Griff nach der Macht

In der Islamischen Republik warnen nicht nur liberale, sondern auch konservative Geistliche vor einer schleichenden Machtübernahme im Staat durch die "geheime Partei" der Schüler Ayatollah Mesbah Yazdis, die eine Dominanz des Expertenrates anstrebt. Einzelheiten von Behzad Keshmiripour

Islamische Republik oder islamischer Staat? Diese Frage wird im Iran derzeit heiß diskutiert, obgleich sie bereits zu Beginn der Islamischen Revolution 1979 gestellt und nie eindeutig beantwortet wurde.

Die heutige politische Macht im Iran beruht auf widersprüchlichen Strukturen, deren Ursprung auf diese Frage zurückgeht.

Auf das Paradox einer Staatsform mit gewählten Volksvertretern unter der absoluten Lehre des Islams, genauer gesagt der Doktrin des politisierten schiitischen Islams.

Islamische Republik versus islamischer Staat

Die Wiederaufnahme der Diskussion um eine islamische Republik versus eines islamischen Staates wurde von Ayatollah Mohammad Taghi Mesbah Yazdi ins Rollen gebracht. Mesbah Yazdi, einer der geistigen Führer der Rechtskonservativen, lehnte in einer kürzlich gehaltenen Rede vor seinen Schülern und Anhängern die Legitimation der Macht durch Wahlen ab.

Über die Stimmabgabe zur Wahl des Präsidenten erklärte er, es sei "das Volk, das mit seiner Stimme den Präsidenten lediglich vorschlägt".

Iranerinnen bei der Stimmabgabe während der letzten Präsidentschaftswahlen, Foto: AP
Wahlen als fauler Kompromiss für die Mesbahanhänger - Iranerinnen bei der Stimmabgabe während der letzten Präsidentschaftswahl in Teheran

​​Khomeini habe die Republik als eine Staatsform der Übergangszeit verstanden, aber nie die Republik propagiert, so Mesbah Yazdi.

Mesbah Yazdi, der in Ghom die "Imam Khomeini Schule" - und gleichzeitig das "Zentrum für Forschung" - leitet, vertritt die Meinung, dass die übergeordnete Entscheidungsgewalt dem religiösen Führer obliegt und daher jede Wahl nur durch seine Bestätigung Gültigkeit erhält.

Dem Geist Khomeinis verpflichtet

Warum Mesbah Yazdi darauf beharrt, seine Ansichten in den Geist Khomeinis zu stellen, brachte Mehdi Karobi - der Präsidentschaftskandidaten bei der letzten Wahl mit dem drittbesten Wahlergebnis, der der Konkurrenz grobe Wahlfälschung und organisierte Stimmungsmache vorwarf - auf den Punkt:

"Junge gläubige Muslime verehren Khomeini und schützen sein Andenken … Khomeini ist für sie ein Heiliger. Wenn ihnen einer sagt, dass Khomeini nicht an Wahlen glaubte, wird Volkesstimme für sie wertlos", so Karobi. "Wenn man ihnen aber sagt, dass Ayatollah Mesbah Yazdi nicht an Wahlen glaubt, werden die jungen Gläubigen sagen, gut – das ist eine Meinung, wir teilen sie aber nicht."

Nach Beginn dieser Debatte kritisierten Politiker und Personen des öffentlichen Lebens im Iran die Position Mesbah Yazdis scharf und warnten vor dem Marsch der Mesbahanhänger in das höchste politische Gremium, den Expertenrat, dessen wichtigste Aufgabe es ist, den religiösen "Führer" zu wählen.

Gefahr für die Islamische Republik

Ex-Präsident Khatami sprach neulich von einer "dritten Kraft", die sich neben den Reformern und den Konservativen, die als die beiden politischen Hauptströmungen gelten, gebildet hat:

"In dem heutigen Kräfteverhältnis sehe ich deutlich die Zukunft der Islamischen Republik und deren Führung in Gefahr", so Khatami. "Dies bedeutet, dass der Expertenrat eine bedenkliche Richtung einnehmen könnte, und dass Kräfte, die sich nicht exakt zu den genannten Zielen der Revolution (von 1979) bekennen, die Führungsrolle übernehmen werden."

