Ein Vermächtnis aus Leid und Freud'

In ihrem Roman "The Journey" schreibt die ägyptische Autorin Radwa Ashour über ihre Erlebnisse während ihrer vierjährigen Dissertation über afroamerikanische Literatur an der University of Massachusetts in den USA der 1970er Jahre. Von Marcia Lynx Qualey

Von Marcia Lynx Qualey

Es ist heikel, fundiert über ein Land zu schreiben, in dem man nur wenige Jahre verbracht hat. Als abschreckendes Beispiel nehme man die peinlichen Verzerrungen, die einige Amerikaner über ihre Jahre in Ägypten zu Papier brachten. Doch auch Ägypter, die über ihre kurzen Aufenthalte in den USA schrieben, ließen das Land so aussehen, als hingen die Menschen dort ständig nackt herum und als sei ein Engagement als Pornostar leichter zu finden als ein Job an der Kasse von McDonald's oder Wal-Mart.

Die ägyptische Schriftstellerin Radwa Ashour (1946 - 2014) gehört zu den wenigen Besucherinnen, die eine unbefangene Sicht entwickelt: auf die Autorin als Reisende, auf das bereiste Land und auf die vertrackten Beziehungen zwischen den USA und Ägypten. In "The Journey" (Die Reise), neu übersetzt von Michelle Hartman, berichtet Ashour von ihrer vierjährigen Dissertation über afroamerikanische Literatur an der University of Massachusetts im Städtchen Amherst.

Das Buch beginnt im August 1973, als die junge Ashour ihre Heimatstadt Kairo mit einem einzigen Koffer verlässt. Da die Beziehungen zwischen Ägypten und den USA offiziell ausgesetzt sind, muss sie über die spanische Botschaft ein Visum beantragen. Im August 1977 kehrt Ashour nach Kairo zurück. Jetzt mit zwei Koffern, einer Schreibmaschine und ihrer Promotionsurkunde. Das Land, in das sie zurückkehrt, hat sich verändert, insbesondere im Licht der neuen Abkommen zwischen US-Präsident Richard Nixon und dem ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat.

Während der Zeit, in der Sadat und sein US-Pendant "Nixon Baba" ihre Herrschaftsinteressen aufeinander abstimmen, lernt Ashour in der eher linksliberalen Kleinstadt Amherst ein anderes Amerika kennen. Doch während sie unterwegs ist, um etwas über afroamerikanische und andere liberationistische Literatur zu erfahren, begegnet sie auch verunsicherten weißen Jugendlichen auf Sinnsuche, amerikanischen Frauen, die einen Ehemann herbeisehnen und Südstaatenprinzessinnen, die sich vor dem Islam zu Tode ängstigen.

Kritik an den USA, Kritik an Ägypten

Ashours "Journey" schöpft aus den Beobachtungen des amerikanischen Hochschullebens Mitte der 1970er Jahre. Über die Watergate-Anhörungen, die versuchten Attentate auf Gerald Ford oder die Entführung von Patty Hearst erfahren wir praktisch nichts.

Buchcover Radwa Ashour: "The Journey"; Verlag: Interlink
Ashours "Journey" schöpft aus den Beobachtungen des amerikanischen Hochschullebens Mitte der 1970er Jahre, auch wenn wir über die damalige Innenpolitik, über die Watergate-Anhörungen, die versuchten Attentate auf Gerald Ford oder die Entführung von Patty Hearst praktisch nichts erfahren.

Watergate kommt nur einmal zur Sprache, als Ashour diejenigen verspottet, die nach Amherst strömen, um in einer frühen Version heutiger TED-Talks dem damals noch jugendlichen spirituellen Guru Maharaji zu lauschen.

Sie schreibt, sie habe ihrer Freundin sarkastisch gesagt: "Alle Fragen über Watergate sollten nicht an Nixon und seine Regierung gerichtet werden, sondern an das eigene Ich. Frage dich selbst, meine Liebe, und du wirst immer die richtige Antwort finden!"

Doch auch den meisten Ägyptern steht Ashour nicht weniger kritisch gegenüber, vielleicht nur etwas versöhnlicher. Sie verbringt viele Stunden in der Bibliothek und liest die für sie immer wieder enttäuschenden Übertragungen von Sadats Reden in der staatlichen ägyptischen Zeitung Al-Ahram.

Auch berichtet sie von einer Reise zurück nach Kairo zum Jahreswechsel 1974-75. Der Besuch erfolgt kurz nach der ägyptischen Rückeroberung des Sinai im Jom-Kippur-Krieg. Eine Zeit zerbrechlicher Triumphe:

"Die feierliche Stimmung konnte einem ein bitteres Lächeln auf die Lippen malen. Das ist das Vermächtnis von Leid und Freud': Leere, hohle Männer stecken sich Orden an und tauschen das Blut der Soldaten und die Geschichte des Landes gegen eine Handvoll Stroh, um ihre eigene schwindende Kraft zu sichern."

