Die Verdunkelung der Emotionen

Im Unterschied zu ihren amerikanischen Vorbildern musiziert die iranische Progessive-Rock-Band Dash im Keller oder im Ausland. Trotz der rigiden Politik der Zensurbehörde erreicht sie ihre Fangemeinde - im Internet. Alessandro Topa besuchte die Band in Teheran.

Von Alessandro Topa

Die soziopolitische Realität des Iran scheint so komplex geworden, dass die kreative Speerspitze des Underground-Rock in den Skeptizismus flieht: Anstatt sich der Gefahr des politischen Irrtums auszuliefern, singen Dash über ein sich selbst undurchsichtiges Ich. Dieses ist männlich, steckt in einem melancholie-gestählten Progressive-Rock-Körper und hat mörderische Probleme mit Frauen. Mit seinen rotblonden Locken sieht Maani ein wenig aus wie der britische Schlagzeuger Ginger Baker, als er Ende der 1960er Jahre bei der Rockband The Cream trommelte.

Der 26-Jährige ist Gitarrist der Teheraner Progressive-Rock-Band Dash und nicht willens, in Songtexten politischen Verallgemeinerungen Raum zu geben. Schon die Sorgen Gleichaltriger in Südteheran seien ihm ja vollkommen fremd, sagt er. "Ich verstehe kaum, was in meiner Stadt sozial vor sich geht, wie soll ich da zu allgemeinen politischen Aussagen gelangen?"

Er findet es daher gut, bloß seine "ureigensten Gefühle und Gedanken" zum Ausdruck zu bringen, wie es Babak, der Sänger der Band, mache: "Da kann wenigstens keiner kommen und sagen: Das stimmt nicht!" Der Schlagzeuger Milad fummelt derweil am Mischpult, nimmt seine Drumsticks aus dem Mund und sagt: "Ich finde nicht, dass es in unserer Musik nur darum geht. Es geht um das Scheitern einer Beziehung. Und das ist letztlich etwas Soziales, oder?" Siavash ist ein Jahr älter als seine Bandkollegen und schweigt, ein eloquentes Bassisten-Schweigen.

Geografische Zerrissenheit

Die iranische Rockband DASH während einer Diskussion; Foto: Philippe Frese/DW
Trifft die Stimmungslage und das Lebensgefühl vieler Jugendlicher in Teheran und anderen iranischen Metropolen: die Rockband "Dash" während einer Diskussion

Die Band probt zwischen zwei Stadtautobahnen in einem kleinen Gewerbegebiet im Nordosten Teherans. Der winzige Raum im Keller einer Baufirma ist ein schlechter Ort, um den Unterschied zwischen dem Sozialen und dem Politischen zu präzisieren oder die politisch-unvermittelte Selbstgewissheit eines - keinesfalls transzendentalen, sondern doch eher männlichen - Subjekts anzuzweifeln. Bevor die Probe losgeht, schnappen die Jungs noch einmal schnell frische Abgase: Tausende von Autos wälzen sich Stoßstange an Stoßstange eine riesige schiefe Ebene herauf, die von einem grau-rosa Dämmerlicht und dem gigantischen Elburzgebirge im Norden umschlossen wird.

In den Hochhäusern ringsherum gehen die Lichter an. ​​ Seit bald sechs Jahren spielen Dash zusammen, doch seitdem Sänger Babak, 26, nach Australien gegangen ist, um sein Studium der Materialwissenschaften abzuschließen, und Multiinstrumentalist Makhan, 23, in Europa weilt, hat sich die Arbeitsweise der Band drastisch verändert, berichtet der IT-Ingenieur Milad am Laptop: "Hier sind die Click-Tracks mit Tonspuren von der Platte. Wir hören also Rhythmusinformationen und spielen zu den grundlegenden Parts unseres Sängers und Gitarristen. So können wir das Proben zumindest simulieren."

2008 waren Dash auf dem Osnabrücker Morgenland-Festival zu sehen. Eine der seltenen Anlässe, bei der die Band wieder zusammenfindet. Seitdem sie ihr Album "Si" auf ihrer Website zum Download freigegeben haben, konnten sie nicht mehr in voller Besetzung spielen.

Psychedelische Ästhetik

Das leidige Thema lockt sogar Siavash aus der Reserve: "Im Iran können wir momentan weder etwas Neues ausprobieren noch unsere CD vermarkten." Neben dem fundamentalen Medium Internet ist Mundpropaganda das einzige Marketingwerkzeug, das der iranische Underground kennt. "Bei den 20- bis 30- Jährigen kommen wir dennoch sehr gut an", vermeldet Webmaster Milad. Die Statistiken der Website scheinen dies zu bestätigen, ebenso der zweite Platz beim virtuellen Musikfestival des Online-Magazin "Tehran Avenue". Dash treffen die Stimmung vieler Jugendlicher.

