Fortschritt oder Größenwahn?

Der saudische Kronprinz will sein Land gründlich verändern. Doch der unerfahrene und als impulsiv geltende Mohammed bin Salman könnte sich mit seinen vielen Reformvorhaben schnell übernehmen, meint Nader Alsarras in seinem Kommentar.

Von Nader Alsarras

Es soll eines der größten Projekte im Nahen Osten werden; ein Technologiepark, eine neue Stadt mit dem futuristischen Namen "Neom". Was der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman diese Woche in Riad angekündigt hat, klingt schon ziemlich fantastisch: Die neue, hypermoderne Stadt, gebaut auf Wüstensand im Nordwesten des Königreichs, soll mehr Roboter als Menschen beherbergen. Sie soll 500 Milliarden US-Dollar kosten, aber - bitte schön - keine "traditionellen" Investoren anziehen, sondern "Visionäre, die etwas Neues schaffen wollen".

Der 32-jährige Kronprinz, der als der starke Mann in Riad gilt, gibt sich unbeirrt in seinen Bestrebungen, das zutiefst konservative Königreich zu modernisieren. Nicht nur wirtschaftlich mit seinem Reformprogramm "Vision 2030", das Saudi-Arabien aus der Abhängigkeit des Ölverkaufs befreien will, sondern auch gesellschaftlich. Denn so spektakulär der Plan für "Neom" ist, eine andere beim gleichen Anlass gemachte Ankündigung ist noch viel brisanter: Saudi-Arabien soll jetzt nach dem Willen des Prinzen zu einem moderaten Islam zurückkehren - einem, der anderen Religionen gegenüber offen sei.

Zaghafte Reformvorhaben

Für das Golf-Königreich sind das erstaunlich neue Töne. Das Land gilt als ziemlich verschlossen. Dort herrscht seit langer Zeit eine ultrakonservative Auslegung des Islam: der Wahhabismus - eine Ideologie, die das Königreich, dank der üppigen Erdöl-Einnahmen, auch fleißig in alle Welt exportiert hat.

Doch jetzt soll einiges gelockert werden: Bald dürfen zum Beispiel Frauen Auto fahren. Außerdem plant der Kronprinz den Bau eines touristischen Luxus-Resorts am Roten Meer, das internationalen Standards entsprechen soll - was hieße, dass Frauen dort Bikini tragen können und Alkohol ausgeschenkt wird - Dinge, die bisher undenkbar sind.

Werbe-Banner "Neom; Quelle: Neom
Futuristische Perspektiven für das saudische Königshaus:

Dass Mohammed bin Salman seinem Land ein moderneres Gesicht verpassen will, ruft jedoch auch viele Skeptiker und Kritiker auf den Plan. Sie sehen in seinen Ankündigungen allein eine Marketing-Strategie, um mehr Investoren anzuziehen. Andere sehen in bin Salmans Absicht, religiöse Extremisten zu bekämpfen, nur einen Vorwand, um Dissidenten und politische Gegner aus dem Weg zu räumen. Erst vor Kurzem ließ er bekannte Geistliche verhaften, die als Regime-Gegner gelten.

Die Kritik an bin Salman ist nicht ganz unberechtigt. Denn ein tatsächlicher Wandel müsste mit noch ganz anderen Reformen einhergehen - und danach sieht es im Königreich zurzeit nicht aus. Das Land ist weit davon entfernt, eine Demokratie und eine Heimstatt der Menschenrechte zu werden.

Mit seinem immensen Reform-Tempo läuft das saudische Herrscherhaus außerdem Gefahr, die Hardliner und die konservativen Kleriker gegen sich aufzubringen - also diejenigen, die bisher ein Garant der uneingeschränkten Macht des Hauses Saud waren. Vor allem die Beschneidung des Einflusses der Religionspolizei, die bis ins vergangene Jahr als eigenständiger Polizeiapparat agierte und über weite Befugnisse verfügte, hat die erzkonservativen Kreise im Land massiv verärgert.

Mentalität lässt sich nicht umprogrammieren

Denn noch immer gilt die saudische Gesellschaft als sehr konservativ. Eine von oben verordnete Öffnung der Gesellschaft binnen kurzer Zeit durchsetzen zu wollen, könnte dem Kronprinzen daher gefährlich werden. Menschen sind eben keine Roboter, die nach seinen Plänen die Mega-City "Neom" bevölkern sollen. Die Mentalität lässt sich nicht auf Knopfdruck umprogrammieren.

Kronprinz Mohammed bin Salman während einer Militärübung in Riad im März 2016; Foto: picture-alliance/abaca
Berechtigte Zweifel: "Ein tatsächlicher Wandel müsste mit umfangreicheren Reformen einhergehen - und danach sieht es im Königreich zurzeit nicht aus", meint Nader Alsarras. "Das Land ist weit davon entfernt, eine Demokratie und eine Heimstatt der Menschenrechte zu werden. Mit seinem immensen Reform-Tempo läuft das saudische Herrscherhaus außerdem Gefahr, die Hardliner und die konservativen Kleriker gegen sich aufzubringen - also diejenigen, die bisher ein Garant der uneingeschränkten Macht des Hauses Saud waren."

Auch seine Anspielung auf die Islamische Revolution im Iran, dem er die Hauptschuld für den religiösen Extremismus in der Region gibt, lässt an bin Salmans Absichten zweifeln: Hat er wirklich den erkennbaren Willen, Saudi-Arabien zu einem toleranten, offenen Land zu machen, oder ist das alles nur Rhetorik, um ganz nebenbei dem Erzfeind Iran einen Seitenhieb zu verpassen?

Für viele Beobachter bleibt Mohammed, der von seinem greisen Vater König Salman weitreichende Befugnisse hat, bis auf weiteres ein unerfahrener Politaufsteiger, der sich auch mal grob verkalkuliert: wie zum Beispiel mit dem Krieg gegen die Huthis im Jemen, den er 2015 als frisch gekürter Verteidigungsminister vom Zaun gebrochen hat. Ein Krieg, der das ärmste arabische Land vollends ins Elend stürzte, statt ihm "die Hoffnung wiederzubringen", wie der Name der abenteuerlichen Militäraktion suggeriert.

Hang zur Selbstüberschätzung

Bin Salmans Aktionismus könnte auch nach hinten losgehen. Die Modernisierung eines Landes braucht mehr als größenwahnsinnige Projekte und lässt sich auch nicht so einfach in ein paar Jahren umsetzen. Dass Saudi-Arabien vom Erdöl unabhängig werden soll, ist ja durchaus sinnvoll, wird aber von den Monarchen des Landes schon seit bald 40 Jahren angestrebt.

Der Erfolg lässt indes bis heute auf sich warten. Und so bleibt auch fraglich, ob sich des Prinzen Megaprojekte überhaupt finanzieren lassen, solange der Ölpreis stagniert und dadurch das Haushaltloch des Königreichs immer größer wird.

Und Geheimnis von Mohammed bin Salman bleibt bis auf weiteres auch, wie er seinen Plan, das extremistische Gedankengut in Saudi-Arabien "sofort zu zerstören", eigentlich umsetzen will. Konkrete Aussagen dazu gibt es jedenfalls keine. Und deswegen klingen solch martialische Worte nicht nur nach politischer Naivität, sondern auch nach erheblicher Selbstüberschätzung - die ist aber in der Politik noch niemandem gut bekommen.

Nader Alsarras

© Deutsche Welle 2017