Entindividualisierung einer Minderheit

Auf einer Fachtagung der Eugen-Biser-Stiftung und der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema "Radikale Islamkritik" herrschte Konsens, dass Politik und Gesellschaft sich endlich mit der wachsenden Diffamierung von Muslimen auseinandersetzen müssen. Von Claudia Mende

Hasspropaganda gegen Muslime wurde lange Zeit kaum als ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie wahrgenommen. Das hat sich nach dem Attentat von Norwegen und nach der Mordserie der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle NSU geändert.

Der Amoklauf des Anders Breivik mit seinen islamophoben Wahngebilden und die rechtsradikalen Morde an Migranten in Deutschland machen deutlich, welche Sprengkraft Rassismus und Islamfeindlichkeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt beinhalten. Parteien wie "Die Freiheit", die "Pro-Bewegung" oder die Bürgerbewegung "Pax Europa" mahlen das Schreckgespenst einer vermeintlichen "Islamisierung Europas" an die Wand, sie bestreiten den Religionscharakter des Islam und werfen ihm vor, eine totalitäre, gewalttätige Ideologie zu sein.

Auf Internetseiten wie "Politically Incorrect" oder "Nürnberg 2.0" fließen ungefiltert und in der Regel anonym Ressentiments und pauschale Diffamierungen ins Netz. Zum Repertoire der Szene gehört auch die gezielte Störung von Dialog- und Informationsveranstaltungen zum Thema Islam, Integration und Dialog der Religionen.

Zwischen Skepsis und offenem Hass

Heiner Bielefeldt; Foto: Universität Erlangen
In islamfeindlichen Blogs wird Muslimen "eine negative kollektive Mentalität zugeschrieben, so dass das Individuum nicht mehr zählt", meint der UN-Sondersonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt.

​​Die anti-muslimischen Ressentiments bewegen sich zwischen Skepsis und offen rassistischem Hass. Beides läßt sich manchmal schwer voneinander abgrenzen. Vorbehalte gegen Migranten und gegen den Islam sind bis weit in die Mittelschicht vorhanden. So sind zum Beispiel einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2010 über rechtsextreme Einstellungen in Deutschland zufolge mehr als die Hälfte der Deutschen (58,4 Prozent) dafür, die Religionsfreiheit der Muslime einzuschränken.

Islamfeindlichkeit hat nichts mit Kritik zu tun. Mit Kritik, auch harter Kritik, müssen in einer offenen Gesellschaft alle leben. "Es gibt kein Recht, nicht kritisiert zu werden", betonte etwa Heiner Bielefeldt, Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats, in Tutzing.

Religionsfreiheit sei kein Ehrschutz für Religionen sondern ein Freiheitsrecht des Individuums, betonte Bielefeldt. Aber in islamfeindlichen Blogs werde Muslimen "eine negative kollektive Mentalität zugeschrieben, so dass das Individuum nicht mehr zählt." Diese Entindividualisierung einer Minderheit vergifte das gesellschaftliche Klima.

Stigmatisierungen und stereotype Bilder

Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz sieht in der Fundamentalkritik an Muslimen Stereotype am Werk, wie sie auch der Antisemitismus gegenüber Juden hervorgebracht habe. Zum Beispiel in der Unterstellung, der Islam strebe nach Weltherrschaft. Die typischen Bausteine des Stereotyps sind Verallgemeinerung, Reduktion auf das Negative und das Zurückgreifen auf Gerüchte und Kolportagen.

Im Stereotyp konstruiert die Mehrheitsgesellschaft eine Gruppe von Menschen als Fremde, indem sie ihnen bestimmte negative Merkmale zuschreibt. Deshalb sagen Stereotype vor allem etwas über den Zustand der Mehrheitsgesellschaft aus.

Man kann es auch etwas weniger wissenschaftlich, dafür aber drastischer ausdrücken. "Was ist eigentlich in unserer Gesellschaft los?", formulierte Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration in Nürnberg. Schmidt sieht in Rassismen wie Antisemitismus und Islamophobie ein Ventil für eine offenbar weit verbreitete Unzufriedenheit und Verunsicherung in Deutschland.

Wolfgang Benz; Foto: dpa
Wolfgang Benz: "Islamfeindschaft, die sich selbst Islamkritik nennt und von manchen als Islamophobie bezeichnet wird, ist immer dann im Spiel, wenn keine Argumente mehr stattfinden, sondern nur noch gehasst wird"

​​Warum werden Webseiten und Internetforen mit diffamierenden Inhalten nicht juristisch belangt? In islamfeindlichen Blogs und auf den einschlägigen Websites finden sich durchaus "strafrechtlich relevante Diffamierungen", sagte die Juristin Antje von Ungern-Sternberg von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Meinungsfreiheit darf aber kein Sonderrecht im Internet beanspruchen."

Trotzdem sind Strafanzeigen bis jetzt ausgesprochen selten. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt aber seit kurzem wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen Michael Stürzenberger, Ex-CSUler und Pressesprecher des bayerischen Landesverbandes der Partei "Die Freiheit".

Islamfeindliche und rechtsextreme Kongruenz

Bei islamfeindlichen Gruppen und Rechtsextremen lassen sich ideologische Überschneidungen feststellen. "Rechtsextreme äußern sich zunehmend islamfeindlich", sagte Miriam Heigl von der Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt München. Heigl sieht in anti-islamischen Einstellungen einen Anknüpfungspunkt für rechtsradikale Propaganda. Deshalb schaut sich auch der Verfassungsschutz die islamfeindliche Szene mittlerweile genau an.

Seit dem Attentat von Norwegen im Frühjahr 2011 "prüfen die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern weit intensiver, ob und in welcher Dimension bei der islamfeindlichen Agitation im Netz eine extremistische Ausrichtung festzustellen ist", heißt es beim Verfassungsschutz in Köln. Die offizielle Beobachtung, auch mit Mitteln der Observation und V-Leuten, ist aber erst dann möglich, wenn diese Prüfung abgeschlossen ist und die Verfassungsschützer "tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen" gefunden haben.

Der Verfassungsschutz der Bundesländer ist zum Teil schon weiter. In Nordrhein-Westfalen werden die "Pro-Köln"- und "Pro-NRW"-Bewegungen beobachtet und der Hamburger Verfassungsschutz sieht sich insbesondere die Website "Nürnberg 2.0" an, eine Art digitalen Pranger, der den Kritikern der Islamfeinde mit Abrechnung an einem Tag X droht.

Die strafrechtliche Verfolgung und mögliche Überwachung durch den Verfassungsschutz sind aber kein wirksames Instrument für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus und Islamophobie. Diese Debatten müssen in erster Linie politisch geführt werden. Doch die Politik scheut bislang klare Worte zum Thema. Im Gegenteil, während des Sarrazin-Hype 2010 schwammen viele Politiker auf der populistischen Welle mit.

"Die Politik tut sich schwer damit, weil der Übergang von der Islamkritik zur Islamfeindlichkeit fließend ist und bis in die Mitte der Gesellschaft reicht", erklärte Lale Akgün in Tutzing. Die SPD-Politikerin aus Nordrhein-Westfalen bezeichnet sich selbst als "reformierte Muslimin", hält aber zu viel politische Korrektheit für "kontraproduktiv".

"Kritik nicht unter Rassismusverdacht stellen"

Deutlich distanzierte sich der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, der CSU-Abgeordnete Martin Neumeyer, von islamophoben Tendenzen. Wir dürfen "nicht Kritik unter Rassismusverdacht stellen", betonte Neumeyer, aber die "Kollektivschuld" gegen Muslime in den einschlägigen Foren sei "inakzeptabel".

Lale Akgün; Foto: dpa
Lale Akgün: "wir müssen die Mehrheitsgesellschaft dafür gewinnen, sich von den radikalen Islamfeinden abzugrenzen"

​​Das Gefühl der kulturellen Überlegenheit, der Vorwurf der "Taqiya" (arab. für "Täuschung"), die angeblich dem Islam inhärent sei, die Diffamierung als totalitäre Ideologie und das Bestreiten des Religionscharakters: All diese Pauschalierungen könnten zu "gefährlichen Wahngebilden führen, ähnlich wie beim Antisemitismus". Neumeyer warnte vor rechtsfreien Räumen im Internet und rief dazu auf, "Volksverhetzung entschieden zu sanktionieren, egal von welcher Seite".

Die ambivalente Rolle der Medien hat ebenfalls dazu beigetragen, dass Islamfeindlichkeit weit verbreitet ist. Die Berichterstattung ist nicht immer dazu geeignet, sachliche Aufklärung zu liefern und dadurch stereotype Bilder zu vermeiden.

Karl Gabriel, Senior Professor am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster, hat die Einstellungen der Medienelite zum Thema Religion untersucht. Seine Studie "Religion bei Meinungsmachern" aus dem Jahr 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass das "Erstarken des Kulturchristentums" und eine Haltung des "cultural defense" gegenüber dem Islam die Leitmedien prägten.

Das führe dazu, dass Medien das Christentum "als Element der kulturellen Verteidigung" benutzten. Diese Haltung ist für Gabriel "eine Quelle für Konflikte mit dem Islam." Religion werde so zu einer "Stütze angefochtener Identität" – in einer Zeit, in der die Globalisierung Ängste vor dem Verlust des Eigenen befeuere.

Solche Ängste hat auch die "Pro-Bewegung" in Nordrhein-Westfalen 2010 mit ihrem Wahlkampfslogan "Abendland in Christenhand" gezielt geschürt. Politisch sind die "Pro-Bewegung" und "Die Freiheit" trotzdem nur von marginaler Bedeutung. In Berlin ist die Pro-Deutschland-Partei unter dem Ex-CDU-Mitglied Réné Stadtkewitz bei den letzten Senatswahlen mit nur 1,2 Prozent der Stimmen gescheitert.

In Köln sitzen zwar fünf Vertreter von "Pro-Köln" im Stadtrat, doch haben sich auch eine Menge Protest in der Domstadt hervorgerufen. Aber insgesamt steht die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung noch am Anfang. "Appelle nützen nichts", sagte Lale Akgün. Auch wenn es mühsam ist, "wir müssen die Mehrheitsgesellschaft dafür gewinnen, sich von den radikalen Islamfeinden abzugrenzen."

Claudia Mende

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de