Botschafter der Toleranz

Allen gesetzlichen Hindernissen und religiösen Dogmen zum Trotz, sehen viele jüngere Homosexuelle Malaysias im islamischen Glauben die Möglichkeit für mehr gesellschaftliche Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung schwuler und lesbischer Lebensgemeinschaften. Von Joseph Mayton

Ein Paar schlendert Hand in Hand in einen Club, die Musik dröhnt. Sie umarmen und küssen sich und beginnen, zur Musik zu tanzen – eine ganz gewöhnliche Szene in der Hauptstadt Malaysias, wo junge Berufstätige sich ins pulsierende Nachtleben stürzen.

Für dieses Paar ist die Situation jedoch eine vollkommen andere als für die Mehrzahl der Tanzenden, denn sie sind beide Frauen. Trotz der vorherrschenden konservativ-islamischen Ansichten zur Homosexualität glauben und hoffen sie, dass sich die Zeiten doch noch zum Positiven ändern.

Mariam und Nora – nach ihrer Herkunft malaysisch und chinesisch, wie auch muslimisch – glauben, dass die malaysische Gesellschaft ihren Hass und ihren Widerstand gegen die lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Gemeinde (LGBT) allmählich aufgibt. Überraschenderweise argumentieren sie damit, dass es der islamische Glaube sei, der bei diesem Umdenken eine große Rolle spiele.

"Es ist leicht, Malaysia als eine strenge, sehr konservative Gesellschaft einzustufen, angesichts dessen, was eine Reihe von Scheichs und Regierungsbeamten zuletzt geäußert haben.

Doch wenn wir zum Beten gehen oder mit den Menschen über den Islam sprechen, sind sie heute doch toleranter als noch vor einigen Jahren", meint Mariam, die offenere der beiden, während sie den Arm um die Frau legt, mit der sie seit vier Jahren zusammen ist.

Chance für den Wandel

Lesbisches Paar in Malaysia; Foto: bikyamasr.com
Hand in Hand gegen Diskriminierung und rechtliche Benachteiligung: Viele gleichgeschlechtliche Paare in Malaysia kritisieren, dass die Regierung eine faire öffentliche Debatte über die Rechte von Homosexuellen unterdrückt.

​​Es mutet als seltsame Idee an, dass sich der Islam und die LGBT-Gemeinde zusammen tun, um sich für Toleranz einzusetzen – insbesondere, wenn man sich daran erinnert, welch negative Statements die Regierung in jüngster Zeit zu diesem Thema abgegeben haben und wenn man an die vergangenen Polizeirazzien denkt.

Ein gemeinsames Gespräch der beiden Frauen mit dem lokalen Scheich in einem Vorort Kuala Lumpurs ändert diese Perspektive jedoch ein wenig. Der Scheich glaubt, dass der Islam eine Möglichkeit für den Wandel und für mehr Verständnis bietet – und das im Gegensatz zu allen anderen Religionen.

"Ich weiß, die Welt heute glaubt, der Islam sei intolerant gegenüber Abweichungen, inbesondere, wenn es um Homosexuelle geht", setzt Scheich Abdullah Abu Tarek an, der glaubt, dass hierin zum Teil das Missverständnis begründet ist, mit dem Menschen aus aller Welt dem Islam begegnen. "Hier in dieser Moschee lehren wir, dass es im Islam um das persönliche Verhältnis der Menschen zu Gott geht. Und das bedeutet, dass wir jeden aus diesem Blickwinkel betrachten müssen", meint der in London ausgebildete Scheich, der erst Ende 20 ist.

Für ihn sind junge Frauen wie Mariam und die zum Islam konvertierte Nora die wichtigsten Mitglieder seiner Gemeinde. Sie stehen für eine "neue Generation von Muslimen, die die Botschaft der Toleranz hinaus in die Welt tragen, und zwar als Menschen. Ihre Sexualität sollte dabei kein Thema sein, denn schließlich ist der Islam ein Glaube, der auf Toleranz und Multikulturalismus beruht", so Abdullah Abu Tarek.

