Araber und Globalisierung

Araber, insbesondere die arabischen Jugendlichen, kämpfen mit einer tief greifenden Identitätskrise, schreibt Ramzy Baroud. Schuld daran sei auch die nicht hinterfragte Offenheit für Einflüsse aus dem Westen.

Arabische Jugendliche, Foto: AP
Arabische Jugendliche

​​Mit ihrer unqualifizierten und viel zu verallgemeinernden Verachtung für den "hegemonialen Imperialismus des Westens" und die "Arglist des internationalen Zionismus" haben sich die Araber zunehmend ins Abseits manövriert und ihre Gesellschaften in eine ganze Reihe von sozialen und kulturellen Krisen gestürzt, welche die individuelle wie kollektive Freiheit ihrer Bürger immer mehr ausgehöhlt haben.

Natürlich sind die Probleme und Herausforderungen, denen sich die arabische Welt gegenübersieht, so vertrackt, dass es leicht fällt, den Schwarzen Peter immer jemand anderem zuzuschieben. So war ich mir durchaus der Furcht vor Verantwortung bewusst, die die arabische Nation auszeichnet, ihrer Schwäche und ihrer Beharrlichkeit, wenn es darum geht, jemand anderen für das eigene Chaos verantwortlich zu machen. Niemals aber habe ich mir das ungeheure Ausmaß dieser sozialen Tragödie vorstellen können.

Soziale Probleme in einen größeren Kontext einzuordnen ist sicher oft hilfreich; nicht jedoch, wenn diese Praxis derart missbraucht wird, wie es in der arabischen Welt geschieht. Die zusammengeschusterte Außenpolitik, welche die US-amerikanische Regierung im Nahen und Mittleren Osten verfolgt, gibt einigen Aufschluss über die politische Kultur der USA.

Eklatante Hilflosigkeit

Wie nun aber die arabische Welt auf die Schmähungen von Seiten dieser Kultur reagierte und ihre Hilflosigkeit angesichts der folgenden Aufgaben, vor denen sie stand, war eklatant. Doch dürfen die Beleidigungen der USA weder als Basis für Korruption dienen, noch als Entschuldigung für das völlige Versagen der arabischen Welt, wenn es darum geht, gangbare Alternativen aufzuzeigen, nur um sich "allein durchzuschlagen".

Schließlich darf die amerikanische Politik auch nicht als "Totschlagargument" missbraucht werden, um jedwede negative Entwicklung in der arabischen Gesellschaft zu rechtfertigen, von der offiziellen Korruption über die institutionelle Vetternwirtschaft und den politischen Extremismus bis hin zur Nichtbeachtung der Menschenrechte und Rassismus, aber auch bis zur unhinterfragten Übernahme der Globalisierung.

Genauso demoralisierend wirkt dies alles auf viele Araber, die gewillt sind, sich diesen Herausforderungen offen zu stellen und führt zu einer Überempfindlichkeit gegenüber rein kosmetischen Veränderungen.

Großzügige Konferenzen, aber keine Reformen

Regierungen — oder von ihr bezahlte Organisationen — bemühen sich um eine Verbesserung ihres angeschlagenen Images und halten zu diesem Zweck Konferenzen ab, Seminare, Symposien und viele andere eindrucksvolle Zusammenkünfte, um Themen wie Bildung, Menschenrechte und Familie zu diskutieren. Dazu laden sie Experten ein, die allzu oft aufgrund ihres beeindruckenden imposanten Namens und Titels statt ihres Fachwissens ausgewählt werden.

Diese Experten geben dann wortreich der Dringlichkeit von Reformen Ausdruck (Reformen, die niemals umgesetzt werden), streichen ihr großzügiges Honorar ein, und die Konferenz endet damit, dass sich die Offiziellen und Halboffiziellen gegenseitig zu der gelungenen Tagung beglückwünschen. Ein sehr schönes und sehr teures Büffet wartet noch, dann heißt es "Bon voyage" und das wars, das Ende als purer Selbstzweck. Mission erfolgreich beendet.

Systematischer Rassismus

In der Zwischenzeit aber werden unschätzbare menschliche Aktivposten der arabischen Welt verschleudert. Massenhaft sind arabische Intellektuelle, Wissenschaftler, Ärzte und andere Fachkräfte gezwungen, in den Westen zu gehen, und das, wo sie doch gerade in ihren Heimatländern so dringend gebraucht würden, um ihren Ländern als Führungskräfte und Inspiration zu dienen.

Dieser "brain drain" hat keine bloß finanziellen Ursachen. In korrupten Gesellschaften werden die Bürger nach allem möglichen bewertet, nur nicht nach ihren Verdiensten und Leistungen.

In den reicheren arabischen Staaten zum Beispiel wird die Arbeitskraft — egal, ob es sich um einfache Arbeiter oder hoch qualifizierte Fachkräfte handelt — auf der Grundlage einer ungeschriebenen aber nie in Frage gestellten Rechnung eingestuft: nach Volkszugehörigkeit, familiären Bindungen und Bürgerstatus.

