Intellektuelle und Zivilgesellschaft im Visier

Je stärker Iran außenpolitisch unter Druck gerät, desto leichter gelingt es der iranischen Staatsführung, die Bevölkerung gegen äußere wie innere Feinde aufzuhetzen. Opfer sind Intellektuelle, Künstler, Journalisten und die Zivilgesellschaft. Bahman Nirumand mit Hintergründen

Mahmoud Ahmadinedschad; Foto: AP
Seit der Monopolisierung der Macht durch Radikal-Islamisten um Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat sich die Lage der Künstler, Schriftsteller und Journalisten verschärft, schreibt Bahman Nirumand

​​"Die aktuellen Nachrichten und die Informationen über die Pläne der Regierung zeugen von einer für alle Bereiche der Kunst und Kultur höchst schädlichen Politik und lassen befürchten, dass die iranische Kultur schlimmen Zeiten entgegen geht", heißt es einer öffentlichen Erklärung des iranischen Schriftstellerverbands vom 16. August.

"Die Zensur der Literatur und Presse, das Filtern von Internet-Seiten, das Konfiszieren von Parabolantennen und die Zensur von Film und Theater werden von Tag zu Tag verschärft."

Der Verband zeigt sich zutiefst besorgt und warnt die Initiatoren dieser Politik davor, sich nie mehr von der "Schande, die geistige und kulturelle Entwicklung der lebenden Generationen verhindert und das iranische Kulturerbe gefährdet und in den Abgrund geführt" zu haben, reinwaschen zu können.

Tatsächlich hat sich seit der Monopolisierung der Macht durch Radikal-Islamisten um Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Lage der Intellektuellen, Künstler, Schriftstelle und, Journalisten besorgniserregend verschärft.

Falsche Geständnisse durch Folter

Während die Staatsführung die geringen Freiräume, die die iranische Zivilgesellschaft in der Ära Chatami erkämpft hatte - wie die Lockerung der Kleidungsvorschriften oder der Umgangsformen zwischen jungen Frauen und Männern in der Öffentlichkeit - weiterhin mehr oder weniger duldet, um größeren Aufruhr zu vermeiden, hat sie ihre Angriffe gegen Intellektuelle und Künstler verschärft.

Bahman Nirumand; Foto: dpa
Bahman Nirumand, geboren 1936 in Teheran, lebt als Publizist in Berlin

​​Dabei geht es nicht allein um kritisch-politische Inhalte, sondern um alles, was auf Erneuerung, Offenheit und Vielfalt, auf Aufklärung und Modernisierung hindeutet. Intellektuelle und Kulturschaffende werden wieder öffentlich denunziert und durch Folter zu falschen Geständnissen gezwungen.

Der international bekannte Philosoph und Kulturforscher Ramin Djahanbeglu wurde im Mai dieses Jahres vor seinem Abflug ins Ausland auf dem Flughafen festgenommen. Erst nach Tagen gab die Justiz bekannt, er sei wegen Kontakten zu "ausländischen Elementen" und des Verdachts auf Spionagetätigkeit in Haft genommen worden.

Zwei Monate später erklärte Geheimdienstchef Mohseni Ejehi, bei den Verhören habe sich herausgestellt, dass Djahanbeglu von den USA den Auftrag erhalten habe, "eine sanfte Revolution" im Iran zu organisieren. Am 17. August berichtete Oberstaatsanwalt Dorri Nadjafabadi der Presse, Djahanbeglu habe alles gestanden und zugestimmt, dass die Aufzeichnungen seiner Geständnisse vom Fernsehen gesendet werden.

Tod durch Misshandlungen

Solche öffentlichen Denunzierungen sind nicht neu. Vor Jahren gab es sogar Fernsehserien, in denen populäre Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle als Verräter, Handlanger des Westens und Verderber, die das Ziel haben, den Islam und die nationale Kultur zu unterwandern, dargestellt wurden. Offensichtlich sollen nun diese Methoden erneut aufgenommen werden.

Auch schwere Folterungen in den Gefängnissen sind wieder an der Tagesordnung. Das vorerst letzte Opfer ist Akbar Mohammadi, der am 13. August in Folge von schweren Misshandlungen starb. Ahmadi gehörte zu jenen zahlreichen Demonstranten, die im Sommer 1999 bei den Studentenunruhen in Teheran festgenommen wurden.

Dass er gefoltert wurde, war sowohl seinem Anwalt als auch seinen Eltern bekannt. Zwei Tage vor seinem Tod sagte sein Vater in einem Interview mit Radio Farda, einem persischsprachigen Sender im Ausland, er habe die große Befürchtung, sein Sohn werde die Misshandlungen nicht überstehen.

Mit dem brutalen Vorgehen gegen Einzelpersonen beabsichtigt das Regime, Angst zu verbreiten, Kritiker und Kulturschaffende einzuschüchtern und sie zum Schweigen zu bringen.