Ein harter Kampf für gleiche Rechte

Für gleichgeschlechtliche Paare in Malaysia ist der Kampf für mehr Rechte äußerst mühsam. Angesichts des wachsenden Einflusses konservativ-islamischer Kleriker ist es oft schwierig, für ein Klima der Offenheit und des Dialogs zu werben.

Hinzu kommt, dass die Regierung ihre öffentliche Kampagne gegen Homosexuelle vor einigen Monaten fortgesetzt hat. Im vergangenen Juni erklärte die Staatssekretärin im Büro des Premierministers, Mashitah Ibrahim, vor dem malaysischen Unterhaus, dass die föderale Verfassung die Rechte von Homosexuellen nicht genügend schütze. Sie fügte hinzu, dass der Artikel 8 der Verfassung, der den Gleichheitsgrundsatz festschreibt, bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften keine Anwendung findet.

"Artikel 8 der föderalen Verfassung Malaysias besagt, dass es keine Diskriminierung von Bürgern in Bezug auf deren Religion oder Geschlecht geben dürfe", so Ibrahim. "Der Begriff 'Geschlecht' wurde dabei jedoch nie als sexuelle Orientierung verstanden, sondern vielmehr ging es stets darum, ob jemand entweder männlich oder weiblich ist. Diese Kategorien sind die einzigen, die von der Verfassung geschützt werden", so die Staatssekretärin.

Ziffer 1 des Artikels 8 legt fest, dass alle Personen gleich vor dem Gesetz sind und Anspruch auf den gleichen Schutz durch das Gesetz genießen. Ferner sieht Ziffer 2 des Artikels vor, dass es "keine Diskriminierung von Bürgern aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer Rasse, ihrer Herkunft, ihres Geburtsorts oder ihres Geschlechts geben darf".

"Es geht um die Herzen der Menschen"

Der Islam könnte in dieser rechtlichen Auseinandersetzung ein Lösungsweg sein, glauben jedenfalls Mariam und Nora, die einräumen, dass Gespräche mit anderen Muslimen im Alltag und in der Moschee wohl der der beste Ansatz sei, ein allmähliches Umdenken einzuleiten.

Demonstration gegen Freiheiten von Homosexuellen in der Nähe von Kuala Lumpur; Foto: AP
Religiöse Dogmen und Vorurteile gegen Homosexuelle: "Für gleichgeschlechtliche Paare in Malaysia ist der Kampf für mehr Rechte äußerst mühsam. Angesichts des wachsenden Einflusses konservativ-islamischer Kleriker ist es oft schwierig, für ein Klima der Offenheit und des Dialogs zu werben", so Mayton.

​​"Es geht um die Herzen der Menschen", so Nora. "Als ich zum ersten Mal meine sexuelle Orientierung preis gab, waren die Menschen wirklich verängstigt und schockiert. Sie glaubten, dass ich etwas Falsches in Gottes Augen tue. Aber als sie dann meine religiöse Hingabeerkannten, begannen sie die Dinge anders zu sehen."

Doch nicht alle Muslime Malaysias seien zu dieser Einsicht bereit, fügt Mariam hinzu: "Wir müssen akzeptieren, dass man nicht jeden ändern kann – vor allem nicht diejenigen, die meinen, dass wir Anti-Muslime seien. Aber wir können damit beginnen, uns denjenigen zu öffnen, die wir kennen und die uns kennen, denn sobald sie ein wenig Zeit mit uns verbracht haben und hören, was wir zu sagen haben, werden wir oft Freunde. Und das liegt an unserem Glauben", so Mariam.

Auch wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass Malaysia in den kommenden Jahren einen Aufschwung der Schwulen- und Lesbenbewegung erleben wird, so sind es doch Menschen wie Mariam und Nora, die Bewegung in die öffentliche Debatte gebracht haben und einen Weg favorisieren, der eine differenziertere Perspektive auf den Islam zulässt. Und genau das ist es, was für viele gleichgeschlechtliche Paare Anlass zur Hoffnung gibt.

Joseph Mayton

© Qantara.de 2012

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de