Sydneys Strände unter Druck

Kurz vor Weihnachten wurde Australien von den schwersten rassistischen Krawallen seiner Geschichte erschüttert; der Mythos vom multikulturellen fünften Kontinent hat an Substanz verloren. Von Sebastian Krüger

Kurz vor Weihnachten wurde Australien von den schwersten rassistischen Krawallen seiner Geschichte erschüttert; der Mythos vom beispielhaften multikulturellen fünften Kontinent hat an Substanz verloren. Von Sebastian Krüger

Mann bedroht Polizist mit einer Flasche am Strand von Cronulla; Foto: AP
Die rassistischen Ausschreitungen gegen Menschen arabischer Herkunft werfen ein Schlaglicht auf das wachsende Misstrauen gegenüber Muslimen als Folge der Anschläge vom 11.9. und der von Bali

​​Am 11. Dezember machte an einem Sydneyer Strand ein Mob von 5000 angetrunkenen weißen Australiern Jagd auf Menschen "nahöstlichen Aussehens". Ausgerechnet in der größten Metropole des Landes, das das Image einer multikulturellen Nation pflegt: Immerhin ein Viertel der 20 Millionen Staatsbürger wurde im Ausland geboren.

Rund 300.000 Australier stammen aus dem Libanon, einer von ihnen ist Shahin Masri. Er stemmt Gewichte im Akkord, Schweiß rinnt ihm vom Gesicht. Die Luft im Fitnesszentrum "Corner Club" ist frisch – ganz im Gegensatz zu draußen, wo der australische Hochsommer die Luft flimmern lässt. Das Fitnesszentrum befindet sich in Bankstown, einer Suburb weit im Westen Sydneys, und wird hauptsächlich von libanesischen Jugendlichen besucht.

Der 19-jährige Shahin und die anderen jungen Libanesen, die hier ihre Körper stählen, sind wütend. Seit den Krawallen werden sie fast täglich von Polizeistreifen angehalten und müssen sich Fragen nach dem Woher und Wohin gefallen lassen.

"Und immer wieder wollen sie mein Mobiltelefon überprüfen", sagt Shahin. "Auch wenn ich protestiere, nehmen sie es mir weg." Die Polizisten durchsuchen die Telefone nach hetzerischen SMS-Nachrichten.

Zweiklassengesellschaft am Strand

Für ihn gehören rassistische Erlebnisse zum Alltag. "Wir werden auf der Straße als Terroristen beschimpft! Und meiner Schwester wurde das Kopftuch heruntergerissen. Irgendwann hast du es einfach satt. Manchmal habe ich das Gefühl, auf einem Vulkan zu sitzen, der nur mit einem Pappdeckel verschlossen ist."

Abends fahren er und seine Freunde in langen Autokonvois zu den Stränden, die sich in den östlichen Stadtbezirken Sydneys befinden. Beliebter Treffpunkt libanesischer Jugendlicher ist der Strand von Cronulla, an dem die jüngsten Ausschreitungen ihren Ausgang nahmen. Hier wollen die Jugendlichen "nahöstlichen Aussehens", wie sie von der Öffentlichkeit politisch-korrekt genannt werden, ihren Anteil am "Australian Way of Life" ausleben.

In einem Land, in dem 80 Prozent der Einwohner weniger als 50 Kilometer entfernt vom Meer wohnen, gilt der Strand als nationales Heiligtum. Das erfrischende Spiel mit den Wellen ist jedoch nicht alles: Ein "Tag am Strand" steht für Erholung, unbeschwerten Zeitvertreib und geselliges Beisammensein.

Doch längst nicht alle Sydneysyider können diesem Kult in gleicher Weise nachkommen. Direkt an der Küste, in den "eastern suburbs", wohnen reiche, meist weiße Australier. Die weniger Wohlhabenden und vor allem die vielen Einwanderer aus Asien sowie dem Nahen und Mittleren Osten wohnen in den "western suburbs". Wohnraum ist umso billiger, je weiter entfernt er sich von der Küste befindet.

Lang anhaltende Konflikte

"Sie kommen und belästigen unsere Mädchen", sagt Mike Banton, ein 24-jähriger "surfie" mit langen, sonnenbleichen Haaren und einem T-Shirt, das die australische Flagge zeigt. "Außerdem benehmen sie sich nicht so, wie es sich gehört. Aber das hier ist unser Strand!"

Die kleinen Wörtchen "wir" und "sie" werden groß geschrieben unter den Bewohnern der Küstensuburbs. Momentan sorgen berittene Polizisten auf dem Sandstrand für gespannte Ruhe, und über die asphaltierte Strandpromenade kreuzen ihre Kollegen auf Mountain-Bikes.

Surf-Veteran Sean Cassidy wiegelt ab: "Streit am Strand gibt es, solange ich denken kann. Testosteron, Alkohol und Hitze – Rangeleien gibt es immer", sagt der 42-Jährige. In der Tat ist die Geschichte von Auseinandersetzungen lang.

Bereits in den 60er Jahren stritten sich in Cronulla einheimische "surfies" und damals "rockies" genannte Jugendliche aus dem Westen der Stadt. Diesmal eskalierte dieser weniger erfreuliche Teil der Strandkultur zu den schwersten rassistischen Ausschreitungen in der Geschichte Australiens.

Anlass war ein Streit zwischen libanesischen Jugendlichen und Rettungsschwimmern. Diese wollten jenen das Fußballspielen am Strand untersagen und wurden daraufhin verprügelt. Aufgebrachte Anwohner riefen zu einer Solidaritätskundgebung auf, erzkonservative Radiomoderatoren schütteten Öl ins Feuer und rechtslastige Gruppierungen kochten ihr eigenes Süppchen in der aufgeheizten Atmosphäre. Zusätzlich peitschten sich die betroffenen Szenen einander mit Hetz-SMS auf.

Unterschwelliger Rassismus

Bei den zweitägigen Ausschreitungen wurden über zwanzig Menschen verletzt, zweihundert vorübergehend festgenommen und mehr als hundert Autos demoliert. Inzwischen füllen sich die Strände wieder, aber klar geworden ist, dass längst nicht alles so rosig ist, wie – auch von der Regierung – dargestellt.

So bestritt der australische Premier John Howard, dass es "in diesem Land einen unterschwelligen Rassismus gibt." Daraufhin präsentierte der Sydney Morning Herald, eine der führenden australischen Tageszeitungen, eine Umfrage, nach der 75 Prozent der australischen Bevölkerung das genaue Gegenteil glauben.

Sebastian Krüger

© Qantara.de 2006

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