Wettlauf mit der Zeit

Deutschland unterstützt die Restaurierung der Altstadt von Herat. Ziel ist es, den Afghanen durch Beiträge zum Erhalt ihrer Kultur ein Stück verloren gegangene Identität zurückzugeben und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aus Herat informiert Britta Petersen.

Schrein Abdullah Ansari in Herat, Foto: Britta Petersen
Seit dem Jahr 2005 finden umfangreiche Restaurierungsarbeiten des Abdullah Ansari-Schreins in Herat statt - ein Bau, der aus timuridischer Zeit stammt.

​​ Der alte Wasserverkäufer mit dem weißen Bart und dem schwarzen Khol um die Augen sitzt wieder dort, wo er immer gesessen hat – am Eingang des Schreins.

Malang nennt man Leute wie ihn in Afghanistan, das heißt so viel wie Sufi, ein islamischer Mystiker. Aber es schwingt auch immer der Verdacht mit, dass es sich eigentlich um Nichtsnutze handelt, Bettler, die sich den Anstrich des Heiligen geben um auf Kosten anderer zu leben.

Das Wasser, das er verkauft, stammt aus einem Brunnen ganz in der Nähe, von dem es heißt, er sei einst aus der heiligen Quelle Zamzam in Mekka aufgefüllt worden.

Erhalt historischer Anlagen

Die Malangs, die traditionell am Schrein des Sufi-Poeten Abdullah Ansari (1006-1088) in Herat leben, hatten es nicht leicht in den letzten Jahren. Seit der "Agha Khan Trust for Culture" (AKTC) 2005 mit der Restaurierung der historischen Anlage begonnen hat, mussten sie immer wieder den Bauarbeiten weichen.

"Wir haben eine ganze Menge Leute rauswerfen müssen", sagt der iranische Architekt Arash Boostani, der das Projekt bis 2008 geleitet hat. Aber jetzt sind sie zurück und der als "Gazurgah" bekannte Schrein-Komplex, der neben dem Grab des Mystikers – eines der wichtigsten Beispiele timuridischer Architektur in der Region – noch weitere bedeutende Baudenkmäler beherbergt, erstrahlt in neuem Glanz. Am 7. Oktober dieses Jahres wurde er offiziell wieder eingeweiht.

Die Restaurierung des "Gazurgah"-Komplexes ist nur eine von zahlreichen Konservierungsmaßnahmen, die das Auswärtige Amt seit 2005 in der westafghanischen Stadt Herat finanziert hat.

Blick über die Altstadt von Herat; Foto: Britta Petersen
Am Kreuzweg verschiedenster Kulturen und Völker: Herat war lange Zeit die Heimat von Persern, Paschtunen, Usbeken, Turkmenen, Balutschen und Hazaras.

​​ Ziel ist es, den Afghanen durch Beiträge zum Erhalt ihrer Kultur ein Stück verloren gegangene Identität zurückzugeben und durch den Wiederaufbau von Kulturdenkmälern Arbeitsplätze zu schaffen. Seit 2002 hat die Bundesregierung zu diesem Zweck 5,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Bereits 2008 wurden die Arbeiten am "Bagh-e Babur", einer elf Hektar großen Gartenanlage am Kabuler Stadtrand, in der erste Moghul-Kaiser Babur begraben liegt, fertig gestellt.

Allein in die Restaurierung des "Ansari"-Schreines aus dem Jahre 1425 und zweier bedeutender Baudenkmäler auf dem Gelände, dem "Zarnegar"-Pavillon aus dem 15. Jahrhundert und dem "Namakdan"-Pavillon aus dem 17. Jahrhundert flossen knapp 400.000 Euro.

"Ohne das Geld aus Deutschland könnten wir hier gar nicht arbeiten", sagt Jolyon Leslie, CEO von AKTC in Herat. AKTC hat 2002 mit der afghanischen Übergangsregierung einen Vertrag zur Restaurierung einer Reihe bedeutender historischer Gebäude unterzeichnet – ist aber auf externe Geldgeber angewiesen.

Dabei ist die Arbeit oft ein Rennen gegen die Zeit. Jolyon Leslie, ein Architekt aus Südafrika, der seit mehr als 20 Jahren in verschiedenen Funktionen in Afghanistan tätig ist und fließend Persisch spricht, schreitet mit großen Schritten über die Mauern der Zitadelle von Herat ("Qala Ikhtyaruddin") – ein weiteres Baudenkmal, an dessen Erhalt Deutschland beteiligt ist.

Herats Bausünden

"Sehen Sie diesen Betonklotz dort?" fragt er und zeigt über die weitgehend intakte Altstadt von Herat. Aus dem Meer von Lehmgebäuden ragen hier und da moderne zweistöckige Häuser hervor.

"Der ist gerade fertig geworden", ärgert er sich. "Dabei ist es gar nicht erlaubt, in der Altstadt mit Beton zu bauen!" Erlaubt sind ausschließlich traditionelle Baustoffe wie Lehm und Holz, aber wer Kontakte hat und Geld, kann sich wie an vielen Orten in der Welt auch in Afghanistan über Bauvorschriften hinwegsetzten.