Ich war erschüttert, wie schamlos manche Menschen sich dieser Klassifizierung von Menschen bedienen: Philippiner sind als billige Arbeitskräfte am besten und werden am besten bezahlt, Nepalesen werden am wenigsten nachgefragt. Natürlich steckt hinter dieser Zuweisung eine simple Logik.

Die gleiche Logik wird auf die gut bezahlten Jobs angewandt, bei denen Europäer und Amerikaner die Nase vorn haben, gefolgt von den Arabern — sogar die im Ausland lebenden Araber werden in dieses merkwürdige Schema eingeordnet —, dann kommen die Asiaten und so weiter.

Anderswo bezeichnet man diese Praxis zu Recht als Rassismus, wenigstens aber als administrative Unfähigkeit. In manchen arabischen Ländern aber ist das einfach nur der Stand der Dinge.

Hilflos angesichts der Globalisierung

Dennoch ist ein so schwerwiegendes Problem, wie dieses eines ist — stürzt es doch eine ganze Gesellschaftsstruktur in Unordnung und macht rassistische Tendenzen hoffähig — nichts, was durch wohlklingende Konferenzen behoben werden kann. Denn schließlich wird das dort erhaltende Wissen nicht nur nicht in praktische Politik umgesetzt, eine solche Absicht besteht vielmehr von vornherein gar nicht.

Und inmitten dieser immer brüchiger werdenden sozialen Stabilität und einer zunehmend rassistischen Einteilung von Menschen tritt zum Fehlen politischer Verantwortung (oder dem Willen zu einer solchen), um der imperialen Politik im Irak, Palästina und anderswo entgegenzutreten (was ohne Zweifel zu einer weiteren Entfremdung der arabischen Regierungen von ihren Bevölkerungen geführt hat) noch etwas anderes: eine ganze Reihe weiterer, nicht minder alarmierender Dilemmata, wie das der Globalisierung.

Globalisierung ist in schwachen Nationen, die über keine wirkliche politische Souveränität verfügen, sondern in einer wie auch immer gearteten Abhängigkeit gefangen bleiben, nun einmal ein größeres Problem: Sie bleiben labil und anfällig für ökonomische Übergriffe. Viele arabische Staaten fallen in diese Kategorie.

Doch die eigentliche Gefahr lauert nicht in der Abhängigkeit und der Armseligkeit der Volkswirtschaften, die über solcherlei Arrangements aufrecht erhalten werden, sondern vielmehr in den vielfältigen kulturellen und sozialen Zugeständnissen, die erforderlich sind, um das Vertrauen der großen Wirtschaftsmächte und Investoren zu bewahren.

Obwohl die westlichen Länder sich an die Natur und die Entwicklung freier Marktwirtschaften gewöhnt haben, ist auch ein gewisser Filterungsprozess nicht völlig unmöglich. Arabische Nationen aber, gefangen in ihren eigenen Traditionen und dabei vollkommen unfähig, sich ihrer Identität sicher zu sein, stehen der billigen Kommerzialisierung des Weltmarkts hilflos gegenüber, und den sich daraus ergebenden sozialen Trends genauso.

Identitätskrise der Jugend

McDonald’s und Burger King-Filialen in den arabischen Ländern — und damit das Aus für die entsprechenden arabischen Fast Food-Alternativen (viel gesünder als erstere im übrigen) — spielen unzensierte Hip-Hop-Musik voll von Vulgarität, verächtlichen Texten über Frauen und dergleichen.

Ich habe arabische Kinder gesehen, die in einem von Burger King aufgestellten Zelt das Ende des Ramadan zu Hip-Hop-Rhythmen feierten, in deren Texten detailliert von Oralsex die Rede war.

So abstoßend dies allein schon klingen mag, so geht der Skandal noch viel weiter: Das ungefilterte Angebot des globalen Marktes führt bei der jungen Generation in den arabischen Ländern zu einer schweren Identitätskrise, die die westliche Zivilisation so naiv wie begeistert auf Britney Spears reduziert, auf schlecht zubereitete Cheeseburger und Online-Pornographie.

Erik Erikson, bekannt als "Vater der psychosozialen Dynamik" schuf die Theorie von den "acht Stufen der Entwicklung" eines jeden Menschen. Laut Erikson führt das Auslassen einer einzigen der von ihm als notwendig postulierten Entwicklungsstadien unweigerlich zu einer Identitätskrise.

Ich komme nicht umhin, der arabischen Welt genau dieses Problem zu attestieren. Hinzu kommt, dass die gegenwärtige Mode, schicke, aber unproduktive Konferenzen abzuhalten, mit ihren tollen Büffets und großzügigen Honoraren, eine genauso falsche Antwort darstellt wie blinde Schuldzuweisungen.

Es ist nicht klar, in welchem Entwicklungsstadium sich die arabischen Nationen momentan befinden. Doch wenn diese Identitäts-Zwickmühle nicht bald bewältigt wird, werden Verzweiflung, Entfremdung und Extremismus — alles Dinge, die wir schon jetzt beobachten müssen — zur verdammenswerten Norm und nicht zur Ausnahme.

Ramzy Baroud

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*Der Autor ist arabisch-amerikanischer Journalist (Chefredakteur des Palestine Chronicle) und leitet das Research & Studies Department der englischsprachigen Seiten von Aljazeera.net.