Zweitfrau darf bleiben

Muslimische Zweitfrauen fallen oft durch Gesetzeslücken. Denn grundsätzlich wird die Polygamie in Deutschland geächtet. Nun hat ein rheinland-pfälzisches Gericht einer irakischen Zweitgattin Aufenthaltsrecht zugesprochen - aus humanitären Gründen.

Muslimische Zweitfrauen fallen oft durch Gesetzeslücken. Denn grundsätzlich wird die Polygamie in Deutschland geächtet. Nun hat ein rheinland-pfälzisches Gericht einer irakischen Zweitgattin Aufenthaltsrecht zugesprochen - aus humanitären Gründen

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​​Khedr S. hat sein Zweitfrauenproblem gelöst. Mit beiden Gattinnen will der anerkannte Flüchtling Tisch und Bett teilen, doch nur einer Frau wollte die deutsche Justiz bislang ein Aufenthaltsrecht gewähren. Das wird nun anders. Im März 2004 entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz: Auch die Nebenfrau darf eine Aufenthaltsbefugnis verlangen - eine Ausnahme in der deutschen Justiz.

Das Urteil verweist auf ein grundsätzliches Problem: Muslimische Zweitfrauen fallen durch Gesetzeslücken, zumindest im öffentlichen Recht. Denn das deutsche Recht ist auf Monogamie ausgerichtet. Ein Mann, eine Frau, allein diese Bindung schützt das "Ehegattenprivileg". Wäre Deutschland ein abgeschirmter Raum, wäre das unproblematisch, ist doch hierzulande die Vielehe bei Strafe untersagt. Doch längst leben hier Paare ohne abendländischen Ehekodex und deutschen Pass.

Humanitäre Geste

Zum Beispiel Khedr S. Seit 1996 lebt der Iraker in der BRD, er erhielt Asyl. Daheim hinterließ er zwei Gattinnen: Eine hat er schon 1977 geehelicht, der anderen gab er 1990 das Jawort. Beide Frauen reisten gemeinsam im Juni 1999 illegal in Deutschland ein. Das war das Ende der rechtlichen Gemeinsamkeit: Frau eins erhielt eine Aufenthaltserlaubnis, Frau zwei wurde lediglich geduldet - und klagte gegen diesen Unsicherheitsstatus. In der ersten Instanz blieb die Klage erfolglos, im Berufungsverfahren aber gaben die Richter ihr nun Recht.

Das aber bezeichneten sie ausdrücklich als Ausnahme: Da die Irakerin seit Jahren in Ludwigshafen lebe, sich integriert habe und überdies in ihrer Heimat ihre Existenz nicht gesichert sei, solle ihr der Aufenthalt gewährt werden. Dabei könne sie sich aber nicht auf das Ehegattenprivileg berufen, vielmehr handele es sich um eine humanitäre Geste.

Öffentliches versus bürgerliches Recht

Dieses Urteil ist symptomatisch für den gewundenen Umgang der deutschen Justiz mit der Polygamie. Die ist schließlich grundsätzlich geächtet. Der Kompromiss: Heiratet ein Ausländer in seiner Heimat mehrere Frauen nach dort gültigem Recht, wird er nicht strafrechtlich verfolgt, wenn er später in Deutschland lebt.

Die Justiz unterscheidet genau: Im öffentlichen Recht wird die Vielfachehe nicht anerkannt. Deshalb darf nur die Erstfrau nachziehen, wenn ihr Mann in Deutschland Asyl findet. Der Grund für diese Regelung ist die Furcht vor Missbrauch. Denn sonst könnte ein Muslim in seiner Heimat alle Haremsfrauen ehelichen, um möglichst vielen Frauen ein Bleiberecht in Europa zu garantieren.

Im bürgerlichen Recht hingegen wird die Mehrfachehe anerkannt. Trennt sich ein Paar, darf auch eine Zweit- oder Drittfrau Unterhalt verlangen. "Als das Gesetz formuliert wurde, kam niemand auf die Idee, dass es in Deutschland polygame Ehen geben könnte. Nun versucht man, so zu urteilen, dass die Zweitfrauen nicht schutz- und rechtlos sind", sagt Mathias Rohe, Erlanger Rechtsprofessor und Experte für Konflikte zwischen Islam und deutschem Recht.

Gleiches Recht auf Rente

Für den Schutz der Zweitwitwe etwa entschied das Bundessozialgericht in Kassel 2003 im folgenden Fall: Eine Marokkanerin, die im Rheinland lebt, klagte vor Gericht. 37 Jahre war sie verheiratet, dann starb ihr Mann, auch er Marokkaner. Nun sollte sie mit der vierzig Jahre jüngeren Zweitfrau die deutsche Rente teilen.

Sie allein habe Anspruch auf das Geld, wenigstens aber gebühre ihr der größere Anteil, argumentierte die Erstfrau. Immerhin habe der Gatte die andere Frau erst drei Jahre vor seinem Tod geheiratet. Die Richter aber urteilten: Die Dauer der Ehe ist unerheblich, jede Gattin hat Anspruch auf den gleichen Rentenanteil.

Zweitfrau steuerlich nicht geltend zu machen

Auf der Steuererklärung ihres Gatten hingegen hat eine Zweitfrau nichts zu suchen, befand 1986 das Finanzgericht Münster. Ein Marokkaner wollte seine beiden Frauen steuerlich geltend machen. Doch Finanzamt und Justiz wiesen ihn zurück. Ein Mann kann nur seine Erstfrau beim Ehegattensplitting geltend machen, sagten die Richter.

Muslimische Organisationen wissen um den Kulturkonflikt und mahnen zu öffentlicher Zurückhaltung. Das Internetforum muslim-heirat.de zum Beispiel bittet "bereits verheiratete Brüder", von einer Kontaktanzeige abzusehen. Das heißt auch: Wer seine Zweitfrau nicht nachholen darf, kann nicht mal eben rasch eine neue heiraten. Behördenfrust statt Multieheglück - das ist die Realität der Polygamie.

Cosima Schmitt

© die tageszeitung, 30.März 2004