Dennoch haben Dash gar nicht erst versucht, beim Ershad-Ministerium für Kultur und islamische Führung die diversen Genehmigungen für die Veröffentlichung einer CD zu bekommen. Denn die Zensurbehörde legt ihren Entscheidungen nicht nur sittlich-religiöse und politische Kriterien zugrunde, sondern auch ästhetische.

Live-Konzert der Rockband Dash in Osnabrück; Foto: Philippe Frese/DW
"Die Heroen von Dash sind granitharte US-Bands wie Tool und Perfect Circle, deren Songs wie Schrägseilbrücken in die Hölle ragen": Konzertauftritt auf dem Morgenlandfestival Osnabrück 2008

Ob die Kulturwächter sich tatsächlich auf Sure 31, Vers 6 des Koran beziehen, wo Menschen "schmähliche Pein" angedroht wird, wenn diese andere durch "ergötzende Unterhaltung" vom "Weg Gottes abirren lassen", ist insofern sekundär: Eine Band, die so harte, teilweise psychedelische Musik mit vertrackten Rhythmen wie Dash macht, kommt allein aufgrund ihrer ästhetischen Präferenzen gar nicht erst auf die Idee, den Behördengang zu wagen. "Obwohl wir unpolitisch sind und es unser Markenzeichen ist, persische und westliche Elemente zu verbinden, hätten wir keine Chance", sagt Maani.

Musizieren mit Genehmigung

​​ Dash sind in sechs Jahren vier Mal aufgetreten. Bei Privatkonzerten und in der staatlichen Teheraner Uni. "Das ist über fünf Jahre her", rechnet Milad nach. "Nein, das war doch 1383!", sagt Maani. Wie auch immer: Damals coverten sie noch Stücke von Nirvana, Radiohead und den Red Hot Chili Peppers. 2008 habe man dann im Rahmen einer Unesco-Veranstaltung mit zehn anderen Bands im Park des Sadabad-Palastes spielen sollen, schaltet sich Siavash ein. "Alles war klar, es gab sogar schon Programmhefte. Aber dann verbot die Musikervereinigung die Konzerte."

Mit der Begründung, es sei keine traditionelle persische Musik. Sowohl die persische Folkloremusik als auch die - ursprünglich höfische - Kunstmusik sind im Iran seit 1979 konsequent als kultureller Gegenentwurf wider die westliche Musik der Schahzeit gepflegt worden. Unter dem reformorientierten Präsidenten Chatami konnten sich dann auch Musikstile jenseits der Tradition ihren Platz im Musikleben zurückerobern. Vieles, was heute geht, war vor zehn Jahren unvorstellbar. "Meine Schwester musste immer eine Genehmigung bei sich tragen, wenn sie mit ihrem Gitarrenkoffer vor die Tür ging", erinnert sich Milad.

Die Verdunkelung der Emotionen

Iranische Rockband Dash; Foto: Samira Nikaeen
Proben im Untergrund zwischen zwei Stadtautobahnen im Nordosten Teherans - die iranische Rockband "Dash"

Heutzutage gibt es in Teheran nicht nur Musikgeschäfte, in denen man legal seichte persische Pop-Musik und CDs von Phil Collins kaufen kann; man sieht auch E-Gitarren in Schaufenstern und trifft auf ein lebendiges Konzertleben, das sich im Spektrum von Ethno-Jazz bis hin zu religiöser Propagandamusik bewegt. ​​ So spielte das Tehran Symphony Orchestra im Juli 2009 Werke von George Bizet und Jean Sibelius, um dann im August eine zwölfteilige symphonische Komposition aufzuführen, die - gewiss sehr zur Freude Präsident Ahmadinejads - mit der Wiederkehr des verborgenen Imams endete und die "Philosophie des Mehdismus" propagieren wollte. Die Heroen von Dash sind granitharte US-Bands wie Tool und Perfect Circle, deren Songs wie Schrägseilbrücken in die Hölle ragen.

"Unser Album erzählt von der schrittweisen Verdunklung des emotionalen Zustands eines Typs, der anfangs voller Euphorie glaubt, die Frau seines Lebens gefunden zu haben, und am Ende von Mordgedanken verzehrt wird", fasst Siavash die Philosophie von Dash zusammen. "Unsere Beziehungen entstehen auf einem ungesunden Fundament, entwickeln sich stereotyp und enden so, dass man das Spiel bald hasst", sagt Milad.

Woher das kommt, wissen sie nicht zu sagen. Von der subtilen Hermeneutik des Geschlechterverhältnisses eines Asghar Farhadi in Filmen wie “Darbareye Elly” (About Elly) sind die jungen Technikfreaks weit entfernt. Steigende Scheidungsquoten geben Milads Befund freilich recht: "Relations are fucked up in Iran."

Alessandro Topa

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Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de