Der Erhalt der historischen Altstadt, in der AKTC auch historische Moscheen, Privathäuser, Basare und eine Anzahl architektonisch wertvoller Zisternen restauriert, wird deshalb immer schwieriger.

Joylon Leslie und Mitarbeiter Ing. Ramin Jami Foto: Britta Petersen
"Ohne das Geld aus Deutschland könnten wir hier gar nicht arbeiten"</wbr>, meint Jolyon Leslie (links im Bild), Chief Executive Officer des "Agha Khan Trust for Culture"</wbr> in Herat.

​​ "Herat ist leider eine reiche Stadt", sagt Leslie. Der Handel mit dem Iran beschert den Kaufleuten gute Gewinne. "Es wird überall gebaut und deshalb ist hier in den letzten Jahren mehr historische Substanz zerstört worden als während des Krieges."

Eine Erfahrung, die auch das Deutsche Archäologische Institut (DAI) machen musste, das sich seit 2004 in Herat engagiert. Neben eigenen Ausgrabungen hilft das DAI dabei, in der Zitadelle, die AKTC zu einem Kulturzentrum ausbauen will, ein National-Museum einzurichten.

Beschädigungen und Diebstahl

Eine Ausstellung historischer Fundstücke, vor allem Keramik, die kurz nach dem Krieg vom damaligen Machthaber der Stadt, Ismail Khan, initiiert wurde, wurde beim Transport in die Zitadelle schwer beschädigt.

"Unsachgemäßer Transport", klagt Ute Franke, die das Projekt für das DAI leitet aber inzwischen am Museum für Islamische Kunst in Berlin tätig ist. Auch wurden wertvolle Stücke gestohlen.

Die für das Museum vorgesehenen Räume in der Zitadelle sind deswegen zur Zeit schwer verriegelt, da das Team deutscher Archäologen erst im Frühjahr kommenden Jahres nach Herat zurückkehren wird. Die Restaurierungswerkstatt mit sechs Arbeitsplätzen, an denen afghanische Mitarbeiter von deutschen Experten ausgebildet wurden, ist bereits fertig gestellt – aber zeitweilig verwaist.

2004 hat das DAI mit eigenen archäologischen Forschungen in der Umgebung von Herat begonnen und dort erstmal eine prähistorische Besiedlung der Region nachweisen können. An der Zitadelle, von der es heißt, sie sei von Alexander dem Großen (um 300 v. Chr.) erbaut, vermutlich aber schon älter ist, wurde eine timuridische Toranlage mit zwei Türmen im Norden der Festung freigelegt.

"Wir haben dort vor allem Keramik und Metallobjekte aus vor-timuridischer Zeit – vor allem aus dem 10. und 11. Jahrhundert – gefunden", sagt Ute Franke. "Das ergänzt sich sehr gut, da die meisten Baudenkmäler in Herat aus timuridischer Zeit stammen."

Die Fundstücke werden ab 2010 zusammen mit den antiken Objekten aus der Umgebung in den drei Räumen des neuen Nationalmuseums zu sehen sein.

Bis dahin, so Jolyon Leslie, stellt sich die Frage, wie Herat, eine Stadt von 600.000 Einwohnern, eigentlich all die wunderbar restaurierten historischen Anlagen nutzen und verwalten will.

Eine Zisterne soll zum Stadtmuseum ausgebaut werden. Das DAI will laut Ute Franke beim Management des historischen Museums in der Zitadelle helfen. "Bisher gibt es allerdings in Herat keine Archäologen", sagt sie.

Ein letztes Refugium für klassische Musik

Eine Musikschule hat AKTC in einem alten Stadthaus eingerichtet. Doch finanziell trägt sich die Schule nicht. Mit den traditionellen afghanischen Instrumenten wie der Rubab lässt sich im heutigen Afghanistan so gut wie kein Geld verdienen.

Und Respekt genießen die Musiker auch nur noch in kleinen Kreisen seit die Mujaheddin und die Taliban die Klangkunst als unislamisch diffamiert haben. Die Zeiten, in denen ein Künstler wie Ustad Sarahang (1924-1983) – dem großen Interpreten der Gedichte Bedels, von dem ein Porträt in Öl in der Schule hängt – Kultstatus genoss, sind vorbei.

"Wir müssen unseren Studenten sogar die Fahrtkosten bezahlen", klagt Hafeez Hakimi, der Leiter der Schule. Doch er ist zufrieden, dass die klassische Musik überhaupt wieder eine Heimstätte gefunden hat.

Weitere Nutzungskonzepte für historische Gebäude werden dringend gebraucht. Wie gut, dass es Moscheen und Grabmäler gibt! Hier bedarf es keiner ausländischen Hilfe, hier versammeln sich seit Jahrhunderten Gläubige zum Gebet und zur Einkehr.

Und jeden Donnerstagabend kommen die echten Sufis zum Grab von Abdullah Ansari – die nicht von den Almosen der Gläubigen leben. Es sind Geschäftsleute, Bauern und Beamte, die alle gemeinsam mit rituellem Gesang ("dhikr") die Einheit von Gott und Mensch feiern.

Britta Petersen

© Qantara.de 2009

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Aga Khan Trust for Culture (engl.)