Ashour ist nicht die einzige, die bekümmert ist. Sie zitiert eine Freundin, die ihr sagte: "Spare dir deine Bitterkeit für später auf, es kommt noch mehr!"

Institut für Afroamerikanistik: "freundlicher als üblich"

Ashour entschied sich, in den USA zu studieren, nachdem sie Shirley Graham Du Bois traf, Autorin, Akademikerin und Witwe des bekannten afroamerikanischen Bürgerrechtlers W. E. B. Du Bois.

Es war Shirley Graham Du Bois, die Ashour davon überzeugte, dass das neue Literaturstudium in Amherst antikolonial und befreiungstheoretisch ausgerichtet war. Ashour äußert sich zwar respektvoll über die ältere Dame – wie über die meisten ihrer Kollegen – kritisiert aber auch Du Bois' Ansichten über Ägypten.

Als Du Bois sagt, sie habe sich mehr von Sadat versprochen, weil er halb schwarz sei, antwortet Ashour irritiert: "Halb schwarz oder halb blau, die Farbe hat nichts damit zu tun..." Doch auch Ashour macht deutliche Unterschiede zwischen weißen und afroamerikanischen Studierenden: Ihre leicht exotischen Porträts von attraktiven afroamerikanischen Männern stehen in Kontrast zur Beschreibung der grimmig kühlen weißen Amerikaner.

"Im Institut für Anglistik dominierte die Farbe weiß: Das galt für die Gesichter wie für die Farbe der Wände in den endlosen Korridoren. Wenn wir abends die Hörsäle in Richtung Ausgang verließen, waren die Gänge kalt, einsam und trostlos, obschon sie beheizt waren. Ihr fahles Licht verströmte die Blässe von Sterbenden. Dagegen war das Gebäude des Instituts für Afroamerikanistik freundlicher als üblich. Sobald ich die Hörsäle im dritten Stock erreichte, glühte ich förmlich. Die Wände waren in kräftige Farben getaucht – grün, blau und orange; sogar das Schwarz glänzte."

Nicht alle weißen Amerikaner werden im Buch als kalt, einsam und trostlos dargestellt. Doch viele erscheinen entfremdet. Insbesondere ihre erste Mitbewohnerin, Louisa, muss sie irritiert haben. Die betreffende Passage weckt vermutlich bei all jenen Assoziationen, die je ihr Zimmer im Studierendenwohnheim mit Mitbewohnern teilen mussten. "Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, mein Haus in Kairo und meinen Mann Mourid gegen diese weiße Südstaatenprinzessin und ihren Baumwollteddybären einzutauschen?"

Zum Glück für Ashour dauert es nicht lange, bis Louisa abspringt. Ashour bekommt eine neue Mitbewohnerin, Anna, über die sie teils satirisch, teils liebenswert schreibt.

Betrachtungen über Ägypten aus der Ferne

Ashour zeichnet zwar viele interessante Kurzporträts von Amerikanern aus ihrem Aufenthalt Mitte der 1970er Jahre, wie beispielsweise über das Phänomen der Flitzer, aber Ashour denkt immer wieder über Ägypten nach. Sie verfolgt die Nachrichten über Ägypten, blättert in ihren Fotos von Ägypten und beschäftigt sich mit dem, was ihr Mann Mourid über die Ereignisse im Land erzählt.

Das letzte Kapitel spielt in Ägypten nach Ashours Rückkehr. Zur jener Zeit zieht es viele Amerikaner nach Ägypten, "um Geschäfte zu machen und sich bei Auftritten berühmter Tänzer vor der Kulisse der ägyptischen Pyramiden zu amüsieren", schreibt sie. "Die ägyptisch-amerikanische Freundschaft hat sich gefestigt und entwickelt sich in Richtung absoluter Loyalität – und zwar auf Seiten der ägyptischen Regierung selbstverständlich!"

Diese parasitären Beziehungen sind das genaue Gegenteil zu den Freundschaften, die Ashour in den USA pflegte, und sicherlich das Gegenteil von dem, was Ashour für ihr Land gewollt hätte. Sie führen auch zu Sadats denkwürdigem Israelbesuch im November 1977.

Nach der Rückkehr aus den USA, so erzählt uns Ashour, kamen Sicherheitsbeamte, um ihren palästinensischen Ehemann abzuschieben. Sie beendet ihre Memoiren mit einem sonderbaren, ermatteten Optimismus. Sie schreibt über ihre blühenden Guavenbäume, ihren gerade geborenen Sohn und ihre Zuversicht, dass die Dinge "nicht so bleiben würden". Doch sie fügt hinzu: "Ich wusste, dass die bevorstehenden Tage durchaus schwere Tage werden würden."

Und damit hatte sie durchaus recht.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2018

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers