, in der er jetzt lebt.

"Die Tavernen öffnen/(du siehst zu, wie der Kellner die Tische abwischt/im dämm’rigen Hurenlicht)/und die Angestellten strömen zusammen/auf Plätzen und in den Büros/die Arbeiter auch/die Priester und die Ertrinkenden/die weder Karawane/noch Führer brauchen."

Obwohl die Sprache ruhig, unaufgeregt und fast spröde bleibt, transportiert sie Ungeheures, schwer zu Benennendes in gewagten Bildern und streift so das Unsagbare. Ar-Rahbi versenkt sich tief in die Gegenstände der von ihm beschriebenen Welt. Er ist, wie sein Herausgeber Khalid Al-Maaly im Nachwort schreibt, "ein meditativer Dichter."

Volker Kaminski

© Qantara.de 2007

Saif Ar-Rahbi: Das Heulen der Wölfe. Aus dem Arabichen von Khalid Al-Maaly und Heribert Becker. Verlag Hans Schiler; Paperback, 140 Seiten. 19.00 €

Qantara.de

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