Die letzte Präsidentschaftswahl zeigte überdeutlich, dass die politischen Machtverhältnisse viel zu unübersichtlich sind, als dass man sie in zwei Hauptlager einteilen kann. Es zeigt sich, dass der überraschende Wahlsieg Ahmadinejads Ergebnis einer langjährigen Planung derjenigen ist, die sich außerhalb der politischen Auseinandersetzung hervorragend organisieren konnten.

Aus dem Umkreis von Ayatollah Mesbah Yazdi werden Stimmen laut, die deutlich aussprechen, dass der Marsch in Richtung Macht gut vorbereitet und Schritt für Schritt ausgeführt worden sei. Nach der Übernahme des Teheraner Stadtrats und der Wahl Ahmadinejads zum Teheraner Bürgermeister im Jahre 2003, wurde die Mehrheit im Parlament gewonnen und zuletzt im Sommer 2005 die Präsidentschaftswahl.

Dominanz des Expertenrats

Als nächstes plant die so genannte "geheime Partei" der Mesbahschüler und -anhänger, den Expertenrat zu dominieren, der ihnen als Instrument zur Übernahme der höchsten Führung des Landes dienen soll.

Innenminister Mostafa Pourmohammadi, Foto: AP
Radikaler Führungswechsel in allen Minsterien: Der Hardliner und Ex-Sicherheitschef Mostafa Pourmohammadi ist seit August 2005 neuer iranischer Innenminister

​​Nach seiner Vereidigung warf Ahmadinejad sämtlichen Vorgängerregierungen schwerste Fehler vor. Er übernahm kaum einen der alten Funktionäre und setzte damit eine große und ungewöhnliche Säuberungsaktion in Gang. In allen Ministerien wurden führende Vertreter freigestellt. Sechs oberste Bankdirektoren mussten ihre Sessel räumen.

Er tauschte mit einem Schlag die Botschafter in allen wichtigen Repräsentationen aus. Bei der Verteilung der Posten zählt weiterhin Treue und Übereinstimmung mit den neuen Machthabern mehr als Qualifikation.

Viele der Konservativen, die Ahmadinejad - wenn auch halbherzig - unterstützt hatten, sahen sich bei der Postenvergabe benachteiligt. So kommt die schärfste Kritik heute von Parlamentariern, die mehrheitlich zu den Konservativen zählen.

Insgesamt spricht dies alles dafür, dass sich in der Tat eine neue Kraft gebildet hat, die sich mit nichts weniger als der totalen Macht zufrieden gibt. Eine Kraft, die schon heute mehr oder weniger alle staatlichen Organe kontrolliert; alle bis auf die letzte und höchste Instanz – das Amt des religiösen Staatsführers.

Provokation aus politischem Kalkül?

Mit dem Ziel eines islamischen Staates entfernt sich die Islamische Republik Iran mehr denn je von den Werten westlicher Demokratien. Dies scheint die neuen Machthaber nicht zu stören. Im Gegenteil ist dies ganz im Sinn eines islamischen Staates, der alle westlichen Werte ablehnt – mit der Prämisse, zur "glorreichen Ära der Gründung des Islams" zurückzukehren.

Ist dies einer der Gründe dafür, warum Ahmadinejad regelmäßig den Westen mit seinen Äußerungen provoziert? Lässt sich die Errichtung eines islamischen Staates durch den Abbruch aller Beziehungen zum Rest der Welt besser in den Griff bekommen?

Spätestens nach der anstehenden Wahl des Expertenrats, wird dies zu erkennen sein. Die Reformer und sogar einige der Konservativen, die sich kaum vom Schock der vergangenen Präsidentenwahl erholt haben, sprechen nun von der Notwendigkeit, sich neu zu organisieren.

Behzad Keshmiripour

© Qantara.de 2006

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