Keine Sicherheit für Journalisten

Ein Journalist, der nicht genannt werden wollte, legte der Internet-Zeitung Roos folgende Statistik vor: Ein Drittel aller in Teheran tätigen Journalisten habe eine Akte beim Revolutionsgericht. Jeder fünfte Journalist sei schon einmal in Haft gewesen. Journalisten blieben im Durchschnitt nicht länger als sieben Monate bei einer Zeitung, weil entweder die Zeitung verboten werde oder der Betreffende auf Empfehlung der Justiz oder des Geheimdienstes entlassen werde.

Diese Unsicherheit im Beruf und die Angst, die eigene Lebensgrundlage zu verlieren, haben bei den meisten Journalisten zu einer starken Selbstzensur geführt. Kaum jemand wagt es noch, die unsichtbaren Grenzen, die das Regime gesetzt hat, zu überschreiten.

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi; Foto: AP
Der Verein zur Verteidigung der Menschenrechte, dessen Vorsitzende die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi ist, wurde verboten

​​Die Angriffe des Regimes richten sich aber nicht nur gegen Einzelne, sondern auch verstärkt gegen regierungsunabhängige Organisationen, die wichtigste Basis der iranischen Zivilgesellschaft.

Anfang August wurde der Verein zur Verteidigung der Menschenrechte, dem die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi vorsitzt, für illegal erklärt und verboten.

Wenige Tage danach erklärte die Regierung kurzer Hand die Wahl des Vorstands im Verband der Journalisten als ungültig, weil es Regimetreuen Mitgliedern nicht gelungen war, ihre Kandidaten durchzusetzen. Schließlich geriet auch der Verein der Anwälte ins Visier der Radikal-Islamisten. "Was ist los im Anwaltsverein", titelte die Tageszeitung "Resalat", ein Organ der Ultrarechten.

Die Massen auf Linie gebracht

Je mehr es dem Regime gelingt, die Massen für außenpolitische Ziele zu mobilisieren, desto leichter fällt es ihm, den Druck nach innen zu verstärken.

Der Atomkonflikt, der Versuch der USA und EU, Iran durch Sanktionsdrohungen zum Verzicht auf sein international verankertes Recht zur Urananreicherung zu zwingen - ein Recht, das inzwischen zur nationalen Ehre hochstilisiert wurde -, die allgemeine Dämonisierung Irans durch den Westen und dergleichen mehr, liefern den Radikal-Islamisten willkommene Anlässe, um die Massen ideologisch, religiös und nationalistisch auf eine Linie zu bringen und Geschlossenheit zu fordern.

In diesem Zusammenhang müssen auch die Attacken von Ahmadinedschad gegen Israel und den Holocaust gesehen werden.

Der große und der kleine Satan

Auch den Krieg im Libanon, der in Iran tagelang als großer Sieg der Hisbollah und schwere Schlappe Israels gefeiert wurde, konnten die Islamisten zu ihren Gunsten verbuchen.

Die euphorische Stimmung, die durch Fernsehen und Rundfunk verbreitet wurde, soll den Massen das Gefühl vermitteln, die Regierung sei auf dem richtigen Weg und in der Lage, sich gegen den "großen Satan" USA und den "kleinen Satan Israel" durchzusetzen.

Revolutionsführer Ali Chamenei rief an die Adresse der Hisbollah-Kämpfer gerichtet: "Ich grüße euch, tapfere Brüder und Glaubenskrieger, ich küsse eure Hände und Arme."

Die Strategie der Islamisten ist, Angst zu verbreiten, Hass zu schüren und die Stimmung im Volk immer mehr gegen die äußeren und inneren Feinde anzuheizen. Diese Strategie geht aber nur dann auf, wenn das Land sich permanent in der Krise befindet.

Wie sonst ließe es sich erklären, dass Teheran trotz aller Gefahren, die dem Land drohen, die ständigen Provokationen, wie jüngst die Ausstellung von Holocaust-Karikaturen, nicht einstellt?

Bahman Nirumand

© Qantara.de 2006

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Bahman Nirumand: Iran - Die drohende Katastrophe
Das Feindbild der USA
Die Verhärtung Irans im Atomkonflikt ist eine Reaktion auf die unflexible Haltung der USA und ihren unbedingten Willen, Iran zu isolieren. Zu diesem Schluss kommt der Publizist Bahman Nirumand in seinem Buch "Iran – Die drohende Katastrophe". Peter Philipp hat es gelesen.

Nasreen Alavi
Irans junge Weblog-Szene im Aufbruch
In ihrem Buch "Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die junge persische Weblog–Szene" vermittelt Nasreen Alavi dem Leser einen tiefen Einblick in die vielseitigen iranischen Internet-Protestkulturen gegen die Mullahs. Golrokh Esmaili informiert

Hoffnungsträgerin für Demokratie
Der exil-iranische Schriftsteller Faraj Sarkohi beschreibt, inwiefern der Friedensnobelpreis für Shirin Ebadi eine Signalwirkung für die herrschende Politik im Iran bedeutet und welche Hoffnungen sich damit für einen demokratischen Wandel des Landes verbinden.